Herr Jürgens, am 12. November werden Sie mit Ihrem aktuellen Programm "Alles was zählt" nach Verden kommen. Wie haben Sie die vergangenen 18 Monate erlebt?
So wie die meisten, in einem Wechselbad der Gefühle. Diese Zeit hat ja auch für mich gewisse Erfahrungen mit sich gebracht, eben dass mal alles nicht so läuft, wie man es gewohnt ist. Diese erzwungene Entschleunigung habe ich vor allem in der ersten Zeit sogar als sehr heilsam empfunden. Man hatte ja das Gefühl, die Welt dreht sich täglich immer schneller und dann plötzlich von 100 auf Null. Auf einmal hatte ich richtig viel Zeit, um über vieles nachzudenken. Das hat sich auch auf die alltägliche Lebensbewältigung ausgewirkt: Heute kommt vieles auf den Prüfstand, was früher einfach so durchgelaufen wäre.
Sie sind sonst immer mindestens mit einem Trio unterwegs. Beim Verdener Konzert sitzen Sie ganz allein am Flügel. Warum haben Sie das so entschieden?
Nach so vielen Absagen musste ich einfach anders planen. Ich werde während dieser Tour, also bis Mitte 2022, überhaupt nicht mehr mit Musikern auf der Bühne stehen. Einfach, weil ein Soloauftritt zurzeit viel besser zu planen und zu organisieren ist. Allein auf der Bühne zu stehen, ist mir ja auch nicht so fremd, denn ich hatte schon immer auch solistische Programme. Aber jetzt ging es darum, aus der Not eine Tugend zu machen, und das war eine ganz große Sache für mich. Ich habe sehr viel Zeit gehabt, mich vorzubereiten, und schon nach der ersten Woche, seit die Tour wieder losgehen konnte, genieße ich meine Konzerte richtig. Es fühlt sich gut an, meinen eigenen Bogen behaupten zu können, auf gar nichts achten und nichts absprechen zu müssen. Man agiert ja auch ganz anders auf der Bühne, freier und spontaner, und das löst sich wunderbar ein, auch mit dem Publikum.
"Alles was zählt" ist schon Ihre fünfte Tour und Ihre sechste CD-Produktion. Was hat sich seit 2003 musikalisch und inhaltlich verändert?
Natürlich fließen meine Lebenserfahrungen und die Jahre, die vergangen sind, in meine Musik ein. Man erzählt ja von dem, was man selbst erlebt hat; ich hole in meinen Songs viele Dinge hervor, die in mir sind. Das ist auch 'ne Art Nabelschau, ganz klar. Jede neue Platte ist ein musikalisches Tagebuch, ein Blick zurück. Alles, was sich in meinem Leben entwickelt, kommt in die Songs zurück. Und was die Musik betrifft, da habe ich am Anfang, vor allem bei der Platte "Langstreckenlauf", zuerst die Musik und dann erst die Texte dazu geschrieben. Melodien zu finden, ist mir einfach leichter gefallen. Die Texte waren fast eine Plage für mich. Seit "Heldenzeiten" habe ich es andersherum gemacht, habe mich gezwungen, zuerst die Texte zu schreiben. Die geben dann schon das Metrum vor. Und das hat natürlich auch meine Musik verändert. Melodien erfinden ohne den Zwang einer Botschaft, das ist für mich immer noch sehr lustvoll. Allerdings bin ich ja kein Pop-Musiker, und es geht bei mir immer ums Inhaltliche. Das ist auch der Grund, warum ich in meiner Muttersprache singe.
Ihre Songs handeln vom Leben, von der Liebe, von Sehnsüchten, Hoffnungen und eben von dem, was zählt. Wie wichtig ist es Ihnen dabei, für Ihre Standpunkte einzustehen?
