Ein halbes Jahrhundert ist seit der Prüfung vergangen, aber auf sein Gesellenstück ist Jürgen Norden auch heute noch stolz. Die Kommode zu verkaufen, sei ihm nie in den Sinn gekommen, sagt der gelernte Tischler, der mittlerweile im Prüfungsausschuss der Tischlerinnung sitzt und den beruflichen Nachwuchs auf Herz und Nieren prüft. 20 Auszubildende aus dem Landkreis Verden haben kürzlich die Gesellenprüfung im Tischlerhandwerk bestanden, 19 von ihnen stellen noch bis zu diesem Freitag, 27. August, ihre Gesellenstücke im Schalterraum der Kreissparkasse Verden in der Ostertorstraße aus.
Eine von ihnen ist Anna Peper. Der jungen Frau ist das Handwerk in die Wiege gelegt. Der Vater arbeitet als Maurer, ihr Zwillingsbruder als Zimmermann. "Ich wollte auch mit Holz arbeiten, aber nicht so schwere Balken schleppen", erzählt sie. Also kam sie zur Tischlerei. Eine Lehrstelle zu finden sei nicht schwer gewesen, allerdings habe sie hohe Ansprüche bei der Auswahl ihres künftigen Ausbildungsbetriebs gestellt. "Ich habe dann nach einem Jahr den Betrieb gewechselt, weil ich auch mit größeren Maschinen und CAD arbeiten wollte", sagt sie. Ihr Gesellenstück, eine Kommode aus Nussbaumholz und MFD-Platten, hat sie für sich selbst gebaut, wie sie sagt. "Ich bringe meine Kleidung lieber in Schubfächern unter als im Schrank." In der Tat, bietet ihre Kommode viel Stauraum in Schubfächern sowie ein abschließbares Fach, das allerdings nur geöffnet werden kann, wenn das Schubfach ganz herausgezogen ist.
Grundlagen der Holzbearbeitung
Wie lange dauert es, so ein Gesellenstück anzufertigen? "Ewig", sagt Anna Paper. Mit ersten Planungen habe sie bereits im ersten Lehrjahr angefangen. Dieses Jahr verbringen die neuen Lehrlinge komplett in der Berufsfachschule, wo sie die Grundlagen der Holzbearbeitung erlernen. "Die eigentliche Arbeit am Gesellenstück sollte insgesamt über 120 bis 150 Stunden nicht hinausgehen", erzählt Gunnar Röpke, Praxislehrer an den Berufsbildenden Schulen (BBS) in Verden. "Viele überlegen sich in der Regel lange vor der Gesellenprüfung, was es werden soll, denn oft werden die ersten Pläne auch wieder verworfen." Das bestätigt Fredy Böschen, seit 20 Jahren Obermeister der Tischlerinnung. "Ein Jahr vorher sollten die jungen Leute schon anfangen, weil sie auch Vorentwürfe abgeben müssen. Die Vorbereitung erfolgt meist in den Betrieben, die Feinarbeit in der Schule."
Böschen schwärmt von den ausgestellten Arbeiten. "Da sind viele tolle Stücke dabei, auch die Materialauswahl ist breit gefächert", lobt er. So sei nicht nur Holz verbaut worden, sondern beispielsweise auch Glas, Metall und Linoleum. Im Gegensatz zu früher sei dunkles Holz momentan ein Trend, gerne Eiche geölt. Auch aus diesem Material sind einige Gesellenstücke gefertigt. Weiße Lasuren seien auch angesagt, allerdings sei die Verwendung von Farbe bei Gesellenstücken nicht zu empfehlen. "Das überdeckt nur die ausdrucksvolle Maserung des Holzes", erklärt Böschen.
Gut durch die Krise
Nach Angaben von Böschen, der selbst einen Tischlerbetrieb in Ottersberg leitet, ist das Handwerk vergleichsweise gut durch die Corona-Pandemie gekommen. "Bis auf wenige Ausnahmen konnten die Tischler weiterarbeiten. Es ist sogar so, dass die Leute, weil sie viel zu Hause waren, in ihr Heim investiert haben, um es sich dort angenehm zu machen", erzählt der Obermeister. Insofern konnten sich die Betriebe über eine verstärkte Nachfrage freuen. Dabei sei allerdings abzuwarten, ob Investitionen nicht nur vorgezogen worden seien. Trotzdem verschärfe die gute Auftragslage ein Problem, mit dem das Handwerk bereits seit Jahren zu kämpfen hat: dem Fachkräftemangel. "Zusätzliche Mitarbeiter werden händeringend gesucht", betont Böschen. Der Markt sei leergefegt, und wer sich bewerbe, bekomme in der Regel sofort einen Arbeitsplatz.
Ein weiteres Problem seien mittlerweile Engpässe bei bestimmten Materialien. Bauholz ist laut Fredy Böschen teuer und knapp geworden, teilweise nur mit Preisaufschlägen von mehreren Hundert Prozent zu bekommen. "Bei dem Holz, das Tischler häufig verwenden, also Eiche und Buche, ist das noch relativ konstant. Da sprechen wir von einer Verteuerung von zehn bis 20 Prozent", sagt Böschen. Aber auch bei der Sibirischen Lärche, die sein Betrieb häufig verwende, gebe es inzwischen Engpässe, die ein Abarbeiten der Aufträge teilweise verzögere. Ebenfalls deutlich teurer geworden seien Metall und Glas. "Die Corona-Pandemie hat da eine Kettenreaktion ausgelöst, sodass die Lieferketten teilweise unterbrochen wurden", erklärt der Obermeister.
Unter dem Strich also gute Berufsaussichten für Tischler. Während viele der neuen Gesellen gleich eine Laufbahn im Betrieb anstreben, hat Anna Peper sich anders entschieden. Sie zieht es nach Münster, um dort weiter zu lernen und Gestalter im Handwerk zu werden. "Dort kann ich dann später meinen Meister dranhängen."