Das ging schneller als Politik und Verwaltung es vermutlich
erwartet hätten: Die Unterstützer des Bürgerbegehrens, das sich gegen die Erteilung von Vereinigungsbaulasten von Windkraftanlagen auf gemeindeeigenen Flurstücken richtet, haben nun Kirchlintelns Bürgermeister Arne Jacobs den Ordner mit den Unterschriftenlisten überreicht. In nur knapp zwei Monaten haben sie nach eigenen Angaben insgesamt 1192 Unterschriften gesammelt. Eigentlich hätten sie dafür ein halbes Jahr lang Zeit gehabt. Nun kommt es also – vorbehaltlich dem Votum des Verwaltungsausschusses (VA) – zum ersten Bürgerentscheid in der Geschichte Kirchlintelns.
Der Entscheid ist verbindlich, wenn die Mehrheit der gültigen Stimmen auf Ja lautet und diese Mehrheit mindestens 20 Prozent der Wahlberechtigten beträgt. "Mit mehr als 40 Prozent über der erforderlichen Unterschriftenanzahl ist dies
ein sehr deutliches Zeichen, dass viele Bürger eine demokratische
Mitbestimmung beim Thema Windkraftausbau in der Gemeinde Kirchlinteln
wünschen", sagt Beate Mühle, Initiatorin des Bürgerbegehrens.
Beigeordnete prüfen
Die Gemeindeverwaltung muss nun also prüfen, ob mindestens
845 Unterschriften (zehn Prozent der Wahlberechtigten) den rechtlichen Vorgaben entsprechen. Sollte daraus eine Zulässigkeitsfeststellung durch den Verwaltungsausschuss erfolgen, wird innerhalb von drei Monaten ein Bürgerentscheid stattfinden. Die VA-Mitglieder, Beigeordnete, treffen sich turnusgemäß am Montag, 6. Oktober.
Für die Verwaltung würde ein Bürgerentscheid jedenfalls einen erheblichen Aufwand bedeuten, denn wie bei einem richtigen Urnengang müsste die Briefwahl organisiert sowie Wahllokale und Wahlhelfer bereitgestellt werden. Kostenpunkt: rund 20.000 Euro.

Überreichten Bürgermeister Arne Jacobs (r.) die erforderlichen Unterschriften: Melanie Frej (v.l.), Andreas Lühning, Bärbel Cordes und Beate Mühle.
Ein Bürgerbegehren als direkte Form der Demokratie begrüßten die Vorsitzenden der CDU-, SPD- und Grünen-Fraktion im Kirchlintler Gemeinderat im Vorfeld zwar, warnten aber zu Beginn der Unterschriftensammlung vor den monetären Folgen für die finanzschwache Heidegemeinde.
Bereits auf der Unterschriftenliste war vermerkt, dass der Heidegemeinde aufgrund fehlender Baulasten für Windräder Einnahmeverluste (unter anderem Wegfall von Einspeisevergütung, Pacht und Gewerbesteuer) in Höhe von rund 8,5 Millionen Euro drohen würden. Dieser Summe liegt die Laufzeit einer Windkraftanlage (25 bis 30 Jahre) zugrunde. In Anbetracht der finanziellen Herausforderungen (Stichwort Ganztagsschulen und Feuerwehrhäuser), die Kirchlinteln künftig stemmen muss, auf jeden Fall eine nicht unbeträchtliche Summe.
Durch die Eintragung von Vereinigungsbaulasten hatte die Gemeinde Kirchlinteln als Flächeneigentümerin in der Vergangenheit ermöglicht, dass Windkraftanlagen über deren Flurstücksgrenzen hinweg geplant und errichtet werden können.
Drohen Steuererhöhungen?
"Um die Einnahmeverluste in Höhe von rund 308.550 Euro jährlich auszugleichen, müssten die Hebesätze für die Grundsteuern A und B um jeweils 16 Prozent erhöht werden", berief sich die Politik beim Anlauf des Bürgerbegehrens auf Berechnungen der Verwaltung.
Sie wollten sich nicht pauschal gegen Vereinigungsbaulasten aussprechen, sondern jeden einzelnen Standort für Windenergieanlagen genau anschauen und die Auswirkungen auf Mensch und Natur prüfen, betonten Torsten Blanke (CDU), Richard Eckermann (SPD) und Wilhelm Haase-Bruns (Grüne) damals unisono.
Dass sie nicht per se gegen Windkraft seien, haben die Initiatoren des Bürgerbegehrens in der Vergangenheit immer wieder betont. Vielmehr gehe es ihnen darum, dass die Heidegemeinde überproportional belastet werde. Ihrer Ansicht nach verstärke die weitere Erteilung von Vereinigungsbaulasten „die vorhandene Raumüberfrachtung" nur noch. Mit dem Verzicht auf die Erteilung weiterer Baulasten behalte die Gemeinde schließlich „die volle Kontrolle über ihre Grundstücke" und könne „selbstbestimmt über deren zukünftige Nutzung im Sinne des kommunalen Interesses entscheiden“.
Überproportional belastet
Das Kuriose: Die Initiatoren haben die erforderlichen Unterschriften zwar augenscheinlich erreicht, als der neue Entwurf des Regionalen Raumordnungsprogrammes jedoch kürzlich im Fachausschuss vorgestellt wurde, gab es dazu keine kritischen Äußerungen seitens der Bürger.
Aufgrund seiner geografischen Lage als flächengrößte Gemeinde des Landkreises Verden ist Kirchlinteln nach der Samtgemeinde Thedinghausen am zweitstärksten von der Ausweisung neuer Vorranggebiete für Windenergie betroffen.