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Öko-Antrieb statt Dreckschleuder Deutschlands erste Flüssiggasfähre

Er hat früher die großen Pötte über die Meere gefahren. Heute steuert Kapitän Bernd Ramm die MS Ostfriesland, Deutschlands erste emissionsarme Flüssiggasfähre, zwischen Emden und Borkum.
27.03.2016, 00:00 Uhr
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Deutschlands erste Flüssiggasfähre
Von Jan Oppel

Er hat früher die großen Pötte über die Meere gefahren. Heute steuert Kapitän Bernd Ramm die MS Ostfriesland, Deutschlands erste emissionsarme Flüssiggasfähre, zwischen Emden und Borkum.

Bernd Ramm hat sein ganzes Leben auf dem Wasser verbracht. Mit den Frachtern der Deutschen Afrika Linien ist der Kapitän ein Mal um die Welt gefahren. Die großen Pötte, mit denen er früher in Durban, Rio oder Hongkong festmachte, jagten tonnenweise Schweröl durch den Schornstein. Um die Umwelt kümmerten sich die Reedereien damals noch herzlich wenig. Heute steuert Ramm Deutschlands erste emissionsarme Flüssiggasfähre zwischen Emden und Borkum.

Bernd Ramm, 51, Glatze, weißes Hemd, blaue Uniformjacke, steht auf der Brücke der MS Ostfriesland. Um acht Uhr hat das Schiff in Emden ablegt. Seit 1985 hat die Fähre Abertausende Touristen, Insulaner und tonnenweise Ladung transportiert. Ramms Blick wandert über den Bildschirm vor seinem Bauch. Eine rote Linie markiert den Kurs: Borkum. Zwei mal täglich steuert die MS Ostfriesland die Nordseeinsel an. Gute zwei Stunden dauert die Überfahrt durch das Wattenmeer. Vom neuen Antrieb ist auf der Brücke nur ein leises Brummen zu hören.

Im vergangenen Jahr wurde die Fähre auf der Bremer Werft „BVT Brenn- und Verformtechnik“ in Vegesack auf Flüssiggas umgerüstet und renoviert. Diesel-Gestank gehört seitdem der Vergangenheit an. Der neue Treibstoff heißt LNG – das steht für „Liquefied Natural Gas“. Der Schornstein der MS Ostfriesland bläst kaum noch Schadstoffe in die Nordseeluft: Stick- und Schwefeloxide wurden um mehr als 90 Prozent reduziert. Kohlendioxid um 20 Prozent. Feinstaub entsteht gar nicht mehr. Der neue Hybridmotor verbrennt 99 Prozent LNG und ein Prozent Diesel. Die Reederei AG Ems spart so jährlich 1,2 Millionen Liter Treibstoff.

Ramm hat den Umbau auf der Werft selbst beaufsichtigt. „Neun Monate habe ich an Land gesessen“, sagt er. Für ihn als Seemann sei das eine echte Qual gewesen. Der stählerne Rumpf der MS Ostfriesland wurde in zwei Hälften geschnitten und ein neues Heck angeschweißt. Mehr als 15 Meter länger ist die Fähre jetzt und kann 1200 Passagiere und 70 Autos transportieren – 15 mehr als vor dem Umbau. Die AG Ems hat sich die Umrüstung etwa 13,5 Millionen Euro kosten lassen. Die Europäische Union förderte das Projekt mit drei Millionen Euro.

"Jede Zentralheizung ist gefährlicher"

Unter einem wolkenverhangenen Himmel pflügt die Fähre mit 16 Knoten durch die spiegelglatte Nordsee. Mit einem Tiefgang von 2,4 Metern kommt das Schiff auch in flachem Fahrwasser voran. Die MS Ostfriesland ist dank der Renovierung nicht nur leiser, sondern auch wendiger geworden: Die zwei neuen Doppelpropeller kann Ramm von der Brücke aus um 360 Grad drehen.

Auf dem verwaisten Oberdeck pfeift der Wind über die leeren Sitzbänke und mischt sich mit dem Brummen des Motors. Unten, tief im Bauch der MS Ostfriesland, ist es warm, laut und stickig. Das Gas, das hier im Maschinenraum verbrannt wird, ist minus 162 Grad kalt. Vier Generatoren liefern die elektrische Energie für den 4000 PS starken Antrieb. Nach dem Umbau, sagt Ramm, sei das Schiff auf dem neuesten Sicherheitsstand. Geräte, Rohre und Leitungen sind explosionsgeschützt. „Jede Zentralheizung ist gefährlicher“, sagt er. Unter Deck überwacht Ingenieur John Martens mit einem Kollegen die Motoren. Wie der Kapitän mussten sich auch die Männer im Maschinenraum auf die Technik des neuen Antriebs einstellen. Vor allem die Umsetzung der Kraft habe sich geändert, sagt Martens.

