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Ulrike Maaß im Interview „Karate ist mein Leben. Ich mache ja nichts anderes.“

Inzwischen blickt Ulrike Maaß auf mehrere Jahrzehnte im Karate zurück. Erst war sie aktive Kämpferin, nun ist sie Trainerin. Sie ist sehr stolz und glücklich über ihren außergewöhnlichen Werdegang.
13.01.2022, 11:38 Uhr
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„Karate ist mein Leben. Ich mache ja nichts anderes.“
Von Yannik Sammert

Frau Maaß, Sie trainieren mit Stanislav Littich einen Karateka, der im November die Karate-Weltmeisterschaft aufgrund einer schweren Bänderverletzung verpasste. Damals platzte ein großer Traum. Wie kann man seinen Schützling in einer solchen Situation unterstützen?

Ulrike Maaß: Es ist für mich eine komplett neue Erfahrung gewesen, dass sich ein Sportler auf dieser Ebene verletzt. Am wichtigsten ist das Gefühl, nicht alleine zu sein. Ich kümmere mich um ihn, wir sind eng im Kontakt. Es ist wichtig, dass er weiß: Ich bin weiter für ihn da.

Was fasziniert Sie am Trainerjob?

Trainerin wollte ich schon sehr früh werden. Mein Ziel war, Karate so weiterzugeben, wie ich es verstehe. Alles, was ich von meinen Trainern in meiner Zeit als Aktive gelernt habe, wollte ich in einen Topf packen und davon das für mich Beste rausziehen.

Um das dann entsprechend an Ihre Schüler weiterzugeben?

Ja, genau. Meine Schüler zu begleiten, ist meine Leidenschaft.

Vielleicht geben die Ihre Lehre ja sogar irgendwann selbst weiter.

Das ist mein Ziel.

Welche Rolle nimmt Karate in Ihrem Leben ein?

Nach meiner Familie ist es das Zweitwichtigste für mich, Karate ist mein Leben. Ich mache ja nichts anderes als Karate und all dem, was mit Karate zu tun hat.

Was macht den Sport in Ihren Augen so genial?

Am fantastischsten finde ich: Alle sind im weißen Anzug da. Beruf, Finanzen, Status, Familie – das kann man alles nicht erkennen. Man trainiert zusammen. Auch den Kindern ist das völlig egal. Das ist auch mein Ziel, so zu unterrichten, dass es total egal ist. 

Was kann man durch den Sport für das Leben lernen?

Auf jeden Fall dieses „Alle sind gleich“. Aber überhaupt prägt Karate das Leben und verändert die Menschen – Kinder und Erwachsene. Wenn hier jemand ganz schüchtern und unsicher reinkommt, geht er selbstbewusster raus – nicht beim ersten Mal, aber schon, wenn er sich länger mit Karate auseinandersetzt. Umgekehrt ist es auch bei Menschen, die sehr unruhig sind. Sie können beim Karate abschalten.

Wie hebt sich Karate von anderen Kampfsportarten ab?

Das ist schwierig zu sagen, und zwar aus einem ganz einfachen Grund: Die anderen Kampfsportarten sind auch toll. Das Besondere beim Karate ist, dass man Beine und Arme benutzt, nicht nur eines von beidem. Wir können werfen und wir können fegen, man kann zu Boden gehen und man kann treten – das ist eine Vielfalt und Mischung, die mir gefällt. Und Karate hat alles: vom Sport bis zum Meditativen.

1984 haben Sie mit Karate begonnen. Wie sind Sie zum Sport gekommen?

Ich habe drei Brüder. Dadurch wurden sehr viele Filme von Bruce Lee bei uns geguckt. Das hat mich wahnsinnig fasziniert. Ich habe spät mit Karate angefangen, mit einer Freundin. Sie hat eine Woche mitgemacht, aber ich habe es durchgezogen.

Ihre Laufbahn war sehr erfolgreich: Sie waren in der Bundesliga aktiv und Nationalkämpferin, gewannen viele Trophäen. Wie blicken Sie zurück?

