Dass Amazon nach Achim kommen möchte, ist unstrittig. Ebenso, dass die Stadtverwaltung und offenbar eine Mehrheit der Achimer Ratspolitik das Logistikzentrum des Onlinegiganten ansiedeln möchten. Offen bleibt vorerst die Frage, ob es zu einer Ansiedlung kommt. Denn noch hat der Stadtrat dem Verkehrskonzept, das eine Amazon-Niederlassung möglich machen soll, nicht abschließend zugestimmt. Und da scheinbar auch noch kein Vertrag unterschrieben ist, hält sich Amazon mit Verlautbarungen bisher zurück. Das soll sich nun am Dienstagabend, 27. Februar, ändern – erstmals werden Vertreter des Unternehmens offiziell über das Vorhaben sprechen. Darunter auch der Leiter des Amazon-Logistikzentrums Winsen/Luhe.
Das dortige Logistikzentrum ist Ende vergangenen Jahres in Betrieb genommen worden und spätestens seitdem beobachtet Matthias Hoffmann, stellvertretender Bezirksgeschäftsführer von der Gewerkschaft Verdi im Bezirk Lüneburger Heide, die Vorgänge in dem Unternehmen aus Arbeitnehmersicht ganz genau. Zudem wird er demnächst die Betriebsratswahlen an dem Standort begleiten. Er weiß: „Amazon ist ein Arbeitgeber, der zwei auffallende Seiten hat.“ Da ist das eigene Image, das Amazon mit sehr viel finanziellem Aufwand pflege – „nach außen wie nach innen“. Es gebe eine besondere Unternehmenskultur in einer Welt des Duzens, des Austausches zwischen Führungskräften und Beschäftigten, kostenloses Wasser, Gratis-Kaffee.
Das „System Amazon“
Wo Licht, da auch Schatten: „Es gibt einen enormen Leistungsdruck, der erzeugt wird.“ Wenn der Krankenstand besonders niedrig sei, zahle Amazon einen Bonus, ist der Krankenstand hoch, fällt der Bonus geringer aus. „Das freut dann natürlich nicht die gesunden Kollegen“, weiß Hoffmann. Die Motivation auf diese Weise zu schüren, das liegt in den Augen von Hoffmann am „System Amazon“, das zu einem „Wettbewerb unter den Beschäftigten“ führe. Die einzelnen Mitarbeiter würden miteinander verglichen, auch die einzelnen Standorte. „Zum einen ist der Leistungsdruck deshalb hoch, zum anderen wird so verhindert, dass sich die Beschäftigten solidarisieren.“ Auch gehöre zum System, dass die Angestellten über ihre Scanner Anweisungen erhielten und Arbeitsschritte sowie an Vorgesetzte gemeldet würden, die dann umgehend reagierten.
Matthias Hoffmann hat registriert, dass Amazon – das macht er an den vor fünf Jahren begonnenen Arbeitskämpfen fest – in Deutschland dazu gelernt hat und seine Strategie anpasst. So gebe es inzwischen jährliche Lohnerhöhungen und ein „kleines Weihnachtsgeld von 400 Euro“, allerdings keinen Tarifvertrag. Wurden Betriebsratswahlen anfangs vehement abgelehnt, motiviere das Unternehmen seine Mitarbeiter nun, sich daran zu beteiligen. „Dadurch machen viele Leute mit und man hat ein buntes Betriebsratsklima, aber es werden nicht knallhart die Belegschaftsinteressen vertreten“, hat Matthias Hoffmann beobachtet.
Ein Vollbeschäftigter habe eine gute Chance, nach langer Arbeitslosigkeit anfangs 1900 Euro brutto zu verdienen, am Standort Winsen/Luhe beliefe sich der Stundenlohn auf 11,50 Euro. Die gezahlten Löhne lägen 200 bis 300 Euro unter dem Tarifvertragsniveau des Versandhandels. Allerdings: Ungeklärt ist die Frage, ob die Arbeit in einem Amazon-Werk als Versandhandelarbeit oder als Logistiktätigkeit zu bewerten und zu bezahlen ist.
Initiative: „Verlorene Zeit“
Die Bürgerinteressenvertretung (BI) in Sachen Amazon-Ansiedlung hat zwischenzeitlich an die Stadtverwaltung appelliert, die Bürger stärker einzubeziehen als mit „einer einfachen Informationsveranstaltung“. Darin sieht die BI „verlorene Zeit“, wenn dabei das Megaprojekt in schönsten Wohlfühlfarben gemalt werde. Die BI fragt sich zudem, wie hoch die Kosten für den Straßenumbau sein werden und wer diese bezahlt oder warum der Bebauungsplan 65 nicht bis zur Weserbrücke einschließlich Ueser-Kreuzung erweitert wird – „damit am Ende der Verursacher zur Kasse gebeten werden kann und nicht die Steuerzahler“.
Die BI fordert von der Stadtverwaltung, dass Fragen von Bürgern auf der Infoveranstaltung nicht nur am Ende zugelassen werden. „Geben Sie den Bürgern ausreichend Zeit, damit diese endlich ihre Fragen, Zweifel, Befürchtungen und Ängste loswerden können.“ Wie berichtet, liegt dem Petitionsausschuss des niedersächsischen Landtages eine Petition der BI zur „Durchführung einer echten Bürgerzustimmung“ vor.
Die Infoveranstaltung für Bürger findet am Dienstag, 27. Februar, ab 18 Uhr in der Aula des Cato-Bontjes-van-Beek-Gymnasiums , Bergstraße 26, statt. Es werden auch Vertreter von Amazon sowie des Immobilien-Projektentwicklers Garbe Industrial Real Estate GmbH anwesend sein – ebenso der Verkehrsplaner. Bisher ist vorgesehen, dass die Bürger nach den einzelnen Präsentationen Fragen stellen können.