Wer im Landkreis Verden den Notruf 112 wählt, hat seit Jahresbeginn die Möglichkeit, die Retter virtuell zu sich zu holen. Seit einigen Wochen setzt die Rettungs- und Feuerwehrleitstelle des Landkreises Verden eine neue Technik ein, die es den Disponenten ermöglicht, sich direkt auf das Mobiltelefon des Anrufers zu schalten. Die Leitstelle hat Zugriff auf die Kamera des Geräts, kann den Standort ermitteln und sogar schriftlich in 15 Sprachen kommunizieren, wenn es Verständnisprobleme geben sollte.
Das alles funktioniert nach Angaben des Landkreises, ohne dass eine spezielle App oder Ähnliches auf dem Smartphone installiert ist. Voraussetzung ist lediglich die ausdrückliche Erlaubnis des Anrufers. "Der Datenschutz hat oberste Priorität", sagt Leitstellenleiter Ralf Wiechers. Bei jeder einzelnen Nutzung müsse der Anrufer im Vorhinein zustimmen, ob die Leitstelle sich aufschalten darf. Insbesondere bei einer Ortung oder Videoverbindung sei zudem eine separate Zustimmung erforderlich. Auch der Akkustand des Handys könne angezeigt werden, um abschätzen zu können, wie viel Zeit für die Kommunikation zwischen Notfallzeuge und Disponent bleibt. Der Anrufer könne zudem jederzeit die Datenverbindung unterbrechen. „Es geht allein um die Notrufoptimierung und eine schnelle und effiziente Hilfeleistung“, betont der Leitstellenleiter.
Hilfestellung bei Wiederbelebung
Als praktisches Beispiel, bei dem die neue Technik Leben retten kann, nennt Wiechers die Unterstützung bei einer Herz-Lungen-Wiederbelebung. Die Mitarbeiter der Leitstelle könnten über die Kamera des Handys konkrete Hilfestellung für den Ersthelfer geben und beispielsweise auch Bildpunkte auf dem Kamerabild für den richtigen Druckpunkt setzen. Bei extremen Wetterlagen wie am vergangenen Wochenende könnten durch die Technik Gefahren durch umstürzende Bäume gezielter eingeschätzt werden.
Das hilft auch der Feuerwehr dabei, effizienter zu arbeiten. "Die Disponenten können von ferne die Situation erfassen oder auch Brandherde überblicken", sagt Wiechers. Die Notruf-Software lasse sich auch in zahlreichen anderen Situationen für Feuerwehr und Rettungsdienst einsetzen, in denen das Ereignis- und Notfallmanagement kontaktfrei und per Telefon geleistet werden müsse.
Grundsätzlich gilt: Je genauer die Leitstelle über eine Gefahrenlage informiert ist, desto zielgerichteter können die Einsatzkräfte reagieren und zum Beispiel bestimmte Einsatzfahrzeuge anfordern. Die Leitstelle sei auf möglichst präzise Erklärungen der Anrufenden angewiesen, sagt Wiechers, was in der Aufregung nicht immer einfach sei. Die Technik soll dabei helfen, Unklarheiten zu klären, und wenn nötig sofort Hilfestellungen zu geben. „In einem Notfall zählt jede Sekunde", sagt Wiechers. Und so schnell wie der virtuelle Helfer aus der Leitstelle kann kein Rettungswagen und keine Feuerwehr am Einsatzort sein.
40 Einrichtungen nutzen die Technik
Alle Funktionen des neuen Systems funktionieren laut Landkreis unabhängig vom Smartphone des Anrufers und werden aus der Leitstelle heraus gesteuert. Die verwendeten Nachrichten sind für den Hilfesuchenden kostenlos. Für die Kontaktaufnahme zur Leitstelle ist allerdings eine Datenverbindung über WLAN oder das Mobilfunknetz erforderlich. Dabei können unter Umständen Kosten entstehen. Einzige Ausnahme sind nach Angaben des Landkreises Kunden des Anbieters Vodafone. Für sie sei das Angebot bereits kostenfrei. Für Nutzer anderer Mobilfunknetze werde das Datenvolumen in geringer Menge belastet. "Die Leitstelle geht davon aus, dass andere Mobilfunkanbieter das System auch unterstützen werden", sagt Wiechers.
Die in der Verdener Leitstelle eingesetzte Software ist nach Herstellerangaben bei rund 40 Einrichtungen in Deutschland und der Schweiz im Einsatz. In der Region begannen die ersten Tests des Systems im August vergangenen Jahres. Seit dem 1. Januar ist die Technik offiziell im Einsatz.