Der Exodus von Pflegekräften, mit dem viele Krankenhäuser zu kämpfen haben, ist in der Aller-Weser-Klinik (AWK) an den Standorten Verden und Achim bislang ausgeblieben. "Die Lage ist angespannt, aber wir können die gesetzlichen Anforderungen bisher weitestgehend erfüllen", sagt Christine Schrader, die seit 2008 den Pflegedienst der AWK leitet. Die Klinik bemühe sich, die Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten so angenehm wie möglich zu machen. Denn durch die Corona-Pandemie seien die Pflegerinnen und Pfleger zahlreichen zusätzlichen Belastungen ausgesetzt. Die Bemühungen der Klinik zahlen sich nach ihren Worten aus, denn Kündigungen aufgrund der Arbeitsbelastungen durch Corona sind bisher nach ihrer Kenntnis ausgeblieben.
Höhere Belastungen
Dabei sind die Belastungen alleine durch die Corona-Patienten deutlich angestiegen. Wie Christine Schrader es beschreibt, müssen die Pflegekräfte auf der Corona-Station einen Vollschutz tragen. "Dieser Schutzanzug muss ständig getragen und hinterher entsorgt werden. Dazu kommt eine FFP2-Maske und zusätzlich Schutzbrille und Visier." Würden die Patienten beatmet, müssten sie in regelmäßigen Abständen im Bett gedreht werden, auch die Körperpflege und die Ernährung per Schlauch oder Sonde müssten die Pflegekräfte übernehmen. Das Pflegepersonal muss außerdem auf die Mundpflege achten. "Wenn die Patienten nichts mehr essen und trinken, trocknet die Mundschleimhaus aus. Das ist alles ein erhöhter Aufwand, den aber kaum jemand sieht", beschreibt Christine Schrader die Folgen der Pandemie. Bei längerer Bettlägerigkeit steige zudem bei den Patienten die Thrombosegefahr. Insgesamt müssten Corona-Patienten besonders überwacht werden, weshalb auf dieser Station ein höherer Personalschlüssel gilt. Sprich: Eine Pflegekraft ist für vier Patienten zuständig, auf einer normalen Station sind es tagsüber acht Patienten. Auf der Intensivstation kümmert sich jede Pflegekraft um zwei Patienten.
Dies wird durch die sogenannte Pflegeuntergrenzenverordnung geregelt, die vorschreibt, wie viele Pflegekräfte mindestens auf den Stationen eingesetzt werden müssen. So gilt nachts ein anderer Personalschlüssel, beispielsweise sind auf einer normalen Station zwei Pflegekräfte für 30 bis 35 Patienten zuständig. "Bevor die Verordnung in Kraft getreten ist, war es nachts nur eine Pflegerin, insofern hat sich dadurch schon vieles verbessert. Wir sind im Vergleich zu früher an vielen Stellen besser besetzt", zieht Christine Schrader ein zumindest teilweise positives Fazit der gesetzlichen Rahmenbedingungen. Diese Änderungen hätten sich auch positiv auf die Qualitätszahlen der AWK ausgewirkt.
Stellen abgebaut
Trotzdem seien in den vergangenen 20 Jahren viele Stellen im Pflegebereich gestrichen worden, um die Personalkosten zu senken. "Dadurch hat sich ein Frust aufgebaut, den wir immer noch mit uns herumtragen", sagt Schrader, die früher selbst lange als Intensivpflegerin und Stationsleiterin im Einsatz war. Sie kann die Unzufriedenheit vieler Pflegekräfte nachvollziehen, denn "die Gemengelage ist grundsätzlich dramatisch. Wir üben einen hochspezialisierten Beruf mit hoher Verantwortung aus, haben aber kaum Einfluss auf die Rahmenbedingungen." Da in den vergangenen 30 Jahren auch die Zahl der Betten abgebaut worden sei, würden im Grunde nur noch akute Fälle aufgenommen – mit der entsprechend hohen Belastung für den Pflegebereich. "Langzeitpatienten, die sich in der Klinik von der Krankheit erholen, gibt es im Grunde gar nicht mehr. Die Patienten werden behandelt und nach wenigen Tagen entlassen oder in eine Nachfolgeeinrichtung verlegt", sagt Christine Schrader.
Ein großes Thema für die Beschäftigten sei die personelle Besetzung und der Umgang des Unternehmens mit den Mitarbeitern. "Wir sind jedenfalls froh, dass wir sie haben und geben uns viel Mühe, dass sie auch bleiben", betont Schrader. Offenbar wüssten die Mitarbeiter das zu schätzen, denn die meisten hielten der AWK schon seit Jahren die Treue. Zumal die Bezahlung an der AWK, die einen öffentlichen Träger habe, nicht schlecht sei. Pflegekräfte werden dort nach öffentlichem Tarif bezahlt mit einem Grundgehalt für Anfänger von 3000 Euro plus Zuschlägen.
60 Auszubildende
"Es gibt natürlich auch bei uns Fluktuation, aber meist nur, wenn jemand in Rente oder in Mutterschutz geht." Es komme aber vor, dass Mitarbeiter feststellten, dass der Pflegebereich nicht das Richtige sei. "Deshalb empfehlen wir jungen Menschen, die mit diesem Beruf liebäugeln, in jedem Fall ein Praktikum zu machen", rät die 52-Jährige. Pro Jahr machen an jedem AWK-Standort zwischen 70 und 100 Interessierte ein Praktikum. Aktuell absolvieren in der Klinik 60 junge Menschen eine Ausbildung zur Pflegekraft oder zum Pflegeassistenten. "Hinterher machen wir jedem, der die Ausbildung erfolgreich beendet, ein Übernahmeangebot und bieten vielfältige Möglichkeiten, sich beruflich weiterzuentwickeln", verspricht Christine Schrader.
Um den beruflichen Nachwuchs und damit die Versorgung der Patienten zu sichern, ist die AWK auf Berufsbörsen aktiv und informiert in Schulen über das Berufsfeld. "Wir müssen aktiv Werbung machen, denn der Markt an Arbeitskräften in der Pflege ist leergefegt", sagt Schrader. Als Konsequenz muss die Klinik bei Engpässen auf Leihkräfte zurückgreifen, die dann für eine gewisse Zeit das Team verstärken.
Die größte Belastung im Pflegebereich sei generell der Stress, das hohe Tempo auf der Station. "Man macht irgendwas und hat im Kopf schon die nächsten zehn oder zwölf Sachen, die anschließend erledigt werden müssen", so Schrader. Trotzdem könne die Pflege ein Beruf bis zur Rente sein, wenn die Mitarbeiter gelernt hätten, auf sich selbst zu achten und sich nicht zu übernehmen.