Unablässig sausen auf diesem Fließband Wünsche in Kartons vorbei – bis in die Nacht. In drei Schichten bringen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Logistikzentrums von Amazon in Achim die Bestellungen der Kunden auf den Weg. Und genau hier an der langen Perlenkette von Packstationen landen die Wünsche in ihren Versandhüllen. In einer der schwarzen Kisten liegt eine Mikrowellenhaube zum Versand bereit. Irgendwo da draußen wartet jemand darauf.
Jeden Tag verlassen das Logistikzentrum 200.000 Pakete. Heute sind es deutlich mehr. Denn an den Prime Days sorgen besondere Angebote für noch mehr Nachfrage beim Onlineversandhändler. Kilometer an Förderbändern und Rutschen schlängeln sich durchs ganze Gebäude. Alles muss im Fluss bleiben.

Kilometer an Förderbändern und Rutschen ziehen sich durch das Logistikzentrum.
Im Schnitt schafft ein erfahrener Mitarbeiter in einer Schicht um die 140 bis 180 Bestellungen. Adressaufkleber gibt es hier beim Verpacken noch keine, die Empfänger bleiben ein Geheimnis. Ein Kuscheltier in Plastikfolie ist dran. Die Katze kommt in einen Umschlag gehüllt aufs Fließband und macht sich auf die Reise.
An einer der vielen Packstationen arbeitet Omer Ilhassan. Er kommt aus dem Sudan und ist erst seit Kurzem in Deutschland. Eigentlich ist Ilhassan Arzt. Doch ihm fehlten noch die Sprachkenntnisse, um hier in seinem Beruf zu arbeiten. So ist er für den Moment bei Amazon gelandet. Für den Arbeitsplatz ist er dankbar, seit einem Monat hat er ihn. Irgendwann will er aber wieder als Mediziner praktizieren.
An die 2000 Menschen sind derzeit für das Logistikzentrum im Bremer Speckgürtel im Einsatz – und bringen ganz unterschiedliche Erfahrungsschätze mit. Während der Pandemie hat es Piloten und Schauspieler zu Amazon verschlagen. Hier in Achim arbeiten viele Beschäftigte, die zuvor in der Gastronomie tätig waren.
So ist auch Monique Bolte zu Amazon gekommen. Während Corona verlor sie ihre Arbeit in einem Restaurant. So endeten mehr als 20 Jahre in der Gastronomie unfreiwillig. Heute aber will Bolte nicht zurück. "Nö – ich vermisse eigentlich nichts", sagt sie. "Ich habe eine richtige Entscheidung getroffen."
Fast schon ein Jahr arbeitet Bolte hier. Die Einstellung sei reibungslos verlaufen. Vom Fließband oben plumpsen Pakete in große Taschen in Pink. Bolte sorgt dafür, dass die Bestellungen darin ordentlich verstaut sind – Tetris in der Tasche. Zeitdruck gehört zum Geschäft. Die Artikel müssen bis zu einer bestimmten Uhrzeit ausgeliefert sein.
Ganz in der Nähe arbeitet Peter Ehlers bei der Disco. Hier sausen die Pakete auf einem Fließband durch ein aufgeregt leuchtendes Licht in Rot und Blau. Der Sicherheitsbeauftragte hat die Abläufe genau im Blick: Gibt es irgendwo Probleme? Fällt was auf?

Peter Ehlers überwacht hier im Warenausgang unter anderem die Roboter bei ihrer Arbeit. Er freut sich über die Anstellung bei Amazon. "Eigentlich kriegt man mit 60 ja keinen Job mehr."
Über seine Anstellung freut er sich mit Blick auf sein Alter besonders. "Ich habe gerade meinen Festvertrag bekommen", sagt Ehlers. "Eigentlich kriegt man mit 60 ja keinen Job mehr." Zuvor arbeitete er viele Jahre bei Coca-Cola in Bremen – bis die Produktion schloss. Im vergangenen Mai legte Amazon in Achim los. Fast von Anfang an ist Ehlers dabei.
Ehlers wacht über die Arbeit eines Roboters. Gerade mache der tatsächlich "Blödsinn". Ein paar Bestellungen sind dem Greifarm entglitten. Ehlers muss kurz rein in den Käfig. Wenn der Roboter dann wieder loslegt, ertönt eine laute Sirene. Einen Gehörschutz trage er immer: "Das geht sonst nachher ganz schön auf die Ohren." An die Geräuschkulisse im Logistikzentrum aber habe er sich gewöhnt. "Ich bin fit wie ein Turnschuh."
Francesco Dalla Grana leitet den Standort in Achim erst seit ein paar Wochen. Ihm gefällt an Amazon vor allem, dass im Unternehmen schnelle Entscheidungen getroffen werden. Alle könnten Ideen einbringen. "Und man wird gehört", sagt Dalla Grana. "Wenn es Sinn macht, dann stellt Amazon das schnell um." Das sei in nur sehr wenigen Firmen der Fall.
Der Chef grüßt beim Rundgang jeden Mitarbeiter. Alle duzen sich hier.
"Hallo!"
"Hi!"
"Prego. Danke!"
Dalla Grana findet den Austausch wichtig. "Manager und Führungskräfte müssen hier sein bei den Mitarbeitern." Unlängst zog der Standortleiter selbst im Häschenkostüm durch die Hallen für einen "Candy Walk": Die Chefs verteilten in den drei Schichten über Stunden Süßigkeiten und sprachen mit allen Beschäftigen. Sein Traum sei, dass alle sich freuten, hierher zu kommen. "Das will ich wirklich für alle. Es muss einfach Spaß machen."

