Sie liebt es, Leute beim Probieren ihrer Kreationen zu beobachten. Wenn sich die Gesichter wohlig entspannen, die Augen leuchten. „Glückseligkeit", sagt sie. Ihr selbst blieb dieser lustvolle Genuss viele Jahre lang versagt. Jutta Köhler-Becker wurde Konditorin, obwohl sie seit ihrer frühen Kindheit Diabetikerin ist. Oder vielmehr: genau deswegen. Ihr Motto unterstreicht das kleine Glück vom Kuchenstück: „Happyness is a piece of cake“. Und dieses Glücksgefühl soll sich aus ihrer Sicht niemand verbieten lassen.
Ihre Manufaktur Edel und Süß produziert in Oyten Hochzeits- und Geburtstagstorten auf Bestellung, bestückt private und geschäftliche Anlässe mit Kuchen, Törtchen, Kleingebäck, Pralinen oder herzhaften Backwaren, die auf Anfrage laktosefrei oder glutenbefreit produziert und mit Angabe der Broteinheiten geliefert werden. „Ich darf nicht, gibts nicht“, sagt Köhler-Becker. „Man kann heutzutage auf vieles Rücksicht nehmen.“

Die Manufaktur Edel und Süß produziert in Oyten Hochzeits- und Geburtstagstorten auf Bestellung Edel & Süß.
Dies zur Klarheit: Edel und Süß stellt keine Diätprodukte her, sondern klassische Confiserie. Schwere Buttercremes ersetzt die Konditorin durch luftig-leichtes Joghurtmousse und arbeitet viel mit frischen Früchten. „Dann kann man hinterher auch noch tanzen“, sagt sie. Mit Zuckeraustauschstoffen arbeitet Köhler-Becker nur, wenn es ausdrücklich gewünscht wird. Dass ihre Torten, Törtchen, Eclairs oder Petits Fours grundsätzlich viel weniger Zucker beinhalten als üblich, hat einen ganz einfachen Grund: „In den meisten Rezepten sind die Zuckermengen viel zu hoch angesetzt. Oft kann man bis zur Hälfte weglassen, ohne dass der Geschmack beeinträchtigt wird", sagt die 43-Jährige.
Broteinheiten zählen, das musste sie schon sehr früh lernen. „Ich konnte schon Nährwerttabellen interpretieren, bevor ich lesen konnte“, sagt Köhler-Becker. Ihre Krankheit wurde im Alter von drei Jahren diagnostiziert. Mit einem Hubschrauber wurde sie damals in die Klinik transportiert, lag tagelang im Koma, die Ärzte wagten nicht, zu prognostizieren, ob und wie die Kleine die Krise überstehen würde. Das war Anfang der 1980er-Jahre, Steinzeit in Sachen Diabetes, sagt Köhler-Becker.
Es folgte eine Kindheit in rigoroser Disziplin. In regelmäßigen Abständen rund um die Uhr der Piks in den Finger, um die Werte zu checken, die Insulinspritzen und selbstverständlich das absolute Zuckerverbot. „Auf Kindergeburtstage wurde ich selten eingeladen, weil niemand das Risiko eingehen wollte." Statt Gummibärchen und Schokolade bekam sie Diabetikerkekse aus dem Reformhaus. „Fürchterlich", erinnert sich Köhler-Becker. Warum sich andere Leute derart über ein Stück Kuchen freuen konnten, sei ihr immer ein Rätsel gewesen. Bis sie im Alter von zwölf Jahren heimlich einen Schokoriegel naschte. „Diese Geschmacksexplosion habe ich nie vergessen“, sagt sie.
Ihr Handwerk lernte Köhler-Becker in einer Stuttgarter Traditionskonditorei. 2014 siedelte die gebürtige Sindelfingerin aus privaten Gründen nach Achim um – „über den Lakritzäquator“, sagt die Schwäbin. Dort machte sich rasch mit ihrem süßen Catering selbstständig. „Ich wurde von Anfang an mit Aufträgen überrollt. Nach einem Jahr wusste ich schon, das schaffe ich nicht allein und stellte meinen ersten Mitarbeiter ein."
Ende 2020 öffnete das Edel-und-Süß-Café im Tabakquartier. Im Sommer dieses Jahres wurde es geschlossen. „Es ist ein cooler Standort, ein cooles Projekt", sagt sie. Doch während die Backstube mit dem Cateringbereich jederzeit sehr gutzutun hatte, fanden nicht genug Gäste ins Café. „Die Bauzeit zog sich viel länger hin als ursprünglich geplant. Die Mitarbeiter der umliegenden Betriebe waren im Homeoffice. Und dann kamen noch die steigenden Energiepreise hinzu", sagt Köhler-Becker.
Just in der Phase, in der sie sich ernsthafte Gedanken darüber machte, ob das Unternehmen noch wirtschaftlich tragbar sei, kam der Lichtblick in Form eines Brautpaares. „Bei der Planung der Hochzeitstorte stellte es sich heraus, dass beide für die Bäckerei Sammann arbeiten“, erzählt die Konditorin. Die Bäckerei, gegründet 1831 in Fischerhude und seit sieben Generationen in Familienhand, betreibt als Sam Urban Baker zehn Filialen, davon drei in Bremen. Man kam ins Gespräch und fand schnell zueinander. „Die Verknüpfung von traditionellem Handwerk und modernem Auftritt – das passt", sagt Köhler-Becker.
Im August dieses Jahres bezog das vierköpfige Edel-und-Süß-Team die eigene Backstube im Betrieb der Sammanns in Oyten. Eine Win-win-Situation für beide Seiten, sagt Köhler-Becker: „Für uns bleibt alles, wie es war, wir arbeiten selbstständig und unabhängig unter unserem eigenen Namen. Gleichzeitig haben wir einen starken Partner und ein großes Team im Rücken, was uns neue Möglichkeiten eröffnet.“ Die Bäckerei wiederum kann ihr Sortiment um ein feines Konditoreiangebot erweitern. Die ersten Testesser sind die Kundinnen und Kunden der Horner Filiale an der Gerold-Janssen-Straße, die anderen Standorte sollen nach und nach folgen.
Grundsätzlich müssen Menschen mit Diabetes heute auf gar nichts mehr verzichten – solange sie ihre Ernährung unter Kontrolle haben. „Ohne Rechnen geht es nicht“, sagt Köhler-Becker. „Aber weil ich bis aufs Gramm genau weiß, was in meinen Produkten enthalten ist, kann ich es für jedes Stück Torte angeben.“ Mittelfristig sollen auch im Verkauf bei jedem Stück die Broteinheiten angegeben werden. „Das ist mein Ziel“, sagt sie. „Denn das macht sonst niemand.“