Die Frau fragt freundlich, ob sie helfen könne. Sie läuft zufällig vorbei, sonst ist niemand da. Gute Gelegenheit, etwas in Erfahrung zu bringen, denn ist das wirklich wahr? Wird hier noch an den Menschen geglaubt, daran, dass er ehrlich ist? „Ja“, sagt die Frau, „wir machen das so.“ Alles, was es im Hofladen gibt, und das ist viel, wird für Geld angeboten, das in eine kleine Truhe kommt – in die „Vertrauenskasse“, wie angeschlagen steht. Der Kunde zahlt und geht wieder, so einfach. Ganz schön lässig auf dem Land und nebenbei muss keine Kasse besetzt sein. Hof Iggewarden – eine kleine intakte Welt inmitten von Butjadingen.
Die Halbinsel liegt eine gute Stunde von Bremen entfernt und ist optimal über die A 27 und den Wesertunnel zu erreichen. Wer dorthin fährt, will in der Regel an die Küste, zu den Stränden und Häfen – die Nordsee erleben mit ihrem Spiel von Ebbe und Flut. Und so beginnt unsere Tour auch dort. Doch Butjadingen ist viel mehr als Meer. Am besten mal kreuz und quer fahren, am besten mit dem Rad – hin zu den Kirchen und Wurtendörfern, vorbei an sattgrünen Wiesen, an den Höfen der Landwirte, von denen es in Butjadingen noch viele gibt. Zunächst führt der Weg vom Tunnel über Nordenham und Stollhamm nach Burhave, der ersten Station.
Nordsee-Lagune
Vor 20 Jahren war das, da kamen die Butjenter auf eine famose Idee. Wir tricksen die Gezeiten aus, hatten sie sich vorgenommen. Gesagt, getan, und so entstand in Burhave die Nordsee-Lagune. Das riesige Bassin, ausgeschlagen mit Folie, wird mit Meerwasser gespeist. Die Pumpen schaffen einen Kreislauf, hinein und hinaus, sodass Frische garantiert ist und kein Chlor oder sonstige Zusätze benötigt werden. Schwimmen und Planschen ist garantiert, egal, ob Ebbe herrscht wie an diesem Mittag.
René Hedegger ist seit fünf Uhr auf den Beinen. Der Betriebsleiter hat mit seinen Angestellten jeden Morgen gut zu tun, bevor um neun Uhr die ersten Gäste reingelassen werden. „Die Leute denken oft, toller Job, möchte ich haben, ist ja wie Urlaub. Doch da täuschen sie sich“, sagt der 51-Jährige. Der aufgeschüttete Sandstrand muss hergerichtet werden – „Sie glauben gar nicht, wie viel Müll hinterlassen wird“. Nächste Aufgabe sind die Burgen und Löcher – alles wieder einebnen.

Die Nordsee-Lagune in Burhave ist vor allem für Kinder eine Attraktion.
Es ist ein Sonnabend, und es sind Ferien, die Menschen kommen in Massen. Der große Parkplatz vor dem Deich kann die Autos kaum noch aufnehmen. „An solchen Tagen haben wir ein paar Tausend Besucher“, sagt Hedegger. In der Spitze, eher selten, seien es bis zu 5000. „Ein echter Mehrwert für Butjadingen und einzigartig, das wirkt über die Landesgrenze hinaus“, ist der Betriebsleiter überzeugt. Allerdings habe die Einrichtung ihren Preis. Wartung, Erhalt, die Pumpen, das Personal – die Kosten seien immens und könnten vom Eintrittsgeld nicht komplett gedeckt werden. Erwachsene zahlen mit Gästekarte 4,50 Euro, eine Familie mit drei Kindern 18 Euro. Wer unter drei Jahre alt ist, darf umsonst rein.
Die Kleinen haben in der Lagune den größten Spaß – „schauen Sie, wie voll der Kinderbereich ist“. Dort reicht das Wasser nur bis zu den Knien, bei den Erwachsenen geht es maximal 3,80 Meter in die Tiefe. Strandkörbe, Tretboote, Spielgeräte – alles da für einen Tag an der Nordsee, die an diesem Ort nie trockenfällt.
Krabbenkutterhafen
Von der Lagune nur einen Kilometer weiter den Deich entlang landet man in Fedderwardersiel, weithin bekannt durch seinen Krabbenkutterhafen. Zwei der Schiffe haben an diesem Tag festgemacht. Sie liegen halb im Schlick, und genau das ist seit vielen Jahren das Problem: Der Hafen droht, abgeschnitten zu werden. Schuld sind die Weservertiefungen. Niedersachsen und Bremen sehen dazu keine Alternative, um die großen Häfen wettbewerbsfähig zu halten.
Das sind die Zusammenhänge, und sie werden einem nahegebracht. Im Hafen steht ein sogenannter Hörstuhl, in dem gerade ein Vater mit seinen zwei Kindern sitzt. Sie lauschen andächtig einer weiblichen Stimme, die von „Schlickgeflüster“ spricht, vom „Urbrei des Lebens“ und dem „Gravitations-Theater der Gestirne“. Das ist schönste Lyrik, und sie kommt an. „Schlick!“, sagt die Stimme noch, „Verschlickung!“. Im Unterton schwingt die Gefahr mit. Wenige Meter entfernt, im Museum des Nationalpark-Hauses, gibt es statt Lyrik reine Information. Dort wird es demnächst eine neue Attraktion geben, die Aquarienanlage, angekündigt für Herbst.