Über eine schmale Eisentreppe geht es zurück auf die Brücke. Hier hat Ramm die Hände in den Hosentaschen vergraben. Das Schiff hält dank Autopilot automatisch den Kurs. Gemächlich rauscht das Schiff über das Wasser. Wenn der Kapitän aus Nordenham nach seinem Werdegang gefragt wird, dann leuchten seine Augen. Bernd Ramm kommt aus einer echten Seefahrer-Familie.

Schon der Großvater seines Großvaters ist zur See gefahren. Ramm heuerte mit 16 Jahren als Deckjunge auf einem Frachter an. Später studierte er bei der Bundesmarine und fuhr als Mechaniker, Steuermann und Kapitän über die Weltmeere. Geschichten kann Ramm aus jedem Hafen erzählen: Auf der Eisbahn in Abidjan ist er Schlittschuh gelaufen, in Nigeria musste Ramm seinen mit Autoteilen beladenen Kahn gegen Einbrecher verteidigen und sich am Ende auf der Brücke verschanzen.

Seit dem Jahr 2000 fährt er für die AG Ems. Auf der MS Ostfriesland muss der Kapitän keine ungebetenen Gäste fürchten. Nur ein paar Seehunde und Schweinswale kreuzten ab und zu seinen Kurs, sagt er. Vor der Fähre taucht ein Baggerschiff auf. Mit seiner Schaufel holt der Kran aus und löffelt eine Ladung Schlick aus der Fahrrinne. So geht es Schwung für Schwung. Ramm tritt ans Fenster. „Da arbeitet mein Sohn“, ruft er und winkt hinüber. Aus dem Führerhaus des schwimmenden Krans winkt eine Hand zurück.

Trotz Tide immer pünktlich

Mit Ramm sind immer ein Rudergänger und ein Offizier auf der Brücke. Die Einfahrt nach Borkum ist aber Chefsache. Mit beiden Händen navigiert Ramm die Fähre in Richtung Hafen. Kein Tag sei wie der andere, sagt er. „Das ist immer wieder eine Herausforderung.“ Windstärke zehn, Nebel zäh wie Zuckerwatte – Ramm hat hier schon viel erlebt. Dank der Fahrrinne kann er das Schiff immerhin unabhängig von der Tide anlanden. Keine zehn Minuten später gehen die Gäste im Hafen von Bord.

Früher, in Afrika, hätten die Frachter oft sechs Wochen vor Anker gelegen, bis die Ladung gelöscht war. „Viel Zeit um Land und Leute kennenzulernen“, sagt Ramm mit einem Augenzwinkern. Der Seemann kennt das Nachtleben in Mombasa und weiß, wo es den besten Gin der Stadt gibt. Das Entladen auf Borkum ist in einer Stunde erledigt.

In den Wintermonaten verbringt die Crew die Nacht im Inselhafen. Statt kühler Drinks und ausschweifender Feten erwartet die Männer an Bord dann nur ein einfacher Fernseher in der Messe. Seit einer Woche gilt endlich der Sommerfahrplan, und Ramm kommt jeden Abend nach Hause. Abends hat er nun wieder Zeit für sein Projekt: Aus Glasfasermatten und Kunstharz baut der Kapitän sein eigenes Schlachtschiff: den japanischen Zerstörer Yamato – im Maßstab 1:100.

LNG Flüssiggas

LNG steht für Liquefied Natural Gas, ein auf -162°C gekühltes, flüssiges Erdgas. LNG ist eine umweltfreundliche Alternative zum konventionellen Schiffsdiesel. Es besteht aus Methan. LNG erlaubt es, Stickoxide, Schwefeloxide und Kohlendioxide in den Abgasen deutlich zu verringern und die Feinstaubemission ganz zu vermeiden. Die MS Ostfriesland hat einen sogenannten Dual-Fuel-Motor, der eine Treibstoffmischung aus bis zu 99 Prozent Erdgas und einem Prozent Dieselkraftstoff verbrennt.

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