Eigentlich ist das Künstlerdorf Fischerhude ein Ort der Beschaulichkeit und Kreativität. Doch seit der Gewalttat am späten Dienstagnachmittag, der eine 73-jährige Frau und ihr 56-jähriger Sohn zum Opfer gefallen sind und bei der eine 53 Jahre alte Cousine der Frau schwere Verletzungen am Kopf erlitten hat, ist die scheinbar wieder eingekehrte Ruhe in dem Dorf trügerisch.
Vor allem emotional befinden sich die Einheimischen in einem Schockzustand. Zwar ist die Polizeipräsenz im Ort und am Wohnhaus der beiden Getöteten nahe des Fischerhuder Sportplatzes massiv heruntergefahren worden, nachdem sich am Mittwochvormittag der 64 Jahre alte Tatverdächtige aufgrund des Fahndungsdrucks selbst der Polizei gestellt hat. Trotzdem müssen insbesondere Zeugen der Gewalttat das Erlebte erst einmal verarbeiten.
Der 64-Jährige ist indes noch am Mittwochnachmittag einem Richter des Amtsgerichts Verden vorgeführt worden. Der Richter erließ auf Antrag der Staatsanwaltschaft Verden einen Haftbefehl gegen den Mann, der nun in Untersuchungshaft genommen wurde. Die Hintergründe des Verbrechens waren auch am Donnerstag noch weitgehend unklar.
Gewalttat in Fischerhude: Polizei nennt andauernden Streit als mögliches Motiv
Die zuständige Mordkommission durchsuchte am Donnertag mehrere Wohnobjekte, wie die Polizei mitteilte. Weiter hieß es: „Nach den bisherigen Erkenntnissen ist der Hintergrund der Tat in länger andauernden persönlichen Streitigkeiten untereinander zu sehen.“ Näheres dazu werde ermittelt.
Durchsucht wurden unter anderem das Haus, in dem die Tat geschah, aber auch Wohnobjekte, die in Verbindung mit dem 64-jährigen Tatverdächtigen stünden. Der unter Mordverdacht in Untersuchungshaft sitzende Mann äußerte sich laut Polizei bislang nicht zu den Vorwürfen.

Der Großeinsatz der Polizei in Fischerhude dauerte bis tief in die Nacht.
Nachbarn leisten Erste Hilfe
Bei Sabine Sammann, die mit ihrer Familie seit Jahrzehnten in direkter Nachbarschaft zum Haus der Opfer lebt, hatten sich am Montagnachmittag die Ereignisse förmlich überschlagen. Plötzlich habe es an der Tür geklingelt und eine schwer verletzte, blutüberströmte Frau vor ihr in der Dunkelheit gestanden. "Sie konnte mich noch um Hilfe bitten und den Täter beschreiben", erinnert sich Sabine Sammann an den Moment, an dem sie zur Ersthelferin wurde und dabei erst langsam begriff, was sich da wenige Minuten zuvor im Haus nebenan für eine Tragödie abgespielt haben muss. Am Kopf der stark blutenden Frau hatte Sabine Sammann sofort eine Eintritts- und eine Austrittswunde festgestellt, die sie mit einem Druckverband versorgt hat. Obwohl sie keine Schüsse gehört habe, sei ihr schnell klar gewesen, dass es sich bei den Verletzungen der 53-Jährigen um Schusswunden handelte, erzählt Sammann, die als Betreuungskraft in einer Fischerhuder Seniorenresidenz arbeitet.
Angst habe sie in dem Moment noch nicht verspürt, die kam erst später – und dies mit voller Wucht. Schließlich war der Täter über Nacht noch auf der Flucht. "Rund 20 Einsatzkräfte sind durch unser Haus gelaufen", erinnert sich Sabine Sammann, die wegen der unklaren Bedrohungslage zunächst Polizeischutz erhielt. Trotz der großen Aufregung für alle Beteiligten habe sie die Polizeibeamten "nett und einfühlsam" erlebt. Die Bluttat sei für sie derweil "völlig unerklärlich". Seit 25 Jahren kennt Sabine Sammann die getöteten Nachbarn, man habe eine gute Nachbarschaft gepflegt. Die 73-Jährige habe sie als stets hilfsbereite Frau kennen- und schätzengelernt. "Ich bin einfach nur geschockt. Wir hatten bisher immer ein offenes Haus, aber jetzt schließen wir die Türen lieber ab", muss Sabine Sammann die Ereignisse jetzt erst mal sacken lassen und verarbeiten.