Dem neuen Standortleiter Francesco Dalla Grana ist die Zufriedenheit der Mitarbeiter besonders wichtig: "Es muss einfach Spaß machen."
Gewerkschaftssekretär Nonni Morisse aber berichtet auch von Unzufriedenheit in der Belegschaft. Einigen Beschäftigten machten die Arbeitsbedingungen zu schaffen – das Pensum an sich und auch die Überwachung. "Die Mitarbeiter werden bei der Arbeit durchgehend getrackt", sagt Morisse, der bei Verdi für Amazon zuständig ist. Die Angst sei bei den Beschäftigten oft groß, dass ein befristeter Vertrag nicht verlängert werde: "Das erzeugt einen großen psychischen Druck."
Der Sprecher von Amazon Stephan Eichenseher sagt, dass es natürlich eine Erwartungshaltung gegenüber den Beschäftigten gebe: "Das hat jedes Unternehmen." Der Anspruch sei aber gut erreichbar und übe keinen "ungesunden Druck" aus. Im Normalfall liefen die befristeten Verträge aus. Das sei den Beteiligten bewusst. Es stimme zudem einfach nicht, dass es nur auf die Performance ankomme. Im Gebäude verfolge auch niemand die kompletten Bewegungen der Belegschaft. An der Packstation aber zum Beispiel müssen die Mitarbeiter sich anmelden. So ist schon klar einsehbar, wer wie viele Bestellungen schafft.
Selbst an den Prime Days ändert sich das Tempo dabei nicht. Die Fließbänder halten ihre Geschwindigkeit. Ein solcher Fluss sei wichtig, damit die Prozesse sauber liefen. "Es muss einen Flow geben", sagt Dalla Grana. Zu den Regalen muss sich niemand aufmachen, um Bestellungen zu verarbeiten. Das übernehmen Roboter. "Die Laufwege sind dadurch superverkürzt", sagt der Standortleiter.

Mitarbeiterin Johanna sortiert Waren in einen der Roboterwagen ein. Die Artikel müssen genau in die Fächer passen.
Ein Fächerwagen bringt sich mit einer Pirouette in Position, dann fährt der Roboter zur Mitarbeiterin Johanna. Hier im Wareneingang müssen Artikel in den Fächerwagen einsortiert werden. Der Ablauf an sich sei relativ leicht gehalten. "Man kommt ganz gut in den Rhythmus", sagt Johanna. Doch Fehler könnten passieren. Darum braucht es Konzentration, damit alles am richtigen Platz landet.
Seit fünf Jahren arbeitet Johanna für Amazon. Als der Standort in Achim aufmachte, war sie gleich dabei und zog von Hamburg nach Bremen. "Ich finde, hier kann jeder so sein, wie er möchte." Für jeden gebe es eine passende Aufgabe. Das mache einfach Spaß.
Jetzt an den Prime Days seien Getränke ein "ganz großes Thema": Menschen bestellen sich bei Amazon Red Bull und Cola. Die Dosen seien schwer und deshalb auch bei den Mitarbeitern nicht immer so beliebt, sagt Johanna. Aber die Kunden fragten das nach. Außerdem seien die Produkte von Amazon selbst beliebt – wie der E-Book-Reader Kindle.
Und was steckt in der Tüte gerade in ihrer Hand? "Keine Ahnung", sagt Johanna und liest das Etikett: Maskenhalter für Erwachsene. Jeden Tag gebe es hier so viele verschiedene Sachen zu sehen – zu viel, um den Überblick zu behalten.
Peter Topolnicki leitet das Recruitingteam in Achim und ist also für die Neueinstellungen verantwortlich. Im vergangenen Jahr habe es hier insgesamt rund 12.000 Bewerbungen gegeben. In allen Bereichen suche man noch Fachkräfte. Zu Weihnachten braucht Amazon zudem wieder 300 bis 400 Aushilfen als Verstärkung. Probleme gebe es hier noch keine, Personal zu finden, sagt Topolnicki, es gebe viele gute Kandidaten.

Roboterarme bringen die Pakete aufs Fließband.
Amazon steht als Arbeitgeber schon seit Jahren besonders im Fokus und in der Kritik. War das in den Vorstellungsgesprächen eine Sorge? "Klar, war das ein Thema, weil keiner Amazon kannte", sagt Topolnicki zur Zeit vor der Eröffnung des Standorts. Heute komme die Frage aber ziemlich selten vor. Amazon sei nun in der Region bekannt. Viele Mitarbeiter werben dem Abteilungsleiter zufolge neue Kollegen an. Dafür gibt es eine Prämie von 200 Euro.
Monique Bolte ist sei 6.15 Uhr im Dienst. Gleich geht es in die Pause – ein Familientreffen mit ihrem Sohn und Mann. Die beiden arbeiten hier ebenfalls. Bolte ist der Stolz anzumerken: Wie sie selbst sei ihr Sohn zum "Instructor" ausgebildet worden, um neue Kolleginnen und Kollegen anlernen zu können. Bolte findet: "Er ist auch der beste Packer."
Die Martfelderin erinnert sich noch gut an die Anfangstage in Achim. "Alle waren hier neu. Wir haben uns viel unterstützt." Zwar hätten alle unterschiedliche Geschichten, ob jemand vorher nun Arzt oder Fahrlehrer gewesen sei, aber hier sitze man im selben Boot und helfe sich gegenseitig. "Ich bin wirklich sehr begeistert."