Die Zeit drängt. Innerhalb von zwei Monaten müssen Deutschland und seine Bundesländer der EU-Kommission nachweisen, wie sie die insbesondere durch Gülle verursachten Nitratbelastungen im Grundwasser runterfahren wollen. Sonst drohen Strafzahlungen in Millionenhöhe. Das ergibt sich aus einem letzten „Blauen Brief“ aus Brüssel, den die Bundesregierung am Donnerstag erhalten hat. Im Visier steht vor allem Niedersachsen als selbst ernanntes Agrarland Nummer eins, weil es schärfere Dünge-Regeln anders als andere Bundesländer wie Bayern oder Schleswig-Holstein noch nicht umgesetzt hat. „Wir nehmen die Mahnungen aus Brüssel sehr ernst“, sagte Agrarministerin Barbara Otte-Kinast (CDU) in Hannover und versprach, „dass wir jetzt schnell in die Pötte kommen“.
Seit Monaten arbeitet das Agrarressort an der Ausweisung sogenannter Risikogebiete, in denen künftig harte Auflagen wie Sperrzeiten für das Ausbringen von Gülle gelten sollen. Auf 38 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen besteht laut Ministerium Handlungsbedarf. Als besonders belastet gelten die Landkreise im tierhaltungsintensiven Westen: In Ammerland, Cloppenburg, Emsland, Grafschaft Bentheim, Oldenburg Rotenburg und Vechta wurden nach dem jüngsten Nährstoffbericht die zulässigen Grenzwerte für Stickstoff erheblich überschritten.
Die entsprechenden Karten seien zwar ausgearbeitet, aber noch nicht rechtsverbindlich, sagte Otte-Kinast. Deshalb könne man sie nicht veröffentlichen. Dabei spielt offenbar auch Angst vor aufgebrachten Landwirten eine Rolle. Der niedersächsische Bauernverband, macht bereits massiv gegen die Pläne mobil. Diese könnten „bis zur Existenzgefährdung gehen“, warnte Landvolk-Präsident Albert Schulte to Brinke vor finanziellen Einbußen der Bauernschaft. Man dürfe bei der Umsetzung der Düngeverordnung die „Orientierung an Maß und Ziel“ nicht verlieren. Im Klartext: Der Lobby-Verband fordert mehr Zeit und großzügige Übergangsregeln. Außerdem habe man bereits den Mineraldüngereinsatz um rund 20 Prozent reduziert.
Umsetzung der Düngeverordnung verschleppt
Der Geschäftsführer des Landkreistages, Hubert Meyer, kritisierte dagegen das Zögern Hannovers. „Das EU-Verfahren läuft schon seit Jahren, aber die Karten liegen immer noch nicht vor.“ Otte-Kinast habe die Umsetzung der Düngeverordnung aus Rücksicht auf die Landwirte verschleppt, schimpfte die grüne Landtagsabgeordnete Miriam Staudte. „Jahrelang traute sie sich nicht, Problemregionen auszuweisen und Problembetriebe ausreichend streng zu regulieren.“ Auch die Wasserversorger drängen seit Langem auf eine Beschränkung der Düngereinträge, warnen vor steigenden Verbraucherpreisen wegen eines erhöhten Reinigungsaufwandes. „Jetzt gilt es, gemeinsam auf die Tube zu drücken, um die roten Gebiete zu verankern und so den Anforderungen möglichst schnell gerecht zu werden“, meinte Umweltminister Olaf Lies (SPD).
Mögliche Geldbußen der EU richten sich zunächst an Deutschland. Doch die Bundesregierung beharrt auf dem Verursacherprinzip und will die Sünder in die Pflicht nehmen. „Dabei ist zu beachten, dass diejenige staatliche Ebene für finanzielle Sanktionen haftet, in deren Verantwortungsbereich die Pflichtverletzung fällt“, hatte das Bundesumweltministerium den niedersächsischen Kollegen im Streit um nicht ausgewiesene Naturschutzgebiete ins Stammbuch geschrieben.
Aufatmen konnte Agrarministerin Otte-Kinast unterdessen auf einem Nebenkriegsschauplatz. Das Bundesverfassungsgericht verwarf die Beschwerde eines niedersächsischen Unternehmers gegen Melde- und Dokumentationspflichten nach der Düngeverordnung. Diese schreibt vor, beim Handel oder Transport von Gülle und Mist Mengen und Inhaltsstoffe festzuhalten. Die Behörden können damit besser kontrollieren, ob die Lieferungen ordnungsgemäß erfolgen. Der Händler hatte argumentiert, dass es für diese Pflicht keine ausreichende Rechtsgrundlage gebe.
Die Karlsruher Richter hingegen sahen diese Voraussetzung als gegeben an – sehr zur Freude des Ministeriums: „Damit wird bestätigt, dass Abgaben und Aufnahmen von Wirtschaftsdüngern gemeldet werden müssen“, erklärte eine Sprecherin am Freitag. „Niedersachsen hat den Anspruch, dass Nährstoffströme zu 100 Prozent transparent sein müssen.“ Nur dann könnten die düngerechtlichen Vorschriften konsequent umgesetzt werden.