Spezialeinsatzkommando vor Ort
Die Polizei war am späten Dienstagnachmittag mit einem Großaufgebot in Fischerhude angerückt. Zu den Kräften der Inspektion Verden/Osterholz kamen Beamte aus Bremen und vom Bereitschaftsdienst. Auch ein Spezialeinsatzkommando war vor Ort. Dutzende Beamte riegelten den Bereich um Fischerhude ab. Niemand sollte unbemerkt rein- oder rauskommen.
Die Lage war zunächst unklar. Die Polizei meldete eine "mögliche Bedrohungslage". Menschen könnten verletzt worden sein. In sozialen Netzwerken machten Gerüchte von Schießerei und Geiselnahme die Runde. Auf Handyvideos waren etliche Einsatzwagen mit eingeschaltetem Blaulicht zu sehen.
Dutzende Polizisten umstellten den Tatort, ein großzügiges Bauernhaus mit Ziegel- und Fachwerkfassade und einem mächtigen Giebeldach. Das Gebäude liegt in der Nähe des Sportplatzes etwas abseits der Straße direkt an der Wümme. Weil unklar war, ob sich der offenbar bewaffnete Täter noch in der Hofstelle aufhielt und dort möglicherweise noch andere Menschen in seiner Gewalt hatte, zögerten die Einsatzkräfte lange, in das Gebäude vorzudringen. Unüberlegtes Handeln hätte fatale Folgen haben können.

Nach den tödlichen Schüssen in Fischerhude hat die Polizei das Haus der Opfer versiegelt.
Fahndung die ganze Nacht
Gegen 20.30 Uhr kam es schließlich zum Zugriff. Ein Spezialeinsatzkommando drang durch ein Fenster in das Gebäude ein. Dort fanden die Beamten die beiden Leichen. Ob der Täter unter den Toten war, konnte die Polizei zu diesem Zeitpunkt nicht sagen. Das bedeutete im Umkehrschluss: Möglicherweise war der Angreifer auf der Flucht. Aufgrund dieses Szenarios suchte die Polizei die weitere Umgebung nach Spuren ab. Die Fahndung zog sich durch die ganze Nacht. Zum Einsatz kamen auch Spürhunde und Drohnen. Fündig wurden die Beamten nicht. Erst mit der Nachricht, dass der 64-Jährige sich gestellt hat, stellten die Polizisten die Suche ein.
Für die für diesen Fall eingerichtete Mordkommission ist die Arbeit noch lange nicht beendet. Die Ermittlungen laufen weiter mit hoher Priorität. Dass der Verdächtige sich gestellt hat, sei nur "ein erster Schritt", sagt Polizeisprecherin Burhop. "Damit können wir etwas Entwarnung geben." Eine unmittelbare Gefahr für die Bevölkerung sehen die Ermittler derzeit nicht.
Tief betroffen von dem Verbrechen zeigt sich derweil auch Ortsbürgermeister Wilfried Mittendorf. Über Facebook hatte sich die Bluttat in Fischerhude wie ein Lauffeuer im Ort verbreitet. "Unser Sohn hatte uns über den Aufruf der Polizei informiert, Fenster und Türen zu schließen", blickt Mittendorf auf die Ereignisse zurück. Die beiden Opfer habe er nicht so gut gekannt, wohl aber den verstorbenen Ehemann der 73-Jährigen. Der Ortsbürgermeister, seit Jahrzehnten fest in Fischerhude und Quelkhorn verwurzelt, habe ein derartiges Verbrechen in seiner Heimat noch nie erlebt. Auch für Polizeisprecher Thomas Gissing sei dieser Einsatz insgesamt "etwas sehr Außergewöhnliches und Extremes" für Fischerhude und auch seine berufliche Laufbahn.