Lange Zeit war es ruhig um das Thema Erdgasförderung im Landkreis Verden. Seit dem Erdbeben in der Nacht zu Montag mit einer Magnitude von 2,9 im Raum Langwedel wird der Ausstieg aus der Gasförderung wieder von allen Parteien aufs Tapet gebracht und zu einem heimischen Wahlkampfschlager. Grünen-Politikerin Lena Gumnior, die sich um das Direktmandat im Bundestagswahlkreis 34 (Osterholz-Verden) bewirbt, hatte zum Vor-Ort-Termin an der Förderstätte am Panzenberg sogar prominente Unterstützung aus Berlin mitgebracht. Gemeinsam mit der energiepolitischen Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Julia Verlinden, hat die Kreisosterholzerin einen Forderungskatalog zum Ausstieg aus der Erdgasförderung vorgelegt. Darin sprechen sich die beiden Politikerinnen für eine umfassende Energiewende, sprich den Ausbau der Erneuerbaren und den Aufbau einer grünen Wasserstoffwirtschaft für die Industrie aus. Um mehr Strom zu produzieren, regt Verlinden beispielsweise auch den Bau höherer Windräder an.
Außerdem fordern die beiden Frauen eine "unabhängige und transparente Überprüfung von Gasinfrastrukturen und Förderstellen sowie ein effektives Monitoring, um Methan-Leckagen und Methan-Schlupf in allen Bereichen bestmöglich auszuschließen". Dazu Lena Gumnior: "Methan hat eine 34 bis 86 Mal höhere Treibhauswirkung als Kohlendioxid."
Verlinden spricht sich gegen die Subventionierung von Gasheizungen ("Verbrenner im Keller") und die Umwandlung von Kohle- in Erdgaskraftwerke aus. Statt einen Umweg zu gehen, solle die Politik lieber gleich auf die Erneuerbaren setzen und keine weiteren Gaskraftwerke bauen. Die Mitglieder der Ökopartei sind gegen die Verlegung von Gasleitungen in Neubaugebiete und setzen stattdessen auf Solarthermie und Wärmepumpen. Als positives Beispiel führt Verdens grüner Fraktionsvorsitzender Rasmus Grobe den aktuellen Entwurf für das Projekt neue Stadtkante in Verden an, der auf erneuerbare Energien setzt. Außerdem wünschen sich die Politiker, dass das LBEG (Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie) künftig dem niedersächsischen Umweltministerium angegliedert wird.
Sorge um das Trinkwasser
Gumnior würde "lieber gestern als erst 2036" aus der Erdgasförderung ausgestiegen sein. Das Ende der Gasförderung sei nicht nur zur Einhaltung des 1,5 Grad-Ziels geboten, auch die massiven Auswirkungen auf die Menschen in der Region – Erdbeben und eine Gefährdung des Trinkwassers – machten den schnellstmöglichen Umstieg auf Erneuerbare alternativlos.
Sowohl die grünen Kreistagsmitgliedern als auch Udo Paepke vom Bund für Umwelt und Naturschutz sorgen sich nach dem wiederholten Beben um den Schutz des Trinkwassers. Mit dem Wasser aus dem Panzenberg werde schließlich auch Bremen versorgt. "Hier im Trinkwasserschutzgebiet wurden in tausend Metern Tiefe hunderttausende Kubikmeter Lagerstättenwasser verpresst", erinnert Völkersens Ortsbürgermeister Andreas Noltemeyer (Grüne). Er plädiert für die übertägige Entsorgung von Lagerstättenwasser, "damit man auch wieder ran kann".

Im Trinkwasserschutzgebiet Panzenberg wird Erdgas gefördert.
"Leider ist nicht erkennbar, dass Wintershall Dea die Erdgasförderung im Landkreis Verden, übrigens nach eigenem Bekunden ihre Kernregion der Erdgasförderung in Deutschland, nun endlich einstellt und damit die Ausgangslage der Erdbeben beendet", erklärten die kreisweit aktiven Bürgerinitiativen (BI) gegen Gasbohren nach dem jüngsten Erdbeben. Rückendeckung bekommen die BI vom heimischen Bundestagsabgeordneten Andreas Mattfeldt von der CDU: "Wir müssen sofort aus der Erdgasförderung aussteigen, 2036 ist viel zu spät", sagt er.
Nach dem "seismischen Ereignis" im Raum Langwedel sind nach Angaben des Energieversorgers Wintershall Dea bislang rund 150 Schadensmeldungen eingegangen, die "zeitnah und unbürokratisch" reguliert werden sollen. "Die Produktion im Erdgasfeld Völkersen/Völkersen-Nord wird nicht weiter ausgebaut und bis 2036 ganz auslaufen. Neue Produktionsbohrungen werden wir in diesem Feld nicht mehr niederbringen", bekräftigt Mark Fischer, Sprecher für den Förderbetrieb Nord, noch einmal und ergänzt: "Alle Bohrungen, Anlagen und Betriebsplätze werden in den kommenden Jahren sukzessive und vollständig zurückgebaut, die betroffenen Flächen rekultiviert und den Eigentümern zur Nutzung freigegeben."
Der Ball liegt beim Bund
Bis 2036 sind es noch 15 Jahre. Im Frühjahr dieses Jahres hatten die rot-schwarze Landesregierung, die Wasserverbände, die Sozialpartner und die Förderindustrie vereinbart, dass es keine Neubohrungen in Wasserschutzgebieten mehr geben werde. Doch wie verhält es sich mit den Bestandsbohrungen? Die heimische Landtagsabgeordnete Dörte Liebetruth (SPD) erläutert den landespolitischen Stand der Dinge: "Um die Sicherheit bestehender Förderstätten zu erhöhen, haben die BI in den vergangenen anderthalb Jahren auf meine Einladung hin am Konzept einer mehrjährigen repräsentativen Messkampagne des Landes rund um Erdgasförderstätten mitgearbeitet. Mich freut sehr, dass die Landesregierung das aufgegriffen hat", erläutert Liebetruth. Im Entwurf der Landesregierung für den Doppelhaushalt 2022/2023 seien insgesamt 1,9 Millionen Euro für eine Messkampagne zum Emissionsmonitoring rund um Erdgas- und Erdölförderplätze vorgesehen. Die Konzeption des Monitorings sei auf den Zeitraum von 2022 bis 2030 ausgelegt. Die gewonnenen Messergebnisse sollten auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
Ein rechtssicheres gesetzliches Verbot der Erdgasförderung in Wasserschutzgebieten wäre ihrer Ansicht nach am ehesten auf Bundesebene – zum Beispiel im Wasserhaushaltsgesetz – möglich. "Gar keine Förderung in Wasserschutzgebieten wäre für den Trinkwasserschutz wie auch den Schutz unserer Region vor Erdbeben der sicherste Weg", appelliert sie noch einmal an den Energieversorger, seiner Verantwortung gegenüber Mensch und Umwelt nachzukommen.