Im Nachhinein bin ich vor allem sehr stolz drauf, in der Nationalmannschaft gewesen zu sein. Ich war da mit Abstand die Älteste und bin sehr spät in die Nationalmannschaft gekommen, mit 28 Jahren – das würde heute gar nicht mehr gehen. Ich hatte schon ein Kind und meine Weggefährten haben überlegt, ob sie Abi machen oder nicht.

Wie haben Sie es ins Nationalteam geschafft?

Ich bin aufgefallen, weil ich sehr ehrgeizig bin und nicht aufgebe. Ich wollte einfach immer nur kämpfen. Da haben sie gesagt: „Die ist so verrückt, die laden wir ein. Egal, wie alt sie ist.“

Sie wurden eingeladen, weil Sie aufgefallen sind. Dann etablierten Sie sich. Also werden Sie ja eine starke Leistung gebracht haben?

Genau, ich war technisch nie so gut, aber hatte absoluten Kämpfergeist. Das ist mein großer Vorteil, meine Stärke. Ich bin sehr stolz, meinen Weg gegangen zu sein.

Zeitweise haben Sie auch geboxt.

Als 26-Jährige bin ich zum Training des Verdener Box-Clubs gegangen und die Herren, die da trainiert haben, haben gesagt: „In der anderen Halle trainieren Frauen.“ Ich weiß gar nicht mehr, was es war – Gymnastik oder so. Und ich habe gesagt: „Ich möchte schon boxen.“ Dann habe ich mittrainiert.

Wie ging es weiter?

Der damalige Trainer meinte mal zu mir: „Seitdem du da bist, geben meine Jungs so viel Gas.“ Dass ich ganz gut mithalten konnte, hat wohl motiviert. Ich wollte es mir beweisen, dass ich auch im Ring Boxkämpfe machen kann – konnte ich. Dann ging es nicht mehr, als ich beim Karate in die Nationalmannschaft kam, weil es beim Boxen ja auf Vollkontakt geht und beim Karate auf Semi-Kontakt. Da musste ich mich entscheiden.

Anfangs waren Sie auch im Karate eine von wenigen Frauen.

Der Beginn war ziemlich schwierig. So lange ich nur selber Karate gemacht habe, war es okay. Aber dann rollten die Männer mit den Augen, als ich gesagt habe: „Ich würde gerne Trainerin werden.“ Und als ich dann noch den Verein Bushido Verden gegründet und meinen A-Trainerschein gemacht habe, da haben sie gemerkt: „Die will es wohl ganz genau wissen.“ Irgendwann bin ich ja den Weg in die Selbstverteidigung gegangen. Da habe ich festgestellt, dass ich an die Grenzen der Männer komme, weil es hieß: „Jetzt bitte nicht auch noch uns erklären, wie man Selbstverteidigung macht.“ Das ist jetzt wirklich ganz krass gesprochen, so direkt hat das nie einer zu mir gesagt. Aber ich habe es so empfunden.

Wie ist es heute?

Jetzt bin ich komplett akzeptiert. Da ist überhaupt gar kein Mann mehr, der irgendwas anzweifelt. Überhaupt hat sich einiges entwickelt: Frauen werden im Karate respektiert. Dieser Blick von früher, dieses "Frauen im Kampfsport sind Emanzen“, ist nicht mehr verbreitet. Die Weiblichkeit verliere ich nicht, weil ich Kampfsport mache.

Sie haben eben schon die Gründung von Bushido Verden Ende des letzten Jahrtausends angesprochen. Wie kam es dazu?

Ich wollte den Sport auf Vereinsebene so nach Verden bringen, wie ich ihn verstehe: dass die Hauptsache der Spaß ist – sowohl Richtung Leistungssport als auch Richtung Breitensport. Deshalb haben wir, fünf Verrückte, den Verein gegründet. Wir waren bisher alle immer noch im Vorstand. Nur die Jugendwartin ist jetzt ausgeschieden, das darf man aber auch mit 60.

Haben Sie Ihre Trainertätigkeit bei Bushido Verden begonnen?

Ich war vorher schon bei Bushido Alfeld, für die ich in der Bundesliga kämpfte, als Trainerin aktiv und habe ein paar Kurse gegeben. Dann bin ich in Verden komplett als Trainerin eingestiegen. 

