Bremen, 29. November 1951: Gegen 13.30 Uhr öffnet der Chefredakteur der Bremer Nachrichten, Adolf Wolfard, seine Post. Er fragt sich, was es wohl mit der geheimnisvollen Paketrolle auf sich haben mag. Ein Weihnachtsgeschenk? Nein, eine Paketbombe, die ihn Sekunden später aus dem Leben reißt. Feuilleton-Chef Werner Wien und die Sekretärin werden durch das Sprengstoff-Attentat schwer verletzt. Was in Bremen zu diesem Zeitpunkt noch niemand wusste: Fünf Stunden zuvor ist bereits im Postamt Eystrup eine Paketbombe detoniert. Sie hat die Mitarbeiterin der Eystruper Marmeladenfabrik Göbber, die 18-jährige Margret Grüneklee, getötet. Und der Verdener Futtermittelfabrikant Anton Höing ist dem Anschlag zur Mittagszeit wegen einer defekten Batterie nur knapp entkommen. Absender der drei Paketbomben ist der als „Tango-Jüngling“ in die deutsche Kriminalgeschichte eingegangene Erich von Halacz.
Natürlich darf auch dieser Kriminalfall nicht bei der neuen Stadtführung von Sabine Lühning fehlen. Unter dem Titel "Mord und Totschlag – Echte Verdener Kriminalfälle" nimmt sie die Teilnehmenden auch an diesem Sonntag, 25. Juli, sowie am Sonntag, 8. August, auf einen rund 75-minütigen Spaziergang durch die Allerstadt mit. Treff- und Ausgangspunkt ist jeweils um Punkt 15 Uhr vor dem Verdener Rathaus. "Das Verbrechen lauert schließlich überall. Überraschend, was sich alles in Verden zugetragen hat", findet Lühning.
Heute unvorstellbar, damals gang und gäbe: Drogenhandlungen. "In der Verdener Drogenhandlung Fritz Walther an der Großen Straße konnten die Menschen Arsen und Quecksilber kaufen", erzählt Lühning und spannt den Bogen zu Verdens Gesche Gottfried, nämlich der Hebamme Schmidt. Die stand 1897 wegen Giftmordes an ihrem Mann in Verden vor dem Kadi. Eigentlich wollte sie auch ihren Schwiegervater meucheln, was ihr jedoch misslang. Sie hatte Quecksilbersublimat in Speisen und Kaffee gemischt. Wo hatte sie das Quecksilber erhalten? Natürlich in der Drogenhandlung.
Neues Leben in Hannover
Auch über den Rathausraser, den Millionenbetrug und den Rathausmord erfahren die Teilnehmenden bei der neuen Stadtführung etwas.
Und was ist aus dem "Tango-Jüngling" geworden? Der Doppelmörder saß bis zu seiner Begnadigung 22 Jahre lang im Zuchthaus, hat dann seine Identität gewechselt und vermutlich in einem Hannoveraner Nobelviertel gelebt.
„Er wollte in Nienburg einen Schallplattenverleih gründen und dafür von den Angehörigen seiner drei Opfer jeweils 5000 D-Mark erpressen“, beschreibt Dieter Reis, Autor des Buches "Nur vom Empfänger persönlich zu öffnen", das Motiv des Bomben-Attentäters. Der Inhaber der Eystruper Marmeladenfabrik Göbber und Anton Höing waren wohlhabende Fabrikanten und mit den Bremer Nachrichten hatte von Halacz Dieter Reis zufolge noch eine persönliche Rechnung offen. Eigentlich wollte er Redakteur werden, doch es gelang ihm nicht, ein Volontariat in Bremen zu ergattern.
Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik wurde damals mit einem Phantombild nach dem Täter gefahndet. Die Paketbombe, die an den Chefredakteur der Bremer Nachrichten adressiert war, hat Erich von Halacz einen Tag zuvor bei der Post in Verden aufgegeben. „Der Schalterbeamte und die Kundin hinter ihm konnten sich im Nachhinein noch gut an ihn erinnern. Aufgrund ihrer präzisen Beschreibungen wurde dann im Auftrag der Bremer Nachrichten ein Phantombild gezeichnet“, erzählt Reis. Franz Richter-Johnson, Illustrator der Tageszeitung, habe es damals angefertigt.
Und wer hat den 22-Jährigen schließlich überführt? Seine Schreibmaschine, eine Urania. Die Aufschrift auf den gefundenen Adressaufklebern war identisch mit den Aufzeichnungen, die in seiner Behausung in Drakenburg gefunden wurden.
Die Führungen durch das "verbrecherische" Verden kosten jeweils neun Euro pro Person. Anmeldungen nimmt Stadtführerin Sabine Lühning unter der Telefonnummer 0 42 31/8 70 95 07 oder per E-Mail an die Adresse info@stadtfuehrungen-verden.de entgegen.