Das beantwortet sich von selbst. Was ich erzähle, das bewerte ich ja auch, das geht gar nicht anders. Das ist die Grundausstattung beim Schreiben: Der Mensch Stefan Jürgens muss immer zu erkennen sein. Wenn ich über die von mir empfundene Außenwelt rede, ist das im übertragenen Sinne immer auch ein Statement, in dem ich das, was dem Privatmenschen auffällt, als eine Art Kunstform emotional gebündelt einbringen kann.
Sie wollten ja seit Ihrer Kindheit Musiker werden, haben Klavier und Kontrabass gespielt und sogar schon eigene Lieder komponiert. Doch mit 18 gingen Sie nach Bochum auf die Schauspielschule und waren danach durchgängig als Schauspieler beschäftigt. Wie kam es zu dieser Berufswahl?
Das hängt damit zusammen, dass ich als Junge zu faul war, um viel Klavier zu üben, und als ich mir dann später gewünscht habe, Musiker zu werden, war der Zug zum Pianisten längst abgefahren. Mit dem Kontrabass konnte ich ja erst als Jugendlicher anfangen, darum habe ich das dann versucht. In dieser Zeit habe ich mal durch einen Bekannten eine kleine Bühnenrolle bekommen, bei der ich Klavier spielen musste, und da habe ich meine Lust zum Theaterspiel entdeckt. Ich hatte ja auch schon gemerkt, dass ich einfach keine Lust habe, vier Stunden täglich im stillen Kämmerlein zu üben. Aber 20 Jahre später ist die Musik dann ja auch wieder durchgebrochen.
Welches waren Ihre Lieblings-Rollen, auf welche Ihrer Filme oder Fernsehproduktionen sind Sie stolz?
Ach, ich habe ja lange Zeit durchaus seriell gearbeitet, bin eigentlich auf alle Arbeiten stolz, auch wenn manche gelungener waren als andere. In "Samstag Nacht" habe ich einige Dinge angestoßen, die vorher nicht da waren, darauf bin ich sehr sehr stolz, das hat dann später ja auch ganz tolle Blüten getrieben. Soko Wien habe ich auch sehr gern gemacht. Aber vor allem bin ich stolz, dass ich in so vielen Jahren alle meine Flausen behalten konnte. Ich fühle überhaupt keine frustrierenden Abnutzungserscheinungen, darüber bin ich richtig froh. Dabei bin ich schon einige Risiken eingegangen im Lauf der Zeit, aber das hat sich immer gelohnt.
Während viele Künstler glücklich waren, in dieser Ausnahmezeit überhaupt etwas zu tun zu haben, haben Sie Ihren Major Carl Ribarski von der Soko Wien ausgerechnet jetzt an den Nagel gehängt. War das schon vor Corona so geplant?
Das hat sich tatsächlich vor Corona schon angedeutet, und im Jahr 2020 wurde es dann sehr konkret in meinem Kopf und vor allem in meinem Bauch. Die Zeit war abgelaufen, und es war gut. Ich habe gespürt, dass mehr davon nicht zu größeren Glücksgefühlen führt. Aber dann hat eine innere Stimme gesagt: Bist du eigentlich bescheuert. Auch viele Freunde haben mir abgeraten, ausgerechnet in dieser Zeit etwas Sicheres aufzugeben. Aber wenn der Bauch gesprochen hat, hat der Kopf zu folgen. Der ist der bessere Ratgeber, und das war bisher für mich immer die richtige Entscheidung.
Sie haben von 1993 bis 1998 mit Wigald Boning, Olli Dittrich und anderen die Satiresendung Samstag Nacht gemacht. Warum haben Sie sich aus dem Genre zurückgezogen?
Nach zehn Jahren am Theater war das damals für mich ein großes Abenteuer. Ich hatte sowas vorher ja noch nie gemacht, und das war ja auch etwas ganz Neues, was man vorher gar nicht kannte. Ich habe dann schnell gemerkt, dass Unterhaltung extrem viel Arbeit macht, aber es war auch eine tolle Erfahrung, mit völlig schrägen und durchgeknallten Typen einfach nur Unsinn zu machen. Das hat mir irrsinnigen Spaß gemacht. Aber als es dann anfing, Routine zu werden, wollte ich das nicht mehr, diesen Zwang, immerzu lustig zu sein. Und außerdem wollte ich dann auch endlich wieder Musik machen. Aber das humorige Herangehen an den Alltag, das hab ich beibehalten. Da hab ich auch viel aus Österreich mitgebracht, die haben viel mehr Alltagshumor als die Deutschen, und das fließt auch immer wieder in meine Auftritte mit ein.
