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Hohe Belastung durch Corona Angehörige zunehmend aggressiv

Ärzte und Pfleger auf den Intensivstation der Krankenhäuser in Verden und Achim arbeiten seit zwei Jahren am Limit. Ein neues Momentum belastet das Personal zusätzlich.
02.01.2022, 13:30 Uhr
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Angehörige zunehmend aggressiv
Von Felix Gutschmidt

Abstand halten, die Hygieneregeln beachten und eine Maske tragen: Es ist gerade einmal ein Jahr her, dass die sogenannten AHA-Regeln der einzige Schutz vor dem Coronavirus waren. Heute haben rund 40.000 Menschen alleine im Landkreis Verden bereits die dritte Impfung bekommen. Ein Ende der Pandemie ist dennoch nicht in Sicht. Die große Silvesterparty musste auch 2021 ausfallen. Wer auf Nummer sicher wollte, hielt es mit Miss Sophie und beließ es beim "Dinner for one".

Also "Same procedure as last year"? Davon kann auf den Intensivstationen der Aller-Weser-Klinik (AWK) in Verden und Achim keine Rede sein. In einem Punkt steht das medizinische Personal heute besser da, sagt Peter Ahrens, ärztlicher Leiter der AWK: Durch die Impfung sei die persönliche Angst, sich anzustecken und selbst schwer zu erkranken, deutlich gesunken. "Wir hatten ein hohes Maß an Eigengefährdung", erinnert sich Ahrens. Ein Fortschritt, immerhin.

"Corona ist immer da"

Dennoch beobachtet der Klinikmitarbeiter die Situation mit Sorge. "Wir sind an einem Scheideweg, weil die mentale Belastung so groß ist." Die Ärzte und Pfleger sind seit zwei Jahren ständig mit der Pandemie konfrontiert. Sie kämpfen um Menschenleben – und oft verlieren sie diesen Kampf. Zu Hause mal abschalten, Freunde treffen, Sport treiben – das alles ist kaum möglich. "Corona ist immer da", sagt Ahrens. In privaten Gesprächen, in den Medien. "Da wird die Luft irgendwann dünn."

Hinzu kommt: In den vergangenen Wochen hätten Angehörige von Covid-Patienten "zum Teil ein hohes Maß an Aggressivität" gezeigt. "Dieses Momentum ist relativ neu", sagt Ahrens. Einige würden den Ärzten und Pflegern vorwerfen, Ungeimpfte schlechter zu behandeln. "Das weise ich weit von mir." Es sei auch schon vorgekommen, dass Hinterbliebene Covid nicht als Todesursache akzeptieren wollten, weil sie entweder die von einer Corona-Erkrankung ausgehenden Gefahren oder die Existenz des Virus generell bezweifelten.

Die zunehmende Aggressivität einiger Kritiker der Corona-Politik tritt damit schon früher in den Kliniken zutage als auf den Straßen. Noch am 23. Dezember berichtet Polizeisprecherin Imke Burhop, dass es im Landkreis Verden bislang nur wenige Demonstrationen gegen die allgemein geltenden Regeln zur Eindämmung der Corona-Pandemie gegeben habe. "Diese wurden aber friedlich abgehalten."

Knapp eine Woche später marschieren etwa 160 Menschen unangemeldet durch Achim. Anders als ein paar Tage zuvor bei einer Kundgebung in Verden erleben Zeugen diese Gruppe als bedrohlich. Bei einer weiteren als "Spaziergang" ausgerufenen Versammlung von Kritikern der Corona-Maßnahmen am Neujahrstag in Verden greifen zwei Teilnehmer nach Polizeiangaben einen Beamten mit einer Fahnenstange an.

