An Verden führte kein Weg vorbei. Die bereits handverlesenen deutschen Springreiter mussten im Vorfeld der Olympischen Spiele 1972 in München im Stadion der Domstadt antreten und in zwei schweren Testprüfungen starten. Aber nicht nur die Parcoursprominenz und Tausende Pferdesportfans zog es am zweiten Juniwochenende vor 50 Jahren nach Verden, sondern auch zahlreiche Philatelisten mit Faible für Ross- und Reiter-Motive. Zeitgleich mit dem dreitägigen Turnier war im Pferdemuseum an der Andreasstraße die Briefmarkenausstellung Equiphila zu bestaunen. Im nahegelegenen Ackerbürgerhaus, dem künftigen Sitz des Hippologischen Instituts, gab es dazu ein vielfrequentiertes Sonderpostamt.
Frerich H. Söhl (81), damals Mitarbeiter des umtriebigen Museumschefs und Auktionsleiters Hans Joachim Köhler, kann sich noch lebhaft an die ganz besondere Briefmarkenschau erinnern. Idee und Initiative dazu stammten von seinem Vater, dem Verdener Verleger Hans-Heinrich Söhl, der sich in der Freizeit gern der speziellen Philatelie widmete. Bei der Ausstellung wurden die gezackten Schätze der Deutschen Motivsammler-Vereinigung in den Blickpunkt gerückt wurden, und Gleichgesinnte aus den Niederlanden, Großbritannien und Frankreich sorgten mit den Highlights ihrer Sammlungen dafür, dass die erste Equiphila auch internationales Niveau besaß.
Papierne Kunstwerke
Das Drum und Dran war ebenfalls vom Feinsten. Während im Hauptgebäude des Deutschen Pferdemuseums (DPM) die kleinen papiernen Kunstwerke präsentiert wurden, herrschte auch im Ackerbürgerhaus an der Strukturstraße Hochbetrieb. Das von der Bundespost in der alten Posthalterei eingerichtete Sonderpostamt sei „tagelang umlagert“ gewesen, notierte Köhler wenig später in einem Rundschreiben an die Mitglieder des DPM-Vereins. Daran entsinnt sich auch Fredrich H. Söhl sehr gut, mehr noch: Aus der Frankfurter Postzentrale sei auch eigens eine originale Postkutsche nach Verden gebracht worden – per Tieflader.
Die im Equiphila-Extra-Amt abgestempelte Post konnte damit in passender Manier zur Hauptpost in der Bahnhofstraße befördert werden. Die Hannoversche Reit- und Fahrschule habe „Pferde und einen Fahrlehrer als Postillon gestellt“, so Söhl. Aus besagtem Rundbrief des „Pferdepapstes“ Köhler sei noch ergänzt, dass die Kutsche auch zweimal täglich „durch die Stadt zum Reiterstadion hinauf“ fuhr, um hier die beiden stark beanspruchten Sonderbriefkästen zu leeren. Fahrer sei „der Assistent des DPM-Leiters“ gewesen, Uwe Heckmann, „in zünftiger Montur“. Die Postkutsche, betonte Köhler, sei „eine echte Attraktion für die Bevölkerung“ gewesen.
Zu Hause in Scharnhorst bewahrt der frühere Druckereikaufmann Frerich H. Söhl noch etliche Kostbarkeiten aus der väterlichen Sammlung auf. Darunter befindet sich auch ein mit Olympia-Briefmarken versehenes, von Springreiter Hans Günter Winkler signiertes Exemplar des „Gedenkblatts“ zur Equiphila, die ja parallel zum „offiziellen Olympia-Ausscheidungsturnier“ in Verden stattfand. Der Erlös der Motivmarken-Veranstaltung war auch zur Förderung des Pferdemuseums und seiner stetig wachsenden Fachbibliothek bestimmt. Dass es im Sonderpostamt auch einen Sonderstempel gab, versteht sich von selbst.
Holzpferd als Maskottchen
Eine Rückschau auf die gelungene Kombination von Philatelisten-Treff und Reitturnier wäre ohne das Thema Pfippi nicht komplett. Das im DPM beheimatete, seinerzeit fast rastlos reisende hölzerne Pferd war 1972 das Olympia-Maskottchen der deutschen Reiter – schon über 130 Jahre alt, aber von Gestalt noch so springlebendig wie zu der Zeit, als ein gewisser Professor Engel den schicken Schimmel geschnitzt hatte – ihn und diverse Karussellkollegen, die allerdings Ende des 19. Jahrhunderts an ein schwedisches Schaustellermuseum verkauft wurden. Warum das schönste Pferd der Runde im Lande blieb, ist unklar. Ein Antiquitätenhändler aus Vechta soll es irgendwann wiederentdeckt und dem Verdener Museum gestiftet haben.
Den Namen Pfippi bekam das hübsche Holzross, nachdem es zum Glücksbringer der Reiter auserkoren worden war. Die Taufe wurde am 1. Mai 1972 an einem exponierten Ort vollzogen: bei der Premiere der Equitana, der Weltmesse des Pferdesports in Essen. Es waren vornehmlich Vielseitigkeitsreiter wie Horst Karsten und Harry Klugmann, die als Taufpaten fungierten. Pfippi ging danach, manchmal unter den Fittichen von Frerich H. Söhl, auf Turnier-Tournee, tauchte an sämtlichen vorolympischen Schauplätzen auf und war laut erhaltener Auftrittsübersicht am 24. Juni sogar TV-Gast im "Aktuellen Sportstudio" des ZDF.
Köhler frohlockte Mitte Juli nach dem letzten Turnier vor Olympia, Pfippi sei in seiner Maskottchen-Funktion „eine das DPM weithin in das Blickfeld der Öffentlichkeit lenkende Erscheinung“. Eine schon reichlich beschriftete Erscheinung: An Hals und Flanke wies Pfippi bereits die Autogramme vieler bekannter Reiterinnen und Reiter auf. Selbstverständlich auch die der Herren mit Olympia-Pass, die bei der 31. Verdener Pferdeleistungsschau (ausgerichtet von Rennverein und Kreisreiterverband) zwei Testbewerbe bestreiten mussten. Das erwähnte Gedenkblatt zur Equiphila listet die Garde auf: Alwin Schockemöhle, Gerd Wiltfang, Fritz Ligges, Lutz Merkel, Hermann Schridde, Hendrik Snoek, Hartwig Steenken und eben Hans Günter Winkler.
Vier von ihnen gewannen am 11. September, dem Schlusstag der vom Terroranschlag auf das israelische Team überschatteten Spiele, die Goldmedaille im Mannschaftswettbewerb. Das Quartett bildeten Wiltfang auf Askan, Ligges/ Robin, Winkler/ Torphy und Steenken. Pfippi leistete ganze Arbeit. Gold gab es auch für die Dressur-Equipe, dazu Bronze für die die Vielseitigkeitsreiter. Für das ehemalige Karussellpferd sollte es im Oktober noch richtig rundgehen – mit der Versteigerung zugunsten des DPM bei der Eröffnung der neuen Niedersachsenhalle. Aber das ist schon wieder ein anderes Kapitel.