Der Hafen von Fedderwardersiel ist von Verschlickung bedroht.
Wo ein Hafen ist, zumal einer für Kutter, ist der Fisch nicht weit. Die Butjadinger Fischereigesellschaft betreibt direkt am Becken einen Verkaufsladen. Auf die Hand gibt es zum Beispiel eine Granatfrikadelle, hausgemacht und mit Krabbenfleisch, wird in der Auslage versprochen. Krabbe kostet, ist enorm teuer geworden. Dafür gerät die Frikadelle zum echten Schnäppchen: 3,50 Euro. Wie das kommt? Man ahnt es schon, noch vor dem ersten Bissen: An Granat wurde gespart, der Geschmack ist eine Enttäuschung. Das Brötchen mit dem Kräuter-Matjes an der Bude vor dem Geschäft wäre die bessere Wahl gewesen. Oder Micha‘s Räucherfisch auf der anderen Seite des Hafens.
Am kommenden Wochenende werden sich die Verkaufsstände vor Kunden nicht retten können. Dann lädt Fedderwardersiel wieder zur Krabbenkutter-Regatta ein. Das Volksfest gibt es seit 50 Jahren, fester Bestandteil: die Krabbenpul-Meisterschaften. Außerdem werden Kutterfahrten angeboten und eine Papierboot-Regatta ausgetragen.
Langwarder Groden
Kleiner Abstecher zum Hof Iggewarden, der nicht nur einen Laden hat, sondern auch Café und Restaurant. Man kann Friesengolf spielen und Tiere füttern. Und Schnaps probieren: den Butjenter Wumken, eine regionale Spezialität. Dann weiter nach Langwarden. In dem Wurtendorf, entstanden im Mittelalter, ragt imposant die St.-Laurentius-Kirche auf. Der Blick reicht weit über Felder, Wiesen und Küste. Ein Mann hat sich das vor 200 Jahren zunutze gemacht: Carl Friedrich Gauß, der berühmte Mathematiker und Astronom. In Langwarden hat er auf dem Dachfirst der Kirche das Land vermessen, ein Gebiet zwischen Wangerooge und Hamburg. Die Karte mit dem Plan ziert die Rückseite des Zehn-Mark-Scheins.

Der Bauerngarten auf dem Hof Iggewarden.
Der Langwarder Groden ist ein Erlebnis. „Schlickgeflüster“ hatte die Stimme im Fedderwardersieler Hörstuhl gesagt. Hier, in diesem einzigartigen Salzwiesengebiet, das durch einen Rundwanderweg erschlossen wird, ist dieses Geflüster zu hören. Geräusche, das Knistern der Schlickkrebse zum Beispiel, die verraten, wie lebendig das Watt ist. Bei Flut heißt es auf dem 400 Meter langen Bohlensteg „über das Wasser gehen“. Ein fabelhafter Ort – einerseits, um die Gezeiten zu erleben. Andererseits, um Wiesenvögel wie Kiebitz, Brachvogel, Uferschnepfe oder Säbelschnäbler zu beobachten. Im Oktober sind Zugvögel die Attraktion.
Entstanden ist das 70 Hektar große Gebiet, weil für drei bauliche Megaprojekte am Jadebusen ein Ausgleich benötigt wurde. In den 1930er-Jahren war der Langwarder Groden eingedeicht worden und seitdem mit seinen Salzwiesen von der natürlichen Entwicklung abgeschnitten. 2014 wurde der Vordeich wieder geöffnet.

Der Langwarder Groden, ein renaturiertes 70 Hektar großes Salzwiesengebiet.
Oberfeuer Preußeneck
Die Tour endet mit einem Aufstieg. An der Landspitze der Halbinsel steht in Eckwarderhörne das Oberfeuer Preußeneck. An jedem Wochenende zwischen April und Oktober kann der Leuchtturm am Nachmittag erklommen werden. Also rauf jetzt zur Aussichtsplattform in 35 Metern Höhe. Der Blick ist grandios: das Marschenland hinter dem Deich. Der Nationalpark Wattenmeer. Und in der Ferne die Verladebrücken des Jade-Weser-Ports in Wilhelmshaven.
Die Flut kommt erst am Abend, darum tut sich zwischen Fahrwasser und Deich eine Schlickwüste auf. Fast wie die Würmer im Watt, so winzig klein sind von oben betrachtet die Wanderer im Nationalpark. Zwei große Gruppen, die aufgebrochen sind, geführt von Menschen, die sich auskennen – mit den schönen Seiten dieses Naturraums, aber auch den Tücken und Gefahren.
Neben dem denkmalgeschützten Leuchtturm, der 2012 außer Dienst gestellt wurde, steht das ehemalige Maschinenhaus, das zu einem kleinen Dokumentationszentrum umgebaut wurde. Wieder ein Lernort, an dem unter anderem die Geschichte von Jadebusen und Außenjade vermittelt wird. Butjadingen bildet, könnte man sagen. Die Eindrücke sind reich.