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Tag der Archive Verden Schatzsuche in alten Dokumenten

Tag der Archive in Verden: Die Sammlung der Stadt und des Landkreises zeigen seltenes Material. Dabei wird auch das Leben in Verden während des Nationalsozialismus dokumentiert.
06.03.2022, 14:08 Uhr
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Von Susanne Ehrlich

Alles andere als staubtrocken war die Präsentation der beiden Verdener Kommunalarchive am bundesweiten "Tag der Archive" in der Verdener Stadtbibliothek. Unter dem Motto "Fakten – Geschichten – Kurioses" zeigten das Kreis- und das Stadtarchiv, wie man in der Fülle der Dokumente, die dort gelagert sind, auf Schatzsuche gehen kann, um der Vergangenheit unserer Region mit all ihren Menschen, Ereignissen und Entwicklungen ein Stück näher zu kommen.    

Kreisarchivar Florian Dirks und Stadtarchivarin Wencke Hinz hatten den Tag in diesem Jahr gemeinsam gestaltet. Der Saal der Stadtbibliothek bot sich dazu an, und so gab es ein gut durchdachtes Sortiment spannender, überraschender, skurriler und nachdenklich stimmender Dokumente aus der Stadt Verden und dem sie umgebenden Landkreis.

Großflächige Präsentationen

Präsentationen auf großflächigen so genannten Roll-Ups zeigten die Aufgaben und Leistungen des Kreisarchivs aber auch eine Gegenüberstellung nationalsozialistischer Verbrechen an Verdener Juden mit heutigen rechtsradikalen antisemitischen Aktivitäten. Außerdem gab es jede Menge alter Dokumente zu betrachten. Auf Tischen lagen frei zugängliche Ordner, bei deren Durchblättern Interessierte eine eindrucksvolle Reise in die Vergangenheit machen konnten.

"Der Tag der Archive wird im Zweijahres-Rhythmus vom Verband deutscher Archivare und Archivarinnen veranstaltet", erklärte Dirks, "um die Archive in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken." Alle Dokumente, die hier lagern, seien, anders als in Bibliotheken, Unikate, die nur hier zu finden seien.

Dirks wies darauf hin, dass sich alle Verdener aufgerufen fühlen dürften, alte private und öffentliche Dokumente sowie Foto- und Filmmaterial aus Verden und der Region in die Archive zu geben. Wenn zum Beispiel ein Nachlass aufgelöst werde, sei so manches zeitgeschichtliche Dokument zu schade zum Wegwerfen. Dabei gebe es sowohl die Möglichkeit der Schenkung oder des Depositums, und selbstverständlich sei die besondere Sorgfalt im Umgang mit persönlichen Daten gewährleistet.

An die Öffentlichkeit gekommen

Stadtarchivarin Wencke Hinz freute sich darüber, "mal aus unserem kleinen Kämmerchen zu kommen" und der Öffentlichkeit die Archive und ihre Aufgaben zu zeigen. "Das Aufbewahren ist schließlich ein wesentlicher Teil von Geschichte", ist sie überzeugt. Und das könne auch viel Spaß machen, weil man dabei immer mal wieder auf Kuriositäten stoße. Sie zeigte auf einen überdimensionalen Schlüssel: "Der wurde mal mitten zwischen alten Dokumenten gefunden. Möglich, dass es ein alter Rathausschlüssel war." Schlösser, zu denen es keinen Schlüssel mehr gebe, gebe es ja überall. Da sei ein "Schlüssel ohne Schloss" doch mal etwas Besonderes. Einige alte Buchbindungen zeugen von der wichtigen Arbeit der Restauratoren, mit denen es seit jeher eine enge Zusammenarbeit gebe: "Sie helfen uns, die Bestände über Generationen zu erhalten", erklärte Hinz. 

In einem großen Aktenordner waren bedrückende Dokumente aus dem Verdener Alltag des Nationalsozialismus und der Nachkriegszeit zu finden. Da gab es einen Wahlzettel für den "Gau Osthannover", zu dem Verden damals gehörte, auf dem man nur eine einzige Partei ankreuzen konnte, und ein Dokument über ein Todesurteil über den "Volksschädling" Jan Masurek. Staunen konnten die Besucherinnen und Besucher über die  "Kleidermarken für fliegergeschädigte Frauen" aus dem Jahr 1946, mit denen die Frauen Anspruch auf ein Nachthemd, einen Büstenhalter, einen Schlüpfer und drei Taschentücher erheben konnten oder über den Aufruf zum Torfstechen unter dem Motto "Frieren oder freiwillig mithelfen" aus dem Jahr 1947.

Die Praktikantinnen Sophia Mandel, Studentin der Informationswissenschaften, sowie Ariane Muhl, Auszubildende der Stadtbibliothek, hatten maßgeblich an der Auswahl und Gestaltung der kleinen Ausstellung mitgewirkt. Sie hatten auf einer großen Stelltafel besonders interessante Funde zusammengestellt. Da gab es zwei Seiten aus dem Kriegstagebuch eines Verdener Schülers, zwischen denen sie ein vollständig intaktes Kleeblatt gefunden hatten. "Faszinierend, dass so etwas Altes so gut erhalten geblieben ist", sagte Ariane Muhl. Dieses persönliche Zeichen eines junges Soldaten habe sie eigentlich deswegen so berührt, weil es für sie ein Gruß "aus tiefster Vergangenheit" gewesen sei. "Doch jetzt wachen wir auf einmal auf", ergänzte Sophia Mandel, "und erleben, dass so etwas mitten in unserer Zeit passieren kann." 

Schmierpapier von 1641

Ariane Muhl zeigte ein weiteres interessantes Blatt, das mit alten deutschen Schriftzeichen und -Figuren übersät ist. "Das sind offenbar Schreibübungen aus dem Jahr 1641, also einfach Schmierpapier, und es steckte als Deckelverstärkung im Einband eines alten Buches". Lustig fand Mandel die Photographie des Stadtschreibers Carl Meyer bei der Arbeit im Archiv aus dem frühen 20. Jahrhundert. "Der arbeitet mit alten Dokumenten und qualmt dabei gemütlich seine Pfeife."

Die beiden jungen Frauen können sich für ihre derzeitige Aufgabe richtig begeistern. Sie haben sogar einen kleinen Film über die vielfältigen Möglichkeiten der Archivrecherche gedreht und ihn in den sozialen Medien veröffentlicht. Darin verfolgen sie die Spur des Verdener Bürgers Helmut Hermann Koren, geboren 1908, von der Geburt über Berufswahl, Heirat und seine verschiedenen Wohnsitze bis zu seinem Tod. "Dabei ist ein ganzes Netz aus Lebensdaten entstanden", so Sophia Mandel, "die alle zusammen eine Geschichte erzählen." Der Film ist auf Instagram unter @stadtarchiv.verden. zu finden.

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