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Made in Niedersachsen Mit "schwarzer Kunst" ins digitale Zeitalter

Einladungen oder Berichte verschicken kann heute fast jeder mit dem PC – gedruckt wird immer weniger. Warum ein Druckhaus am Bremer Kreuz trotzdem zwei Millionen Euro in eine neue Druckmaschine investiert.
08.09.2024, 05:00 Uhr
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Von Christoph Barth

Der Buchdruck galt einmal als "schwarze Kunst": Eine Wissenschaft für sich, die nur wenige Experten beherrschen – mit stampfenden Maschinen, die so laut rattern und klappern, dass man sein eigenes Wort nicht mehr versteht. Wer mit dieser Vorstellung die Druckerei Berlin Druck im Gewerbegebiet Bremer Kreuz betritt, erlebt sein blaues Wunder. Wobei das Blau hier nicht Blau heißt, sondern "Cyan", und eine gute Druckmaschine daraus zusammen mit "Magenta" (Rot), "Yellow" (Gelb) und "Key" (Schwarz) jede Farbe des Regenbogens zaubern kann. So sauber und bei gedämpftem Lärmpegel, dass man sich eher in einem Copy Shop als in einer Druckerei wähnt.

Auf den zweiten Blick allerdings sind die Maschinen dann doch etwas größer als ein Farbkopierer: Die neue Heidelberg Speedmaster zum Beispiel, der ganze Stolz von Firmenchef Frank Rüter. "Das ist die erste Maschine in dieser Konfiguration und Vollständigkeit in Deutschland", versichert er und betrachtet seine Neuanschaffung, die so groß wie ein gestrandetes Hausboot in der Halle steht, komplett mit Steuerstand und einem riesigen Kontroll-Bildschirm. Vier Sattelschlepper haben die Einzelteile im August antransportiert: den Anleger, die Farbwerke und Zylinder, den Trockner und die Bogenauslage – insgesamt 52 Tonnen. Drei Wochen dauerte die Montage, das Einrichten und Justieren; jetzt geht die neue Druckmaschine in Betrieb.

18.000 Bögen Papier in einer Stunde

Ihrem Namen soll sie dabei alle Ehre machen: Die Speedmaster bedruckt fünf große Papierbögen pro Sekunde, heißt: 18.000 in der Stunde. "Das können Prospekte sein, Kataloge, Plakate, Flyer, Bücher, Karten – machen wir alles", zählt Rüter auf. Sogar Speisekarten für Kreuzfahrtschiffe drucken sie am Bremer Kreuz. Der Druckereichef rattert die Worte herunter, als wollte er seine neue Maschine an Geschwindigkeit noch übertrumpfen. Auf Schnelligkeit kommt es mehr denn je an in einer Branche, die in der größten Krise steckt, seit Johannes Gutenberg vor bald 600 Jahren den Buchdruck erfand. Und wie immer in Zeiten des rasenden Wandels gibt es die, die mithalten, und die, die auf der Strecke bleiben. Rüter will mithalten.

Die Krise trägt einen bekannten Namen: Digitalisierung. Seit Bücher auf dem E-Reader gelesen werden, Werbeprospekte ins Internet wandern und Geschäftsberichte per PDF verschickt werden, gibt es für die Drucker immer weniger zu drucken. Nach Zahlen des Bundesverbands der Druck- und Medienwirtschaft (BVDM) gingen die Umsätze der Branche allein in den vergangenen fünf Jahren um ein Drittel zurück. Die Zahl der Druckereien sinkt beständig: Von rund 14.000 Betrieben im Jahr 2000 ist nicht einmal die Hälfte übrig geblieben – der Rest musste aufgeben, ging pleite oder wurde übernommen. Die Beschäftigtenzahl halbierte sich von rund 220.000 auf 106.000 Mitarbeiter.

"Der Wettbewerb ist brutal", stellt Rüter fest. Aus der "schwarzen Kunst" der Drucker, die jahrhundertelang nur sie beherrschten, ist heute eine vergleichsweise schnell erlernbare Bastelei am Computer geworden: Eine Einladungs- oder Dankeskarte zu entwerfen und auszudrucken – oder gleich digital zu verschicken – schafft heute fast jeder. Auch Werbung braucht keinen Handzettel mehr, sondern nur noch ein Instagram-Account. Papier zu bedrucken, scheint aus der Zeit gefallen zu sein.

Warum also eine Maschine kaufen, die 18.000 Bögen bedrucktes Papier in der Stunde auswirft? Mehr als zwei Millionen Euro investiert Berlin Druck in das neue Gerät; gleich daneben steht ein ähnliches Fabrikat, das Rüter vor zwei Jahren beschafft hat, für zweieinhalb Millionen. Viel Geld für ein kleines Unternehmen mit 45 Mitarbeitern, noch dazu in einer Krisenbranche.

130 neue Kunden in einem Jahr

Die Antwort auf die Frage hängt an der Tür zum Konferenzraum: Ein Plakat mit 130 Kästchen, jedes mit einem Firmenlogo bedruckt. "Das sind unsere neuen Kunden, die wir letztes Jahr dazugewonnen haben", erklärt Rüter. Das Plakat für das laufende Jahr hängt darüber und trägt bislang 30 Namen. "Natürlich werden die nicht alle zu Stammkunden", räumt der umtriebige Druckereichef ein. "Aber wir können nur überleben, wenn wir breiter werden, mehr Kunden gewinnen, neues Geschäft generieren." Eigentlich eine Binsenweisheit, aber im Druckereigeschäft wird daraus eine Überlebensfrage.

Es ist ein Verdrängungswettbewerb: Als im vergangenen Jahr die Oldenburger Druckerei Prull aufgeben musste, übernahm Berlin Druck das Büro, zwei Mitarbeiter und die Kundendatei – der Rest blieb auf der Strecke. Die Gründe dafür, warum eine Druckerei aufgibt, sind unterschiedlich: Mal fehlt ein Nachfolger, mal das Geld für eine neue Druckmaschine. Aber fast immer spielt auch das schrumpfende Geschäft eine Rolle, die sinkende Nachfrage nach bedrucktem Papier.

Papier ist nicht gleich Papier

"Dabei ist das so ein schönes Produkt", schwärmt Rüter, der sein Leben lang in der Branche gearbeitet hat, davon die letzten 16 Jahre bei Berlin Druck. "Man kann es in die Hand nehmen, es fühlen und riechen – so etwas kriegt man nicht im Netz." Die Vielfalt ist groß, Papier ist schließlich nicht gleich Papier: Der Firmenprospekt von Berlin Druck zeigt ein paar der Möglichkeiten – vom edelmatten "Munken Polar ungestrichen" bis zum "Maxigloss holzfrei gestrichen" in Hochglanz. Die Kunden haben die Wahl.

Und wenn sie gewählt haben und die Druckdatei an die Maschine übertragen ist, legt die neue Speedmaster los: Rund um die Uhr muss die Maschine laufen, damit sie ihr Geld verdient – im Drei-Schicht-Betrieb an fünf Tagen der Woche; wenn es sein muss, auch noch am Wochenende. In einer Branche, die ihre "schwarze Kunst" gerade ins digitale Zeitalter hinüberzuretten versucht, heißt das Bedienpersonal der Maschine nicht mehr Drucker, sondern "Medientechnologe Druck". "Die Konsolidierung geht weiter", prognostiziert Rüter. Die Druckaufträge werden zurückgehen, die Auflagen sinken. "Aber Druckereien wird es weiter geben", da ist sich Rüter ganz sicher. Und Berlin Druck will dabei sein.

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