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Ukraine-Krieg Familie baut sich neues Leben in Lemwerder auf

Nach der Flucht aus der Ukraine haben sich Hanna Kharchenko und ihre Töchter ein neues Leben in Lemwerder aufgebaut. Die Angst um die Zurückgelassenen bleibt. Aber eine Last ist von Hanna Kharchenko abgefallen.
24.02.2024, 08:05 Uhr
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Familie baut sich neues Leben in Lemwerder auf
Von Barbara Wenke

Lemwerder ist zum neuen Zuhause für Hanna Kharchenko und ihre Töchter Oryna und Alisa geworden. Dabei sind die drei Ukrainerinnen vor knapp zwei Jahren nicht freiwillig in die südliche Wesermarsch gekommen. Der russische Angriff auf die Ukraine hat sie aus der Heimat vertrieben. Bis dahin war Kramatorsk im Verwaltungsbezirk Donezk ihr Lebensmittelpunkt. Ehemann Wolodymyr und die Schwiegereltern leben noch immer nahe der Frontlinie.

Mittlerweile hat Hanna Kharchenko gut Deutsch gelernt. Das Interview anlässlich des zweiten Jahrestages des russischen Einmarsches gibt sie ohne Unterstützung von Irene Löwen, bei deren Familie das Trio die ersten Monate in Lemwerder verbracht hat. Viermal pro Woche nimmt die Ukrainerin am Deutschkurs der VHS Delmenhorst teil.

Nach dem nächsten Zertifikat will die gelernte Kindergärtnerin sich um eine Arbeitsstelle bemühen. "Ich suche schon Informationen. Ich möchte wissen, welche Dokumente ich hier brauche, oder ob ich eine neue Ausbildung machen muss." Einen Nebenjob hat sie bereits gefunden. Einmal pro Woche arbeitet die Erzieherin im Jugendtreff Lemwerder (Jule).

Eheleben per Messaging-Dienst

Hanna Kharchenko möchte bleiben. "Ich will mir ein neues Leben in Deutschland aufbauen." So wie andere Frauen auf Besuch in die Heimat fahren, das kann sie nicht. "Alisa möchte zu Papa und Oryna würde gerne Oma und Opa besuchen. Aber ich habe Angst, in die Ukraine zu fahren." Sie wünscht sich sehnlichst, dass Ehemann Wolodymyr ausreisen dürfte.

Seine Berührungen und Zärtlichkeiten fehlen ihr. Ebenso das Miteinander mit ihren Schwiegereltern. Der Instant-Messaging-Dienst Whatsapp ist seit zwei Jahren die einzige Verbindung zu den Zurückgelassenen.

"Ich mache viele Videos für meinen Mann", erzählt Hanna Kharchenko. Zeigen kann sie keines davon. Der Speicher ihres Handys ist voll. Kaum hat sie Fotos oder Videos gesendet, löscht sie sie, um wieder Platz für Fotos aus der Heimat zu haben.

Sportliche Erfolge und Berufsausbildung

Die jüngere Tochter fühlt sich in Lemwerder mittlerweile pudelwohl. "Alisa hat ihr Seepferdchen gemacht und möchte mit Schwimmen Erfolg haben", erzählt Hanna Kharchenko. Zudem setzt Alisa einmal pro Woche über die Weser, um in Vegesack im Verein rhythmische Sportgymnastik zu betreiben. Zu ihrem neunten Geburtstag schmiss Hanna Kharchenko für sie eine Party. Die Zweitklässlerin feierte mit sechs Freunden.

Die ältere der beiden Töchter, Oryna, hat Hanna Kharchenko anfänglich Sorgen bereitet. Die damals 16-Jährige wollte unbedingt zurück in die Ukraine. Zu stark war das Heimweh. Mittlerweile hat sich aber auch Oryna Kharchenko eingelebt und hat Freundinnen gefunden. Die 18-Jährige besucht die Berufsbildenden Schulen 2 in Delmenhorst und strebt eine Karriere als Köchin an.

Der Donnerstagvormittag gehört Hanna Kharchenko allein. Dann hat sie schulfrei. Während sie montags, dienstags, mittwochs und freitags mit Freunden nach Delmenhorst fährt, um in der Volkshochschule ihre Deutschkenntnisse aufzubessern, nimmt sie sich am Donnerstag ab und an Zeit, um zu zeichnen oder zu stricken. "Oder ich mache Hausaufgaben" sagt die zierliche Frau mit einem Lachen und zeigt auf ihren Wohnzimmertisch. Dort liegen mehrere aufgeschlagene Bücher und Hefte.

Ständiger Blick auf die Landkarte

Manchmal steht Hanna Kharchenko aber auch einfach nur im Flur ihrer Dreizimmerwohnung. Die grau-schwarz getigerte Katze Mavka streicht um ihre Beine, während sie einen Blick auf eine große Landkarte der Ukraine wirft. "Vor dem Krieg kannte ich nicht alle Gegenden der Ukraine", sagt die Geflüchtete. "Jetzt kenne ich alle."

Lieber wäre ihr gewesen, sie müsste nicht immer gucken, wo Bomben gefallen sind. Immer wieder schaut sie auch, wo die ukrainischen Truppen stehen. Und wo die russischen. "Nach einem Jahr Krieg habe ich gehofft, die Ukraine gewinnt. Jetzt ist es schwierig. Die Ukraine hat weniger militärische Ausrüstung."

Hanna Kharchenko erzählt von Kopfschmerzen, wenn sie Berichte über die Kriegsereignisse in der Heimat sieht. Der Fall der Stadt Awdijiwka hat sie besonders belastet. Liegt Awdijiwka doch keine 100 Kilometer Luftlinie von Kramatorsk entfernt.

Vorbereitung auf eine mögliche Rückkehr

An den Nachmittagen lernt die Mutter mit der jüngeren Tochter für die Schule. Nicht für die Grundschule in Lemwerder, sondern für die ukrainische Schule. Die ältere lernt eigenständig für ihr College. Online zuschalten lassen, kann sie sich nicht. Schließlich sitzt sie in Delmenhorst im Unterricht. Freunde aus der Ukraine schicken täglich Aufgaben und Oryna hängt eine zweite Schicht an.

"Ich weiß nicht, ob wir zurückkehren werden", sagt Hanna Kharchenko. Doch wenn sie es tun, dann sollen die Töchter auf ein Leben in der Ukraine vorbereitet sein.

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