Manchmal gleicht der Weg, der Ausstieg vom Alltag und Einkehr ins eigene Innere verspricht, einem Highway. Dann klingeln Radfahrer Fußgänger aus dem Weg oder zwingen Fußgängergruppen die Radfahrer, das Tempo zu verlangsamen. Wir sind auf dem Jakobsweg unterwegs, auf der weltberühmten Pilgerstrecke nach Santiago de Compostela. Hier, in den Borgfelder Wümmewiesen, ist der Jakobsweg mit dem Mönchsweg identisch, einem insgesamt rund 1000 Kilometer langen Radfernweg, was dazu führt, dass sich Fußgänger und Radfahrer immer wieder begegnen, manchmal sorgt das für ganz schön viel Verkehr auf den schmalen Wegen.
Wer nach Santiago de Compostela pilgern will, muss dafür nicht bis St. Jean Pied-de-Port reisen. Das Dorf an der französisch-spanischen Grenze markiert zwar für viele Pilger den Startpunkt des Jakobsweges. Tatsächlich ist St. Jean Pied-de-Port auch zentral für jeden Jakobspilger, denn hier bündeln sich die vielen Wege, die aus ganz Europa ans Ziel nach Compostela führen. Starten kann man den Jakobsweg aber fast überall vor der eigenen Haustür. Auch in Bremen. Wir nehmen die Borgfelder Kirche als Ausgangspunkt, gehen allerdings nicht Richtung Compostela, sondern entgegengesetzt, durch die Wümmewiesen nach Fischerhude und von dort nach Ottersberg.
Pilgern ist in Mode gekommen. Ende der 80er-Jahre rief der Europarat Städte und Kommunen dazu auf, die historischen Routen wiederzubeleben. Und spätestens seitdem der Entertainer Hape Kerkeling 2006 das Buch „Ich bin dann mal weg“ mit seinen Erfahrungen auf dem Jakobsweg veröffentlicht hat, ist Pilgern in. Pilgern gilt vielen Menschen als spirituelle Erfahrung, als Sinnsuche oder Auszeit vom hektischen Alltag.
Bremen an der Via Baltica
Bremen liegt an der sogenannten Via Baltica, dem baltisch-westfälischen Jakobsweg. Die Via Baltica ist die nördlichste Ost-West-Verbindung im deutschen Wegenetz, beginnt auf der Insel Usedom an der deutsch-polnischen Grenze und reicht bis Osnabrück. Der Radfernweg Mönchsweg wiederum führt auf deutschem Boden von Fehmarn bis Bremen, insgesamt reicht er sogar bis ins dänische Roskilde. Der Mönchsweg verbindet über 100 Kirchen und Klöster. Wanderer wie Radfahrer begeben sich damit auf die Spuren der Missionare, die im Mittelalter das Christentum in den Norden brachten.
Damals waren die Wege nicht ausgeschildert. Die Pilger folgten einfach den Handelsrouten. Heute weisen Aufkleber, Schilder oder aufgemalte Pfeile den Weg. Am berühmtesten ist die gelbe Jakobsmuschel auf blauem Grund. Dabei laufen die Linien der Jakobsmuschel in einem Punkt zusammen, so wie die Jakobswege in Santiago. Das Symbol, das den Mönchsweg ausweist, zeigt in den Farben Blau und Weiß eine Kirche und geöffnete Flügeltüren. Es fordert den Pilger unmissverständlich auf: Komm her und tritt ein.
In Fischerhude liegt die Liebfrauenkirche am Mönchsweg. Zu diesem Zeitpunkt haben wir schon mehr als die Hälfte unserer Strecke bis Ottersberg absolviert. Fischerhude eignet sich perfekt für eine kleine, aber noch besser für eine große Pause. Hier gibt es viel zu sehen. „Bauerndorf“ und „Künstlerkolonie“ wird Fischerhude gern genannt. „Paradiesisch“, „malerisch“ oder „idyllisch“ lauten dann in der Regel die dazugehörigen Adjektive.
Der Ort mit seinen etwas über 3000 Einwohnern ist geschichtsbewusst. Fachwerkhäuser, manche reetgedeckt, sind erhalten, alte Höfe auch. Bekannte Künstler haben hier gelebt und gewirkt, Maler und Bildhauer. Die Namen Otto Modersohn oder Heinrich Breling kennt im Ort fast jedes Kind. Den Werken Modersohns widmet sich ein Museum. Im Rilke-Haus, das heute ein Café beherbergt, lebte einst Rainer Maria Rilkes Ehefrau Clara Rilke-Westhoff mit der gemeinsamen Tochter Ruth. Und nach Breling, in Fischerhude geboren und später unter anderem Hofmaler König Ludwigs II., ist der Weg benannt, der uns Richtung Ottersberg führt, unserem Ziel.

Im Magazin Wanderbar gibt es tolle Routen in der Region und Tipps zum Wandern.
Weitere Informationen
Wer, wie, wo, was, wann
Anreise: Mit der Straßenbahn zur Station Borgfeld. Am Zielort Ottersberg zurück mit der Bahn nach Bremen.
Streckenlänge: 19,9 Kilometer
Dauer: 3:36 Stunden reine Laufzeit
Wegbeschaffenheit: Anfangs durch die Wümmewiesen viel Asphalt, später aber auch unbefestigte und naturbelassene Wege
Vorschläge für die kleine Pause am Wegesrand:
Puppen-Café im Eichenhof, Kirchstraße 10, Fischerhude; montags bis samstags 9 bis 18 Uhr, sonntags 10 bis 18 Uhr
Café im Rilke-Haus, In der Bredenau 81, Fischerhude; geöffnet freitags bis sonntags 13 bis 18 Uhr
Weiterführende Informationen im Netz:
Aufgrund von Corona können sich bei den Öffnungszeiten kurzfristig Veränderungen ergeben.