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Bürgerbewegung Campact sitzt in Verden Politik aus der Provinz

Felix Kolb ist promovierter Politikwissenschaftler, Mitbegründer und Geschäftsführer von Campact in Verden. Anna Zacharias sprach mit dem 42-Jährigen über Bürger, Bewegung, und Politik.
25.08.2016, 00:00 Uhr
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Politik aus der Provinz
Von Anna Zacharias

Felix Kolb ist promovierter Politikwissenschaftler, Mitbegründer und Geschäftsführer von Campact in Verden. Anna Zacharias sprach mit dem 42-Jährigen über Bürger, Bewegung, und Politik.

Campact ist eine bundesweit aktive Organisation. Ist eine kleine Stadt wie Verden da nicht ein denkbar ungeeigneter Standort?

Felix Kolb: Das ist immer wieder Grund für Verwunderung. Aber ich finde es gut, dass wir hier sitzen, denn die meisten Menschen wohnen schließlich nicht in Berlin. Politik sollte nicht für Berliner gemacht werden, sondern auch für Menschen, die in Städten wie Verden oder Achim leben. So gesehen haben wir auch Vorteile dadurch, dass wir nicht in den Berliner Polit-Betrieb eingebunden sind. Wir werden zwar nicht zu Cocktail-Partys eingeladen, sind aber auch unabhängiger. Wir sind eine Bürgerbewegung und dazu passt es auch, in der Provinz zu sitzen.

Sind denn Ihre Mitarbeiter mit dem Standort zufrieden?

Der Arbeitsmarkt ist hier nicht optimal, das stimmt. Aus diesem Grund wohnen auch viele unserer Mitarbeiter weiter in Hamburg oder auch Berlin, und sind nur zwei Tage in der Woche in Verden. Ansonsten läuft bei uns auch viel über Chatprogramme und Videokonferenzen. Ich selbst habe lange in Dörverden und auch Verden gelebt, wohne inzwischen aber in Bremen.

Wie viele Unterstützer haben sie in der Region und für welche Themen interessieren sich die Menschen hier am meisten?

Im Landkreis Verden sind es rund 3000 Menschen. Das ist auch in etwa der bundesdeutsche Durchschnitt. Grundsätzlich kann man sagen, je ländlicher es wird, desto weniger Mitglieder haben wir.

Welche Themen interessieren ihre Verdener Mitglieder am meisten?

Sie interessieren sich zur Zeit – wie auch der Bundesdurchschnitt – am meisten für den Protest gegen die Freihandelsabkommen. Die Vorbereitungen der Großdemos gegen Ceta und TTIP in sieben Städten sind im Moment auch der absolute Schwerpunkt der Arbeit hier.

Der Brexit hat gezeigt was passieren kann, wenn man die Bevölkerung direkt fragt – glauben Sie, dass das Volk derart wichtige Entscheidungen überhaupt einschätzen kann?

Ich finde die Abstimmung in Großbritannien einzuberufen, war ein Fehler und ein rein taktisches Manöver. Aber wir als Campact befürworten grundsätzlich direkte Demokratie. Wenn man Volksabstimmungen infrage stellt, könnte man auch Wahlen allgemein in Frage stellen – schließlich wählen Menschen auch die NPD. Wir verstehen uns als Teil einer Demokratie und bilden aus unserer Perspektive ein Gegengewicht zu Wirtschaftsinteressen. Wir ermuntern Bürger, selbst im eigenen Sinne aktiv zu werden. Die Interessen von Unternehmen werden oft sehr lautstark vorgebracht, die der Bevölkerung weniger.

Verhandlungen wie bei TTIP werden zum großen Teil hinter verschlossenen Türen geführt – wieso glauben Sie, die Fakten bei derartigen Themen als Laien auf dem jeweiligen Gebiet richtig einschätzen zu können?

Bevor wir ein neues Thema starten, arbeiten wir immer mit Fachorganisationen zusammen, die oft seit Jahrzehnten an dem Thema dran sind. Dadurch bekommen wir auch Zugang zu Dokumenten, an die wir ansonsten gar nicht kommen würden. So gehen wir sicher, dass wir nicht Dinge behaupten, die nicht Hand und Fuß haben. Dabei gehen wir sehr gründlich vor. Das sind nicht nur andere Nichtregierungsorganisationen, sondern wir sprechen dabei auch zum Beispiel mit den Mitarbeitern von Abgeordneten.

Wie wird man Mitglied bei Ihnen und wie startet man eine Petition?

Zunächst halten wir selbst immer Ausschau nach Themen, die wir für relevant halten und die unseren Werten entsprechen. Das heißt beispielsweise, dass sie nicht auf Kosten von Minderheiten gehen dürfen. Dann machen wir einen Text und befragen stichprobenartig unsere Mitglieder. Wenn das Thema für gut befunden wird, starten wir eine Petition und bitten um Unterschriften. Vor zwei Jahren haben wir uns dafür entschieden, ein eigenes Angebot über die Software „Weact“ zu machen, über die jeder eine eigene Petition starten kann. Die sehen wir uns dann an und beurteilen, ob das zu unseren Werten passt. Wenn also jemand die Folter wieder einführen wollen würde, würden wir das ablehnen.

Könnte man über Campact auch lokale Kampagnen starten, zum Beispiel: „Neuer Rathausplatz für Verden“?

Absolut. Grundsätzlich schreiben wir erst mal einen Teil der Aktiven an, im Landkreis Verden wären das rund 1000, und wenn von denen fünf bis sechs Prozent mitmachen, würden wir alle beteiligen. Durch diese Methode wollen wir verhindern, dass Leute mit für sie nicht relevanten Themen bombardiert werden.

Ihre Mitglieder zahlen keinen Beitrag – wie finanziert sich Campact?

Über Spenden. Wir haben mittlerweile über 50 000 Förderer die uns helfen, die Miete und laufende Kosten zu bezahlen. Dabei handelt es sich ausschließlich um Einzelpersonen. Im Detail legen wir unsere Finanzen inklusive Ausgaben und Gehälter übrigens auf unserer Webseite offen und veröffentlichen jedes Jahr einen umfangreichen Transparenzbericht. Wir leben, was wir predigen.

Glauben Sie, dass die meisten Verdener Campact kennen?

Wir haben mal eine Umfrage in Verden machen lassen, und dabei wurde klar, dass uns nicht viele Menschen kennen. Aber wir sind eben auch eine bundespolitische Organisation. Die meisten Leute kommen auf uns über Freunde und Bekannte, so müssen wir auch kein Geld für Werbung ausgeben. Nur auf Facebook publizieren wird auch Kampagnen.

Kein verbindliches Engagement in einer Partei, sondern konzentrierte Aktionen, ist das das Mittel gegen die heute oft beklagte Politikverdrossenheit?

Mit Sicherheit. Wir haben 2004 bei Null angefangen. Unsere erste Online-Aktion hat 1000 Unterschriften gebracht – das haben wir heute teilweise in der Minute. Wir wussten nicht, ob Leute wirklich Lust haben, sich auf diese Art und Weise zu engagieren, aber es hat geklappt. Ich glaube, dass wir ein Angebot machen, das dem Zeitgeist entspricht.

Zur Person

Hintergrund: Die Bürgerbewegung hat jüngst ihren Jahresbericht veröffentlicht, nachdem sich immer mehr Menschen, nämlich inzwischen 1,8 Millionen, für die politischen Aktivitäten interessieren und mitmischen wollen. Die Einnahmen der Organisation stiegen von 5,6 auf 7,02 Millionen Euro.
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