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Porträt Der letzte Tag im Museum

Björn Emigholz, Leiter des Verdener Domherrenhauses und Stadtarchivs, geht in den Ruhestand und blickt zurück. Aus fünf Jahren sind schließlich 30 geworden.
18.11.2021, 16:01 Uhr
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Von Andreas Becker

Der Schreibtisch ist längst ausgeräumt, die Kisten sind gepackt. Björn Emigholz hat die Tage gezählt, aber jetzt kann er damit aufhören: An diesem Freitag ist der letzte Arbeitstag des Museumsleiters im Domherrenhaus – offiziell geht er allerdings erst zum 1. Dezember in den Ruhestand. "Es wird Zeit", sagt Emigholz. Er habe durchaus Pläne für den Ruhestand und gut zu tun. Langeweile wird er jedenfalls nicht haben, da ist er sicher. Ein Abschied nach 30 Jahren sei auch fürs Museum gut, betont Emigholz. Fraglich sei, ob er nach so einer langen Zeit noch in der Lage sei "mittendrin zu stehen und alle relevanten gesellschaftlichen Veränderungen wahrzunehmen".

Jetzt sollen frische Kräfte ran, denn gesellschaftlicher Wandel muss sich auch im Museum widerspiegeln, davon ist Emigholz überzeugt. "Als ich 1990 hier anfing, war im Domherrenhaus als historischem Museum ein bisschen Nostalgie gefragt", erinnert er sich. "Das ist heute dramatisch anders." In den vergangenen 30 Jahren habe es weltweit viele Kriege gegeben. Dazu kämen gesellschaftliche Konflikte, die Klimakrise sowie demokratische Veränderungen. "Jede Beschäftigung mit Historie ist aber nur sinnvoll, wenn es gelingt, Schlüsse für die Gegenwart und möglichst auch die Zukunft daraus zu destillieren, argumentiert der Museumsleiter. Eine Einrichtung, die sich mit den Zeugnissen der Geschichte befasse, müsse die historischen Sammlungen nutzen, um Fragen an die Vergangenheit zu stellen. "Zum Beispiel, wie früher mit Pandemien umgegangen wurde. Aber auch, wie sich Mobilität im Laufe der Zeit verändert hat. Da wird sich in jedem Fall etwas ändern müssen, sonst klappt das mit dem Klimaschutz nicht", ist Emigholz überzeugt. Eine Funktion von Museen sei auch, altes Wissen wieder verfügbar zu machen.

Selbst erstaunt

Beim Blick zurück in 30 Jahre Domherrenhaus ist er selbst etwas erstaunt, dass er so lange geblieben ist. "Die Stelle war gesplittet zwischen Domherrenhaus und Stadtarchiv und auf fünf Jahre befristet", erinnert er sich an seine Anfänge. "Verden war damals auch ein verschlafenes Nest, sodass ich mir selbst nur fünf Jahre gegeben habe." Beide Tätigkeiten waren anfangs an bestimmte Aufgaben geknüpft. Emigholz sollte dafür sorgen, dass ein geplanter Erweiterungsbau am Museum tatsächlich realisiert werden würde, und aus dem Stadtarchiv sollte er ein funktionierendes Verwaltungsarchiv machen. "Beides war nach meiner Einstellung nicht mehr gewünscht, davon war plötzlich keine Rede mehr", sagt er. Wesentlich später, bereits nach der Euro-Einführung, sei der Erweiterungsbau wieder ein Thema gewesen. "Wir hatten elf Zwölftel des erforderlichen Etats zusammen, aber der Rest war der Stadt zu teuer. Es gab sogar schon einen Siegerentwurf aus einem Architektenwettbewerb. Trotzdem wurde das Projekt wieder beerdigt", erzählt Emigholz, der nicht verschweigt, dass er andere Ausgaben der Stadt zu dieser Zeit "etwas verwundert zur Kenntnis genommen" habe.

Freiheiten genutzt

Im Nachhinein, ist Emigholz überzeugt, habe die Stadt Verden eher wenig Interesse am Museum Domherrenhaus. "Ich habe in 30 Jahren nur drei Arbeitsaufträge von der Stadt bekommen. Offenbar hat es den Stadtrat nicht besonders interessiert, was ich gemacht habe." Das sei anfangs frustrierend gewesen, später habe er die damit verbundenen Freiheiten schätzen gelernt. "Im Rahmen meiner Möglichkeiten konnte ich machen, was ich wollte", sagt er. Notwendige Reparaturen und Sanierungen an der historischen Bausubstanz des Domherrenhauses hätten Stadt und Landkreis immer ohne Murren finanziert, ansonsten sei der Etat des Museums seit 20 Jahren gleich geblieben. "Wir sind über die Runden gekommen, aber große Sprünge konnten wir nicht machen", betont Emigholz. Auch in die historische Sammlung sei kein Geld investiert worden. "Die Sachen stammen aus Schenkungen, Spenden oder Nachlässen", sagt der scheidende Leiter. Insofern sei die Sammlung eher zufällig zusammengestellt worden, durch die Fülle der Stücke seien aber trotzdem interessante Ausstellungen möglich. "Das Haus genießt auswärts einen besseren Ruf als in der Stadt."

Das finanziell enge Korsett änderte sich Mitte der 1990er-Jahre mit der Gründung des Wirtschaftsförderkreises, der dem Museum regelmäßig Geld zur Verfügung stellte und dafür gute Projekte wollte. "Ohne diese Unterstützung würde das Museum innen noch so aussehen wie in der 1990ern", ist Emigholz überzeugt. Zahlreiche Sonderausstellungen sind so entstanden, die auch der Stadt zugute gekommen sind. "Jeder Euro, der in Projekte investiert wird, kommt 3,25 mal wieder zurück. Kultur zieht viele Besucher an."

Im Nachhinein habe Verden viele Chancen nicht genutzt, sich als Stadt mit Geschichte zu inszenieren. "Wilhelm Busch hat jahrelang seine Sommerfrische in Verden verbracht. Auch Karl der Große und Heinrich der Löwe waren verbürgt hier. Aber die einzige historische Persönlichkeit, die mit einer Figur im Stadtbild gewürdigt wird, war nie in Verden: Störtebeker."

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