Erst vor 20 Jahren sind Sie auch beruflich zur Musik zurückgekehrt und seitdem auf der Musikbühne genauso wie vor der Kamera präsent. Gibt es dazu eine Geschichte?
Ja. Das war in einer Phase, in der ich gar nicht mehr damit gerechnet hatte, mit meiner Musik öffentlich zu werden. Ich hatte für die Hochzeit eines Freundes einen Song geschrieben, und da war auch der Musikproduzent Curt Cress eingeladen. Das war einer der Lebenszufälle, die man als Künstler braucht, und seitdem bin ich entweder mit meiner Musik auf der Bühne oder im Studio, oder ich stehe vor der Kamera. Dabei gibt es nicht "jetzt denkt der Musiker" und "jetzt denkt der Schauspieler", sondern alles befruchtet sich gegenseitig. Früher habe ich oft tagsüber gedreht und bin abends aufgetreten, aber das hat sich jetzt alles besser in Blocks organisiert, und ich empfinde es als großes Geschenk, so vielseitig arbeiten zu können.
Für Ihre Auszeichnungen brauchen Sie bald ein eigenes Zimmer. Bambi, Bayerischer Fernsehpreis, Goldener Löwe und Romy sind nur die wichtigsten. Was bedeutet Ihnen Ruhm?
Ruhm oder besser Bekanntheit ist dann von Vorteil, wenn man dabei seine Träume und Möglichkeiten frei ausschöpfen kann. Aber berühmt zu sein, heißt auch im Fokus zu stehen, immer unter Beobachtung zu sein. Klar tut es gut, Anerkennung zu bekommen, man hat ja auch eine gewisse Eitelkeit. Aber mit dem Ruhm an sich kann ich gar nichts anfangen, und vor allem bin ich nicht bereit, für meine Öffentlichkeitswirkung jeden Preis zu zahlen. Da wird dann ja auch das Private reingezogen, und ich will selbst entscheiden, was ich von mir offenbaren will.
Eigentlich sind Sie in den Metropolen Berlin und Wien zu Hause, aber sie haben sich ausgerechnet in der brandenburgischen Prignitz einen alten Bauernhof gekauft. Was hat Sie an der ostdeutschen Provinz fasziniert?
Also erstmal ist es nahe an Berlin, ich kann schnell dort sein. Dann ist es die Natur, die Menschen um mich herum, mit denen ich zusammen lebe, die Ruhe, die Landschaft, die Konzentration fernab von der Großstadthektik. Hier kann ich zu mir kommen. Heimat ist da, wo Gefühle sich bündeln, und in Brandenburg fühle ich mich sehr zu Hause.
Sie haben sich da aber nicht nur einen Rückzugsort geschaffen, sondern auch Ihren so genannten "Klangstall" eingerichtet, den Sie seit 2020 mit anderen Musikern und auch mit Comedians bespielen. Wie kriegen Sie die Balance zwischen Privatem und Beruflichen hin? Oder brauchen Sie gar keine?
Oh doch, die brauche ich schon. Aber das ist alles eine Frage der Struktur und der richtigen Einteilung. Die Stallkonzerte haben für mich überhaupt nichts von Stress oder Hektik, und übrigens ist der Raum gar nicht beheizbar, so dass man da sowieso nur ab dem Frühjahr was machen kann. Und wenn wir dort eine Produktion machen, dann ist das zugleich ein Treffen mit Freunden, und das ist dann für mich auch ein Stück Privatleben und Freizeit.
Das Interview führte Susanne Ehrlich.