Klare Besuchsregeln

In den Kliniken birgt auch die 2G-Plus-Regel für alle Besucher Konfliktpotenzial. Sie bedeutet, dass Ungeimpfte ihren Angehörigen im Krankenhaus nicht beistehen, ihnen keinen Mut zusprechen können. Zwar gibt es Ausnahmen, auch auf der Intensivstation. In Einzelfällen können Besucher gesonderte Absprachen mit den zuständigen Ärzten oder Pflegern treffen. Vor allem wenn es auf das Ende zugeht, sollen die Menschen sich von ihren Lieben verabschieden können. Bei Covid-Patienten sehen die Regeln der AWK allerdings keine Ausnahmen vor. "Patienten im Isolierbereich können nicht besucht werden!", heißt es bei den aktuellen Hinweisen des Krankenhauses zum Coronavirus. Das zu akzeptieren, fällt vermutlich jedem schwer, vor allem jenen, die die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie generell für überzogen halten und überzeugt sind, dass die Impfung ihnen mehr schadet, als sie nützt.

Auch einige der Patienten auf der Intensivstation haben die Gefahren von Covid unterschätzt. Einer habe sich absichtlich angesteckt, um als genesen zu gelten, erzählt Ahrens. "Das ging natürlich schief." Der Patient starb. Viele der Ungeimpften hätten ihre Entscheidung gegen das Vakzin bitter bereut, sagt Ahrens, der nur einen Ausweg aus der Pandemie sieht: "Impfen, impfen, impfen."

Wer wegen einer Corona-Infektion eines der insgesamt 15 Intensiv-Betten an den Standorten Achim oder Verden belegt, schwebt statistisch betrachtet in hoher Lebensgefahr. Von den 84 Patienten, die in diesem Jahr wegen einer Corona-Erkrankung dort gelandet sind, haben es 27 nicht überlebt (Stand: 21. Dezember). Das ist jeder Dritte. 249 Covid-Patienten haben die Kliniken im Landkreis insgesamt stationär behandelt. Die schweren Verläufe müssen in der Regel zwei, drei oder sogar vier Wochen auf der Intensivstation bleiben, sagt Ahrens. So lange dauert es, bis ein Patient wirklich auf dem Weg der Besserung ist und nicht mehr rund um die Uhr überwacht werden muss.

Angespannte Lage

Ende November, Anfang Dezember ist die Situation auf den Intensivstationen im Landkreis angespannt wie selten zuvor. In Verden sind zu dieser Zeit sechs der insgesamt neun Betten mit Covid-Patienten belegt. In Achim sind es zwei von sechs. Es ist der Fall, vor dem schon lange gewarnt wurde: Die Intensivstation stoßen an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit.

Dann beruhigt sich die Lage wieder. Während die Sieben-Tage-Inzidenz im Landkreis Verden in den Wochen vor Weihnachten neue Rekorde erreicht – keine Region in Niedersachsen hat einer dieser Zeit höhere Werte –, sinkt die Zahl der belegten Intensivbetten. Null Corona-Fälle meldet Ahrens in der Woche vor Heiligabend im Bereich Intensivmedizin. Dass diese Ruhe nicht lange halten wird, ahnt der ärztliche Leiter der AWK bereits. "Wir stehen Gewehr bei Fuß." Am 27. Dezember sind nach Angaben der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) schon wieder vier Betten auf den Intensivstationen der Aller-Weser-Klinik mit Covid-Patienten belegt.

Zur Sache

Corona-Statistik

Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) sind im Jahr 2021 5928 Fälle einer Infektion mit dem Coronavirus im Kreis Verden nachgewiesen worden. 62 Menschen starben an Covid-19. Die niedergelassenen Ärzte sowie die Impfteams im Landkreis Verden haben rund 39.758 Auffrischungsimpfungen durchgeführt (aktuellste Daten vom 19. Dezember). Die Zahl der Impfungen insgesamt gibt das Gesundheitsamt mit 225.906 an. Bis jetzt einmal geimpft sind 98.272 Menschen. Doppelt und damit nach offizieller Definition vollständig geimpft sind 94.749 der 137.000 Einwohner. Die Impfquote liegt mit knapp unter 70 Prozent unter dem bundesweiten Durchschnitt (71,1 Prozent). Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt laut RKI aktuell bei 338,7.

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