Auf jeden Fall die Guten mit dem Wellenschnitt. Familie Müller schwört auf diese Pommes. Und natürlich auch auf selbstgemachte Currysoße. Warmgemachter Ketchup mit Currypulver? Niemals. Das kommt für die Scharnhorster Gastro-Familie nicht in die Tüte, aber angeröstete Zwiebeln, Tomaten und eine geheime Gewürzmischung.
Thomas (36) steht am Zapfhahn, schenkt Rudi Carrells einstiges Lieblingsbier aus, Karola (29) klopft in der Küche gemeinsam mit ihrer Mutter Bärbel die Schnitzel und Michael (37) und Christian (32) bedienen auf dem Saal. Schaut sich die inzwischen 91-jährige Mariechen Müller diese Szenerie an, weiß sie, dass ihr Enkel-Quartett nach dem Tod des Vaters die richtige Entscheidung getroffen hat. "Uns war sofort klar, dass es hier weitergehen muss", erinnert sich Chefin Karola Müller, wohl wissend, dass sie stets auf die Unterstützung ihrer Mutter Bärbel und ihrer Geschwister zählen kann.
Manch einer schwört ja auf Mineralwasser, damit die Panade besser aufgeht. Mariechen Müller auch? Nein, von diesem Gedöns hält sie nichts, sie empfiehlt ihren Enkeln aber, sich bei der Zubereitung streng an die Verkehrsregeln in der Küche zu halten, schließlich müsse die sogenannte Schnitzelstraße ja auch ordnungsgemäß befahren werden. Zuerst das Fleisch in Mehl wenden, dann kommt das Ei und so weiter.
Grünkohl nach dem ersten Frost
Gut, dass Deckbulle Julius damals nicht auch noch ein Schnitzel bei Familie Müller verzehrt hat. Oma Mariechen erzählt diese Anekdote nur allzu gern: "Weil das Tier Durst hatte, ist es bei uns ins Gasthaus gekommen und hat das Spülbecken ausgesoffen." Auch ihre beiden Enkel, Karola und Thomas, müssen heute noch immer lachen, wenn ihre Großmutter diese lustige Episode von früher zum Besten gibt. Von 1956 bis 1992 hat Mariechen Müller das gleichnamige Landhaus gemeinsam mit ihrem Mann geführt, heute steht sie der jungen Generation noch immer gern mit Rat und Tat zur Seite.
Muss sie aber eigentlich gar nicht, denn Karola Müller kann beim Servieren nicht nur mehrere Teller gleichzeitig auf dem Arm balancieren, sie hat auch in der Küche alles im Griff. "Es wird einfach Zeit für Grünkohl, oder?", ruft sie ihren Gästen zu. Alleine schon beim Gedanken daran läuft denen gleich das Wasser im Mund zusammen. Doch ein wenig müssen sich die Stammgäste aus dem Halsedorf Scharnhorst, der Stadt Verden und der benachbarten Heidegemeinde Kirchlinteln noch gedulden, denn Grünkohl wird im Landhaus Müller natürlich erst serviert, wenn es draußen richtig "geknackt" hat, also nach dem ersten Frost.
"Im Dorf sind alle froh, dass wir uns damals entschieden haben, weiterzumachen", erzählt der 36-jährige Thomas Müller. Scharnhorst ohne das Landhaus Müller? Für die heimischen Vereine einfach undenkbar, ebenso für die Kneipengänger, die dort gern eine Runde Skat oder Doko spielen. Auch die 91-jährige Mariechen Müller greift noch immer gern zum Kartenspiel. Für Kohltouren ist das Traditionshaus aufgrund seiner zentralen Lage zwischen Verden und Kirchlinteln ebenfalls ein beliebtes Ziel. Grünkohl wird in Scharnhorst selbstverständlich ganz klassisch mit Pinkel, Kasseler und Bauchspeck aufgetischt. "Unsere Gäste haben uns auch zu Pandemie-Zeiten immer prima unterstützt, als wir unsere Speisen außer Haus angeboten haben", freut sich Karola Müller.
Selbstzubereitetes Knipp
Natürlich darf auch die Hochzeitssuppe nicht auf der Karte fehlen. Eierstich aus der Dose? Da können Karola Müller und ihre Großmutter nur mit dem Kopf schütteln, in Scharnhorst werde schließlich noch immer Handarbeit großgeschrieben. "Früher hatten wir sogar noch eigene Spargeldämme im Garten", erzählt die 29-Jährige.
Drei große Räumlichkeiten zählt das Landhaus, die Kneipe, den Clubraum und natürlich den Saal, der für große Gesellschaften bis zu 100 Personen ausgelegt ist. Auch die Dartscheibe ist immer noch ein beliebter Treffpunkt. Im Müllerschen Besitz ist das Anwesen bereits seit über 200 Jahren. Müller gleich Mühle? Ganz genau, Ernst Christian Müller, der das Gebäude 1816 erwarb, stammt aus der Familie, die bereits im 16. Jahrhundert die Mühle direkt im Dorf bewirtschaftete.
Ausschank auf der Domweih
"Ich wurde vor 91 Jahren in diesem Hause geboren und bin hier auch geblieben", erzählt Mariechen Müller. Im Sommer sitzt sie auch gern mal mit einem Alster draußen auf der Terrasse und schaut dem geselligen Treiben zu. Das kann sie auch guten Gewissens, denn Schwiegertochter Bärbel und ihre vier rührigen Enkel haben in dem traditionellen Familienbetrieb, der auch nahezu jedes Jahr auf der Domweih ausschenkt, alles im Griff. Karola Müller weiß eben noch, wie man den Fleischwolf bedient und selbst Knipp zubereitet und dass Maggikraut und Porree in einer guten Hochzeitssuppe nicht fehlen dürfen.
Über die Zukunft des Scharnhorster Traditionshauses braucht sich Seniorin Mariechen nun wahrlich keine Gedanken zu machen, sie kann sich in Ruhe zurücklehnen, ihr Altenteil genießen und von schwimmenden Weinfässern erzählen. Aber das ist ja eine ganz andere Geschichte.