Das hat mal richtig gut getan: Ein ganzer Kabarett-Abend ohne Corona! Tina Teubners Programm "Wenn du mich verlässt, komm ich mit" gab dem höchst vergnügten Publikum in der Verdener Stadthalle Gelegenheit, sich mal ganz auf sich selbst zu konzentrieren. Wie es sich für gutes Kabarett gehört, hielt sie den Jüngern von Selbstoptimierung und Achtsamkeitsgeschwurbel und den Followern des permanenten Medienterrors den Spiegel vor.
Das angekündigte "Feuerwerk der schlechten Laune" ging jedenfalls nach hinten los: So viel gelacht hatten die Zuschauer sicherlich schon lange nicht mehr. Und das, obwohl der Job für die Kabarettistin selbst gar nicht witzig zu sein schien: "Ich bin doch auf Pointen angewiesen, ohne Pointen bin ich beruflich ruiniert!" Doch worüber solle man denn noch lachen? Wo immer sie hinschaue in der Welt, auf all die Krisenherde, die Flüchtlingsströme oder die schmelzenden Gletscher.
Gemeinsam mit dem Pianisten und Komponisten Ben Süverkrüp, der sie seit 20 Jahren auf ihren Tourneen begleitet, feuerte Tina Teubner ein ganzes Arsenal witziger Lieder und Couplets in den Saal, teilweise in so halsbrecherischem Tempo, dass die Besucher all ihre Konzentration benötigten, um keine Pointe und keinen Kalauer zu verpassen.
Von der fiesen kleinen Meckerstimme in uns erzählte der Song "Wenn da nicht diese Stimme wär", und wie sich Teubner und Süverkrüp die misslaunigen Nörgelbälle zuspielten, das war wie Comic-Strip zum Hören.
Bissiger wurde es hingegen beim Thema "Wunschkinder", deren Mütter schon im Kreißsaal mit der Fremdsprache beginnen und in Panik geraten, wenn sich andere Kinder aus der Krabbelgruppe schon eher drehen können. Der Song "Der Emil" beschreibt die Tragödie eines solchen zur Perfektion verurteilten Sprösslings, und sicher musste manch eine der anwesenden Mütter beim Blick in diesen bitterbösen Spiegel durch die Finger schielen!
Den beklagenswerten Zeitgenossen, die mit Leichenbitte-Miene durch die Straßen joggen, um die Folgen des natürlichen Alterns zu verschleiern, und die noch an der Ampel im Stehen weiter strampeln, rief Teubner voll Inbrunst zu: "Hat euch nie jemand gesagt, wie bekloppt das aussieht?"
Immer wieder rückte die Musik ins Zentrum. Am Schluss des Songs "Wenn du mich verlässt", einem so berührenden wie urkomischen Plädoyer für das Zusammenbleiben, schnappte sich die Kabarettistin ihre Geige und ließ sie in schrägen Tönen Mozarts "Kleine Nachtmusik" jammern, immer grade so weit daneben, dass es richtig wehtat.
Beim Song "Sag mir bitte nicht, die Zeit heilt alle Wunden" griff sie zur singenden Säge und ließ das jaulende Vibrato in lupenreiner Intonation bis in die Haarspitzen des Publikums erklingen.
Begeisternd war Süverkrüps pianistisches Solo, entstanden aus dem Gedanken, wie denn wohl die Musikgenies der Vergangenheit mit der Allgegenwart der Medien umgegangen wären. Hätten sie mitten im kreativen Flow ihre neuen Ideen gepostet? Daraus wurde ein herrliches Medley zwischen Moldau und Dancing Queen, in dem sich Bach, Beethoven, Liszt und Wagner von "Merci, dass es dich gibt" oder dem Telekom-Klingelton verdrängen lassen mussten. Mit dem Jingle der Fernsehmaus verneigte sich Süverkrüp vor dem Publikum und erntete begeisterten Beifall und Bravo-Rufe für sein raffiniertes Kabinettstückchen.
Teubners Song "Es wird Zeit" war ein leidenschaftlicher Appell, die Zeit nicht "effizient", sondern für möglichst viele Glücksmomente zu nutzen. Sie forderte ihr Publikum dazu auf, "auf der letzten Strecke endlich Gas zu geben": Endlich an die Sehnsuchtsorte zu reisen, verrückte Dinge zu tun, euphorisch und verschwenderisch zu sein – mit Liebe, versteht sich, und mit Widerstand. "Lasst uns für irgendwas brennen, lasst uns die Stradivari unter den Arschgeigen sein", rief sie in den Saal.
Mit dem Lied "Guten Abend, gute Nacht", so zärtlich wie nur irgend möglich auf der singenden Säge intoniert, verabschiedete sich die Kabarettistin von ihrem begeisterten und ziemlich leer gelachten Publikum.