Ein Herold auf zwei Rädern bringt frohe Kunde von einem neuen Musikfestival: Hans-Joachim Rolf, Landeskirchenmusikdirektor der Landeskirche Hannovers, ist derzeit entlang des Weserlaufs zwischen Hannoversch-Münden und Bremerhaven unterwegs, um die Signets der Weserfestspiele an jedem einzelnen Festspielort persönlich zu überreichen.
Als Rolf vor dem Verdener Dom einrollt, bringt er eine kräftige Brise mit. Doch er ist Schlimmeres gewöhnt: "An der Oberweser bin ich in der vergangenen Woche sogar durch den Schnee gefahren", erzählt der sportliche Kirchenmusiker, der allerdings auf längeren Strecken immer mal in die Bahn steigt. "Ich mache diese Tour, damit die Ankündigung der Festspielorte einen offiziellen Charakter erhält – und einen gewissen Charme dazu."
An diesem Tag sind außerdem der Verdener Dom, das Domgymnasium und die Freilichtbühne Daverden Stationen seiner Reise. Kirchenmusikdirektor Tillmann Benfer, Kreiskantorin Regine Popp und Musikpädagogin Vanessa Galli nehmen die azurblauen Schildchen im Empfang – Startzeichen für ein besonderes Festival, das die ganze Vielfalt der Kirchenmusik im Bereich der Landeskirche Hannovers und ihrer angrenzende Regionen zeigen will. Der Landkreis Verden kann sich mit dem Verdener Dom, der Achimer St.-Laurentius-Kirche, dem Domgymnasium Verden, der Daverdener Freilichtbühne, dem Schloss Etelsen und dem Erbhof Thedinghausen an gleich sechs Orten präsentieren.
Zeichen stehen auf Entspannung
Erst seit kurzer Zeit sind die meisten Konzerte in trockenen Tüchern. "Wir mussten ja gut überlegen, wie und wann welche Veranstaltung unter welchen Bedingungen starten kann", erklärt Rolf. "Aber jetzt stehen die Zeichen doch auf Entspannung, und wir haben große Zuversicht, dass alle Veranstaltungen so durchgeführt werden können, wie wir sie jetzt planen." Eigentlich sollten die Festspiele bereit 2020 stattfinden. "Als wir sie damals auf 2022 verschoben haben, dachten wir, Corona wäre dann längst Geschichte."
Auch Domkantor Benfer kann nach einer langen Kette von unglücklichen Ausfällen aufatmen: In der letzten Phase seiner Amtszeit wird es noch einmal viel Musik geben. Am Himmelfahrtstag ist im Zuge des Weser-Festivals ein besonderes Event geplant. "Auf einem Entdecker-Nachmittag sollen vor allem junge Menschen die Gelegenheit erhalten, die Orgel in ihrer ganzen Vielfalt kennen zu lernen." Da darf ausprobiert und nachgefragt werden, und Benfer hält eine weitere tolle Attraktion bereit: "Wir haben ein Orgel-Modell als Bausatz organisiert, und werden in einem Workshop unsere eigene kleine Orgel erbauen."
Im Anschluss an die Entdeckerstunden wird es dann bis in die Nacht hinein Orgelmusik mit mehreren Interpreten geben, unter anderem Stücke von César Franck, dessen 200. Geburtstag am 26. Mai gefeiert wird.
Als weitere Veranstaltungen im Dom nennt Benfer die Bach-Kantate Nr. 117 zum Mitsingen, einen Jazz-Gottesdienst zu Pfingsten und das große "Aller-Singen" mit Kreis-Popkantor Michael Keding und seiner Gospel Connection im Dom-Innenhof. Auch hier kann jeder, der mag, mitsingen.
Mit Mendelssohns Oratorium "Elias" wird Benfer am 29. Mai seinen musikalischen Abschied geben. "Bis dahin muss allerdings noch viel gearbeitet werden", weiß Benfer. "Wir durften gerade erst wieder anfangen zu proben."
Musikalische Radtour
Auch im Nordkreis ist von Mai bis Anfang Juni allerhand los. Am 15. Mai heißt es "Musik liegt in der Luft". Regine Popp und Fremdenführerin Margret Reinecke haben eine musikalische Radtour zu historischen Plätzen im Landkreis organisiert. Der Posaunenchor von St. Laurentius und Michael Kedings Gospel Connection werden an den vier Spielstätten St.-Laurentius-Kirche, Schloss Etelsen, Freilichtbühne Daverden und Erbhof Thedinghausen musizieren. Das sind die Stationen der circa vierstündigen geführten Tour, für die auch die Weserfähre nach Thedinghausen genutzt wird. "Zum Abschluss wird es an St. Laurentius einen gemeinsamen Abendchoral geben", verspricht Regine Popp, die gerade die Schildchen mit dem Festspiel-Signet aus Hans-Joachim Rolfs Hand entgegengenommen hat. Eines davon leuchtet bereits am Eingang der Freilichtbühne in Daverden, wo die Kreiskantorin einen Open-Air-Himmelfahrts-Gottesdienst organisiert hat. "Dort werden die Posaunenchöre von St. Laurentius, Baden und Daverden gemeinsam musizieren", kündigt die Kantorin erfreut an.

Die Daverdener Freilichtbühne ist einer der Schauplätze der Weserfestspiele.
Ein weiteres Schild kann man an der Achimer St.-Laurentius-Kirche finden. Hier gibt es am 3. Juni das Gesprächskonzert "Blockflöte im Dialog" mit Musik aus verschiedenen Jahrhunderten vom Blockflötenensemble St. Laurentius und den Solistinnen Martina Bley an verschiedenen Blockflöten sowie Susanne Peuker an Laute und Chitarrone.
Es geht nicht um große Namen
Bei den Weserfestspielen gehe es ausdrücklich nicht um Auftritte großer Namen für teures Geld, stellt Hans-Joachim Rolf klar. Im Gegenteil sei es Absicht der Organisatoren, die ganze Vielfalt der Kirchenmusik mit all ihren Kantoreien und Kammerchören, Gospelchören und Bands, Posaunenchören und Orchestern, Kinder- und Jugendchören, Flötenkreisen und Instrumentalensembles zu zeigen. Mit der Vision Kirchenmusik, dem Modellprojekt für Musikvermittlung hat die evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers im Jahr 2014 eine bundesweit einzigartige Organisation für innovative Kirchenmusik-Angebote geschaffen. Die Weserfestspiele sind dabei nur eines von vielen spannenden Projekten. Ungewöhnlich ist auch, dass die Akteure nicht nur aus dem Bereich der Kirchenmusik kommen sollen: Auch Schulen und viele andere Musikpartner wurden eingeladen. Und so konnte auch Musikpädagogin Vanessa Galli ein blaues Schildchen am Portal des Domgymnasiums anbringen. Mit ihrem Kammerchor und der Capella de la Torre, einem Spezialisten-Ensemble für Alte Musik, bereitet sie einen Konzertabend unter dem Titel "Faszination Renaissance" vor. Beteiligt sind auch verschiedene weitere Arbeitsgruppen von Schülern, die sich in den Fächern Religion, Kunst, Geschichte und Astronomie mit dem Thema Renaissance beschäftigt haben und den Konzerttag am 5. Juni mit der Präsentation vielfältiger spannender Ergebnisse bereichern werden.
"Das sind so viele tolle Ideen", freut sich Hans-Joachim Rolf, bevor er sich vom Sturmtief Ylenia Richtung Heimat wehen lässt. "Und alles ist eingebunden in ein großartiges Gesamtkunstwerk!"