Es war eine unübliche Kulisse, in der am Freitag der Anita-Augspurg-Preis vergeben wurde. Für die Ehrung einer Rebellin gegen den Krieg waren die Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit (IFFF) sowie viele Interessierte im Verdener Dom zu Gast. In der Vergangenheit fanden die Feierlichkeiten im historischen Rathaus statt. Das Gotteshaus bot nun allerdings Platz für den erforderlichen Abstand und eine besonders große Zahl an Gästen. Denn so viele wie in diesem Jahr hätten sich noch nie für die Veranstaltung anmeldet, sagte Kathrin Packham, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Verden, bei der Begrüßung.
Im vergangenen Jahr hatte es keine Preisverleihung gegeben. Das habe aber keineswegs an der Pandemie gelegen, erläuterte Packham. Denn nachdem die ersten drei Preisträgerinnen 2017, 2018 und 2019 ausgezeichnet wurden, werde der Rebellinnen-Preis nun im Zwei-Jahres-Rhythmus vergeben. Der Preis ist mit 5000 Euro dotiert, die den Preisträgerinnen helfen sollen, ihre Projekte fortzuführen.
Mit Efi Latsoudi ging die Auszeichnung in diesem Jahr erstmals an eine Europäerin. Die griechische Psychologin setzt sich seit Jahren auf Lesbos für Geflüchtete ein. Sie gründete 2012 das offene Flüchtlingslager Pikpa, in dem sie Hilfen für Frauen, Mädchen und insbesondere Schwangere organisierte. Im Oktober 2020 wurde es von den griechischen Behörden geschlossen – trotz des lautstarken Protestes der Bewohnerinnen und jener Frauen, die den Zufluchtsort gegründet hatten.
"Wir brauchen starke Frauen wie Sie", sagte Daniela Behrens, niedersächsische Ministerin für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung, in ihrem an die Preisträgerin gerichteten Grußwort. Es sei wichtig, Frauen wie sie sichtbar zu machen. Die Namensgeberin des Preises, die in Verden geborene Anita Augspurg (1857 - 1943), habe zu ihren Lebzeiten schon für dieselben Rechte demonstriert, für die Frauen teilweise noch heute streiten. Parität und die Streichung des "Abtreibungsparagraphen" 218 seien nur zwei davon. "Wir alle brauchen einen langen Atem", räumte die Ministerin ein. Augspurg selbst, aber auch jene Frauen, die mit dem nach ihr benannten Preis ausgezeichnet wurden, seien Vorbilder.
Solidarität mit afghanischen Frauen
Auch die drei vorherigen Preisträgerinnen meldeten sich bei der Feier im Dom zu Wort. Per Videobotschaft gaben die Syrerin Zaina Erheim, die Armenierin Gulnara Shahinian und die Jeminitin Rasha Jarhum Einblick in ihre Arbeit. Der Preis richte sich an kritisch denkende Visionärinnen, die sich unermüdlich für Frieden, Freiheit und Frauenrechte auf der ganzen Welt einsetzen, erklärte Madita Standke-Erdmann von der Internationalen Frauenliga schließlich in ihrer Laudatio. Sie war es auch, die aufzeigte, dass eine Flucht auch die Familiengeschichte der Preisträgerin geprägt hatte. Latsoudis Großmutter war einst selbst geflüchtet. 1922 verließ sie die Türkei und ließ ihre Heimat für ein besseres Leben hinter sich.
Ein Jahr bevor sich das Foto eines syrischen Jungen, dessen Leichnam an der türkischen Mittelmeerküste angeschwemmt worden war, in das kollektive Gedächtnis Europas brannte, habe Latsoudis Arbeit für die Geflüchteten auf Lesbos begonnen, gab Standke-Erdmann Einblick in das Engagement der Preisträgerin.
"Bereits 2005 wurde mit klar, dass hinter den wahllosen Schlagzeilen in der Presse über tot aufgefundene, illegale Migrantinnen und Migranten Menschen standen, die auch nach ihrem Tod diskriminiert und vernachlässigt wurden", erklärte Efi Latsoudi. "Damals wurden diejenigen, die die gefährliche Reise oder die systematische Abweisung überlebten, von der Küstenwache festgenommen, von der Polizei inhaftiert und ihrer Rechte beraubt." Latsoudi fragte sich zu diesem Zeitpunkt, was mit den Menschen geschah, die auf der Insel landeten. Sie suchte den Kontakt zu Aktivistinnen und Aktivisten auf den griechischen Inseln und auf dem Festland.
Die Bedingungen für Geflüchtete seien unzumutbar. Es mangele an Wasser und Strom, an Sicherheit und Schutz der Menschenrechte. "Menschen werden unterdrückt und bedroht", kritisierte Latsoudi. Gemeinsam mit anderen Griechinnen und Griechen habe sie ohne Budget das Pipka-Lager auf Lesbos gegründet. Die humane Unterkunft sei ein großartiges Beispiel für gemeinschaftliche Solidarität gewesen. Sie ist überzeugt: "Solidarität ist die einzig wirksame menschliche Lösung für eine Krise." Ihre Solidarität gelte nun auch den Frauen in Afghanistan, die um ihre Rechte und Unversehrtheit fürchten müssen.
Zum Abschluss verewigte sich die Preisträgerin im goldenen Buch der Stadt Verden. Bis zum 16. September wird sie noch drei weitere deutsche Städte besuchen und dort über ihre Arbeit sprechen.