Selbstsicher steigt Sadia Azami auf das Fahrrad, hält sich am Lenker fest und tritt in die Pedale. Gekonnt dreht sie ihre Kreise auf dem Bolzplatz vor dem Kreishaus in Verden. Dass die junge Frau erst seit drei Tagen radeln kann, sieht man ihr nicht an. Grund dafür ist ihre Teilnahme an einem Fahrradkursus für Frauen mit Migrationshintergrund, den das Präventionsteam der Polizei und der Kreissportbund gemeinsam mit der Gleichstellungsbeauftragten der Stadt Verden ins Leben gerufen hat. "Neben dem Spracherwerb ist das Vorhandensein eigenständiger Mobilität eine der Grundvoraussetzungen für die gesellschaftliche Teilhabe von migrantischen Frauen", sagt Verdens Gleichstellungsbeauftragte Kathrin Packham. Mobilität ermögliche den Zugang zu Bildung, Existenzsicherung und auch der aktiven Teilnahme an Sportangeboten.
Ein Traum wird wahr
Frauen wie Sadia Azami und ihre Freundin Maryam Ansari bekommen hier zum ersten Mal die Möglichkeit, auf ein Fahrrad zu steigen. Die gebürtigen Afghaninnen sind in ihrer Kindheit mit diesem Thema nicht wirklich in Berührung gekommen. "Es ist in Afghanistan nicht üblich, dass Frauen Fahrrad fahren", erzählt Maryam Ansari. Es seien in der Regel die Männer, die von klein auf mit Rädern unterwegs seien. "Es war immer ein großer Traum von mir, einmal selber auf einem Fahrrad zu sitzen und zu fahren." Getraut habe sie sich jedoch nie. "Ich habe nicht daran geglaubt, dass ich so was kann." Am ersten Tag des Fahrradkurses sei sie sehr aufgeregt, aber auch neugierig gewesen. "Ich war zunächst sehr enttäuscht, weil ich es nicht auf Anhieb hinbekommen habe und dachte, dass ich das niemals lernen werde."
Auch Sadia Azami hatte zu Beginn Zweifel. Insbesondere das Anfahren und Gleichgewichthalten sei herausfordernd gewesen. Doch den Moment, als Azami zum ersten Mal alleine gefahren ist, wird sie wohl nicht mehr vergessen. "Ich hatte das Gefühl, zu fliegen und den Himmel berühren zu können – ein Gefühl von Freiheit." Nach dem Kursus möchte Azami unbedingt ein eigenes Fahrrad besitzen.
Sport verbindet
Insgesamt sieben Teilnehmerinnen üben seit Wochenbeginn in Verden. "Wir haben zunächst mit Rollern und Laufrädern angefangen", sagt Kontaktbeamtin Katja Brammer. Erst nachdem sich alle Frauen auf diesen Fortbewegungsmitteln sicher gefühlt haben, sei das Fahrrad zum Einsatz gekommen. "Ich war überrascht, dass die Gruppe ähnliche Fortschritte gemacht hat." Dies sei sehr selten. "Wir konnten schon nach zwei Tagen am Straßenverkehr teilnehmen."
Gemeinsam mit ihrer Kollegin Andrea Sudmann leitet Brammer die Fahrradkurse. Unterstützung erhalten die beiden Frauen dabei vom Jugendteam des Sportvereins TSV Daverden. "Wir sind sehr froh darüber, von den jungen, engagierten Leuten Hilfe zu bekommen", sagt Brammer. Es sei sehr schwierig, Helfer für die Aktion zu gewinnen. "Wir hatten schon öfter Leute dabei, die über 70 Jahre alt waren und uns unterstützen wollten." Das funktioniere jedoch nicht. "Die Frauen sitzen zum ersten Mal auf einem Fahrrad und müssen zu Beginn noch von rechts und links gestützt und festgehalten werden."
"Sport verbindet", sagt Martina Ball. Die 17-Jährige ist Mitglied des Sportvereins TSV Daverden und unterstützt den diesjährigen Fahrradkursus. "Für uns ist Fahrradfahren etwas Selbstverständliches, aber nicht jeder hat die Möglichkeit dazu." Dass sie mit ihren Vereinsmitgliedern einen Teil dazu beitragen kann, mache sie sehr stolz.
Unsicherheit nehmen
"Neben Sprache ist Mobilität sehr wichtig", sagt Katja Brammer. "Nur so ist es den Frauen möglich, am Leben teilzuhaben." Durch Mobilität sei ihnen die Möglichkeit gegeben, beispielsweise an Sport- und Bildungsangeboten teilzunehmen. Aber auch die Arbeitssuche werde dadurch erleichtert. "Die Frauen sehen durch diesen Kursus, dass sie etwas erreichen können und viele von ihnen schaffen im Anschluss sogar ihren Führerschein."
Wichtig sei es, den Frauen die Unsicherheit zu nehmen, sagt Brammer. "Nach diesen fünf Tagen stehen die Teilnehmerinnen alleine da und sind dann auf sich gestellt." Deshalb werde in der kurzen Zeit auch viel außerhalb des geschützten Geländes gefahren. "Im Verkehr gibt es etliche neue Eindrücke für die Frauen, aber auch viele Ablenkungen." Es sei daher wichtig, die direkte Konfrontation mit potenziellen Ablenkungsquellen zu suchen. "Das Ziel ist es, dass wir am Ende des Kurses eine kleine Radtour zusammen machen."