Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Landgericht Verden Eine Frage der Alkoholisierung

Im Prozess gegen einen 22-jährigen Verdener wegen versuchten Totschlags hat der Sachverständige ausgesagt. Es geht um den Grad der Trunkenheit und damit um die Schuldfähigkeit.
17.01.2022, 14:08 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Von Angelika Siepmann

Es besteht kein Zweifel, dass der damals 19-Jährige alles andere als nüchtern war. Aber wie stark war seine Alkoholisierung, als er einer Bekannten einen Arm um den Hals legte und sie laut Anklage würgte, bis sie zu Boden fiel? Dies ist eine zentrale Frage im Landgerichtsprozess gegen den Verdener, aber eine erschöpfende Antwort fällt dem Gericht schwer. Das mutmaßliche Opfer hatte das von etlichen Zeugen beobachtete Geschehen erst nach über eine Woche zur Anzeige gebracht, auf das Ergebnis einer Blutprobe kann nicht zurückgegriffen werden. Der Sachverständige geht jedenfalls von einer „mittelgradigen alkoholischen Beeinflussung“ und einer „sicher erheblich eingeschränkten Steuerungsfähigkeit“ aus.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem in Verden lebenden Angeklagten, wie berichtet, versuchten Totschlag und gefährliche Körperverletzung vor, begangen gegen 1 Uhr in der Nacht zum 24. März 2019 in einer Gaststätte in Schneverdingen (Heidekreis). Nach einem Großteil der Beweisaufnahme und vorläufiger Beratung hat die große Jugendkammer bereits durchblicken lassen, dass sie keinen Tötungsvorsatz erkennen könne. Dass der junge Mann mit den Worten „Ich bring dich um“ handelte, wie die betroffene Frau seinerzeit bei der Polizei aussagt hatte, wurde weder explizit von ihr bestätigt, noch haben Umstehende offenbar dergleichen gehört.

Keine Bewusstlosigkeit

Von kurzzeitiger Bewusstlosigkeit der heute 23-Jährigen kann wohl auch nicht mehr die Rede sein. Eine Freundin, die sich seinerzeit neben der Frau befand, erklärte klipp und klar: „Sie ging zu Boden, war aber nicht bewusstlos“. Herbeigeeilte Beobachter hätten sie „direkt hochgeholt“, sie habe „ziemlich schnell geatmet und geweint“. Polizei und Krankenwagen zu verständigen, habe man „mehrmals“ angeboten, dies sei jedoch abgelehnt worden. Nach etwa zehn Minuten, so die Zeugin, sei sie mit der Freundin zurück ins Lokal gegangen, und man habe gemeinsam bis gegen vier Uhr „weiter getrunken, getanzt und gefeiert“. Zwischendurch sei die Frau allerdings „immer wieder in Tränen ausgebrochen“.

Für den Angeklagten wird viel davon abhängen, welches Ausmaß seiner alkoholischen Beeinträchtigung das Gericht am Ende zugrunde legen wird. Die Staatsanwaltschaft hat schon von vornherein eine Alkoholisierung angenommen, die verminderte Schuldfähigkeit zur Folge hatte. Dies geschah auf Basis des vorläufigen Sachverständigengutachtens vom vergangenen Februar. Da sich die genaue Menge und die Art der konsumierten Getränke nicht mehr feststellen lässt, kommt es besonders auf die Angaben der Zeuginnen und Zeugen zum Zustand des Angeklagten im entscheidenden Zeitraum an. Die Feiergruppe, vor allem frühere Schulkollegen, hatte sich zunächst privat zum „Vorglühen“ getroffen und war im Laufe des Abends in die Gaststätte weitergewandert.

"Keine Suchtproblematik"

Hatte der Sachverständige seine gutachterliche Einschätzung zunächst nur „auf Basis der Aktenkenntnis“ erstellen können, so war es ihm inzwischen auch möglich, den 22-Jährigen im Gerichtssaal zu beobachten und nach dem ersten Verhandlungstag zu untersuchen. Harald Schmidt, forensischer Psychiater und Rechtsmediziner aus Sittensen, kam unterm Strich zu dem Ergebnis, dass bei dem jungen Mann „keinerlei Abhängigkeit, keine Suchtproblematik“ vorliege. Die alkoholische Beeinflussung zur Tatzeit dürfte jedoch „nicht unerheblich“ gewesen sein. Zeugen hätten „deutliche Trunkenheitszeichen“ beschrieben, etwa Koordinationsstörungen und mangelnde Kommunikationsfähigkeit.

Er bleibe aber dabei, so Schmidt, dass eine „mittelgradige“ Beeinflussung bestanden habe, die mit Sicherheit zu einer verminderten Steuerungs- und damit erheblich eingeschränkten Schuldfähigkeit geführt habe. Auf Nachfrage des Gerichts, ob diese auch gänzlich aufgehoben gewesen sein könnte, mithin ein Vollrausch in Betracht komme, sagte Schmidt, dafür habe er nur wenige Anhaltspunkte. Dass der Angeklagte fehlende Erinnerung an das Geschehen geltend mache, sei nicht sonderlich hoch zu werten. Ergänzend erläuterte der Gutachter ganz allgemein: Eine Gedächtnislücke, die nur die Tat ausspare, sei eher als Schutzbehauptung zu interpretieren.

Im Prozess sollen an diesem Donnerstag, 20. Januar, die Plädoyers gehalten und auch schon das Urteil verkündet werden.

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)