Was würden Sie Menschen empfehlen, die mit Karate beginnen wollen?

Direkt anzufangen, denn jeder Teilnehmer findet seinen Weg. Karate bietet ja alles und kann Ausgleich für stressige Arbeit sein. Andere beginnen mit Karate, um wieder etwas fitter zu werden, auch der Aspekt Selbstverteidigung spielt eine Rolle. Ich wüsste niemanden, für den Karate nichts ist. Auch das Alter spielt keine Rolle. Unser ältestes Mitglied ist 75 und der ist super, unser jüngstes Mitglied vier. In Nicht-Corona-Zeiten sagte ich immer: Reinkommen, mitmachen und gucken, ob es was für einen ist und mit dem jeweiligen Trainer passt.

Wie sieht die typische Karate-Trainingseinheit aus?

Der Hauptteil ist immer unterschiedlich, aber es gibt eine Struktur: Erst Aufwärmen, dann der Hauptteil – das können zum Beispiel Partnerübungen oder das Erlernen von Grundtechniken sein, wo Trainer die Schüler einzeln korrigieren. Und das Ende des Trainings ist bei uns eher etwas zum Runterkommen, bei den Kindern ist es noch mal ordentlich Power.  

Was muss jemand mitbringen, um überdurchschnittlich gut im Karatesport zu werden?

Es steht und fällt mit der richtigen Einstellung – also Wille, Disziplin und Kampfgeist. Das ist das Wichtigste. Aber auch das sind Dinge, die man lernen kann.

Würden Sie sagen, dass Karate Ihnen außergewöhnliche Dinge ermöglicht hat?

Total! Wenn mir irgendjemand bei meinem Beginn mit Karate gesagt hätte, dass ich diesen Weg gehe, hätte ich mich wahrscheinlich kaputt gelacht. Manchmal sitze ich zu Hause und denke: Oha, das hätte ich nie vermutet! Es ist auch toll, was man für Menschen kennenlernt. Irgendwann musste ich mich entscheiden zwischen meinem ursprünglichen Beruf als Restaurantfachfrau und Karate. Ich bereue meine Entscheidung gar nicht.

Das Gespräch führte Yannik Sammert.

Zur Person

Ulrike Maaß (55)

ist eine ehemalige Karateka. Ursprünglich arbeitete Maaß in der Gastronomie. Als aktive Karatekämpferin begann sie damit, sich auf ihre sportliche Leidenschaft zu fokussieren – mit Erfolg. Inzwischen ist das große Hobby ihr Beruf. Die Verdenerin ist Karate-A-Trainerin. Zudem gibt sie seit Jahren Kurse für Selbstbehauptung und Selbstverteidigung. Auch als Referentin für ihre Fachgebiete ist die Niedersächsin tätig. 1997 gründete Maaß Bushido Verden, noch immer ist sie die Vorsitzende des Vereins.

Zur Sache

Ursprung des Sports

Wie Karate entstanden sein soll, wird auf der Internetseite des Deutschen Karate-Verbandes erklärt: „Karate ist ein Kampfsport, dessen Ursprünge bis etwa zum Jahr 500 nach Christus zurückreichen. Chinesische Mönche, die keine Waffen tragen durften, entwickelten aus gymnastischen Übungen im Laufe der Zeit eine spezielle Kampfkunst zur Selbstverteidigung. Diese Kampfkunst galt auch als Weg der Selbstfindung und Selbsterfahrung. Als Sport ist Karate relativ jung: Erst Anfang des vergangenen Jahrhunderts entstand in Japan aus der traditionellen Kampfkunst ein Kampfsport mit eigenem Regelwerk.“ Später wurde Karate weltweit verbreitet.

Auch heute noch spiegelt sich im Karate die ursprüngliche Philosophie wider. Übersetzt bedeutet "Karate-Do" so viel wie "der Weg der leeren Hand". Im wörtlichen Sinne heißt das: Der Karateka ist waffenlos, seine Hand ist leer. Mit dem "Kara" (leer) geht aber auch ein ethischer Anspruch einher. Danach soll der Karateka sein Inneres von negativen Gedanken und Gefühlen befreien, um bei allem, was ihm begegnet, angemessen handeln zu können.

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