In einem kleinen Geschäft in der Verdener Innenstadt scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. Pomade, Haarschneidemaschinen, Bücher über das Friseurhandwerk und alte Fotos erinnern in Heinrichs Barbierstube an längst vergangene Jahrzehnte. Im Laufe der Zeit hat der ehemalige Chef Hans-Peter Heinrichs den Salon in ein gut ausgestattetes Friseur-Museum verwandelt. Sowohl der urige Charme als auch der Name sind dem Geschäft erhalten geblieben – obwohl der Friseurmeister das Zepter an seine langjährige Mitarbeiterin Anja Singer übergeben hat.
Die gebürtige Verdenerin ist mit der Barbierstube mehr als vertraut: "Ich saß hier selbst als Kind auf dem Sessel und habe mir die Haare schneiden lassen." Ausgebildet wurde sie bei einem anderen Friseur in Verden, arbeitete zwischenzeitlich in Stedorf und kehrte vor 22 Jahren in die Reiterstadt zurück, um in Heinrichs Barbierstube tätig zu werden. Zwei Jahre hätten sie und ihr ehemaliger Chef an der Umsetzung der Geschäftsübernahme gefeilt. "Ich bin seit fast 200 Jahren die erste Frau an der Spitze und stolz, dass mein ehemaliger Chef mir das zugetraut hat", sagt die 48-Jährige. Heinrichs Barbierstube gibt es seit über vier Jahrzehnten, in dem Gebäude an der Nagelschmiedestraße 10 werden aber schon wesentlich länger Haare geschnitten – seit 1828.
Einen Hang zu Kamm und Schere hat Anja Singer bereits seit Kindertagen. Ihre Mutter habe sich dieses Faible nicht erklären können – in der Familie gebe es sonst keine Friseure. "Ich habe früher viel mit Puppen experimentiert und auch die Haare der Kumpels meines Bruders frisiert", erinnert sich die Verdenerin. "Vor dem Schaufenster des früheren Herrensalons Meyer in der Innenstadt habe ich außerdem immer gerne beim Frisieren zugesehen."
Unterstützt wird die heutige Geschäftsführerin von ihrer langjährigen Kollegin Katrin Kuma. Die zwei Friseurinnen bedienen vor allem Stammkunden, aber auch Touristen begeben sich häufig in die rund 46 Quadratmeter große Stube. "Frauen sind ebenfalls bei uns willkommen, allerdings bieten wir keine chemischen Behandlungen an", informiert Katrin Kuma.
Die Kunden würden vor allem die Historie im Geschäft schätzen und sich an den zahlreichen nostalgischen Gegenständen erfreuen. Von Kleinkindern über Teenager bis zu Senioren ist der Kundenstamm laut den Friseurinnen bunt gemischt. Einige ältere Kunden würden sich sogar seit mehreren Jahrzehnten die Haare an der Nagelschmiedestraße 10 schneiden lassen. "Viele sagen, es ist hier wie bei Oma in der Stube", freut sich Katrin Kuma.
Auch Anja Singer schätzt den traditionellen Flair der Barbierstube: "Ich vermisse nichts aus den herkömmlichen Salons und fühle mich hier sehr wohl." Der Umgang mit den vornehmlich männlichen Kunden sei zudem oft weniger kompliziert. "Wir können frei von der Leber reden und haben ein freundschaftliches Verhältnis", stimmt Katrin Kuma zu. Auch private Dinge seien Gesprächsthemen. "Der Friseur ist ja zusätzlich immer ein kleiner Psychologe", scherzt Anja Singer.
Aber auch die erfahrene Friseurin musste sich nach 33 Jahren als Angestellte in ihre neue Rolle als Inhaberin einfinden. "Ich habe viel mit Behörden zu tun und trage mehr Verantwortung, da musste ich erst einmal umdenken", sagt sie.
Rückschläge im Lockdown
Zuvor machte bereits die Pandemie dem Friseursalon zu schaffen: "Im ersten Lockdown haben wir erst einmal geschluckt und wussten nicht, was uns erwartet", erinnert sich Singer. Vor dem zweiten Lockdown hätten die Mitarbeiterinnen viele Überstunden gemacht, um die finanziellen Löcher zu stopfen. Im Laufe der Pandemie kündigten zudem zwei Mitarbeiterinnen – zu schwer sei es gewesen, sich mit der neuen Arbeitsweise anzufreunden. Das derzeit zweiköpfige Team ist daher noch auf der Suche nach einer Kraft, die nachmittags arbeitet.
"Auch einige Kunden wollten die Regeln nicht akzeptieren und haben sich gesträubt", sagt Anja Singer. Mittlerweile hätten sich aber auch die Klienten an die Vorschriften gewöhnt und seit einem halben Jahr laufe der Betrieb wieder fließend.
Einige Veränderungen bedauern die Frauen dennoch. "Früher hatten wir hier eine Warteecke ohne Termine, wo die Männer miteinander gequatscht haben", sagt Katrin Kuma. "Das war immer laut und lustig und es ist schade, dass es das so nicht mehr gibt." Derzeit sorgen sich die Kolleginnen außerdem um eine mögliche 2G-plus-Regel, die weitere Kunden fernhalten könnte. Dennoch sind die Friseurinnen eigenen Angaben nach froh, dass die Barbierstube trotz der Pandemie geblieben ist – und viele positive Rückmeldungen der Kunden würden bestätigen, dass diese Erleichterung auf Gegenseitigkeit beruhe.