Als Reaktion auf das russische Vorgehen in der Ostukraine hat die Bundesregierung das Genehmigungsverfahren für die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 gestoppt. Die Erdgasröhre werde vorläufig nicht in Betrieb gehen, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Dienstag in einer Pressekonferenz.
Russlands Ex-Präsident Dmitri Medwedew drohte mit deutlich steigenden Gaspreisen in Europa. „Nun gut, herzlich willkommen in der neuen Welt, in der die Europäer bald 2000 Euro pro 1000 Kubikmeter Gas zahlen“, schrieb der stellvertretende Vorsitzende des Sicherheitsrats am Dienstag bei Twitter in verschiedenen Sprachen. Das wäre – bezogen auf Spotmarktpreise – mehr als eine Verdoppelung.
Bremens Energieversorger SWB beobachtet wie der Mutterkonzern, die Oldenburger EWE, die Lage sehr genau. Die SWB hatte zum Februar die Gaspreise im Basistarif leicht erhöht und die Strompreise leicht gesenkt, die EWE wird zum April die Preise für Strom und Gas erhöhen. SWB-Sprecherin Angela Dittmer sagte: "Die benötigten Erdgasmengen werden an den europäischen Energiehandelsplätzen in einem Mix aus langfristigen Bezugsverträgen, zum Beispiel zwei Jahre im Voraus, und kurzfristig georderten Mengen beschafft." Das Gas werde in Bremen nicht ausgehen.
Im Gegensatz zur SWB besitzt die EWE eigene Gasspeicher. Laut Sprecher Dietmar Bücker seien die ausreichend gefüllt. Sollte die SWB nicht um eine Preiserhöhung herumkommen, wäre damit wohl frühestens zum 1. Mai zu rechnen. Die Anpassung muss mit einer Frist von mindestens sechs Wochen angekündigt werden.
Erdgas: Hälfte der deutschen Importe kommt aus Russland
Deutschland bezieht rund die Hälfte seiner Erdgasimporte aus Russland. Die heimische Erdgasförderung wäre bei einem Lieferstopp kein Ersatz: Sie ließe sich allenfalls "für einige Jahre auf dem aktuellen Niveau halten oder im optimistischen Fall um zehn bis 20 Prozent erhöhen", sagt Miriam Ahrens, Sprecherin des Bundesverbands Erdöl, Erdgas, Geoenergie (BVEG). Erdgas wird in Deutschland fast ausschließlich in Niedersachsen zwischen Elbe, Weser und Ems gefördert. 2020 belief sich die heimische Fördermenge auf 5,2 Milliarden Kubikmeter; 2021 lagen die Produktionsmengen in ähnlicher Höhe, so Ahrens. Damit lassen sich fünf bis sechs Prozent des heimischen Bedarfs decken. Vor 20 Jahren stammten noch gut 20 Prozent des deutschen Erdgasverbrauchs aus einheimischen Quellen.
"Die deutschen Erdgasproduzenten können nicht kurzfristig die Fördermenge erhöhen", sagt Ahrens. "Aber sie können in dieser Lage zusagen, dass sie ihre Produktion auf Maximum fahren werden und jedes erschlossene Molekül, das sich aktuell produzieren lässt, auf den Markt bringen werden." Voraussetzung sei die "erforderliche gesellschaftliche, politische und behördliche Unterstützung", so die BVEG-Sprecherin.
An der jedoch hat es in den vergangenen Jahren zunehmend gefehlt. Zahlreiche Bürgerinitiativen fordern ein Ende der Erdgasförderung in Niedersachsen. Sie befürchten gesundheitliche Risiken, eine Gefährdung des Grundwassers und Schäden an ihren Häusern durch Erdbeben. Auch die Grünen setzen sich im Landtag für einen Ausstieg aus der Öl- und Gasförderung ein. In der vergangenen Woche erst fand eine Anhörung dazu im Umweltausschuss des Niedersächsischen Landtags statt. Die in Hannover regierende Große Koalition will die bestehenden Förderstätten zwar nicht sofort stilllegen, neue Bohrungen jedoch einschränken. In sieben Jahren seien die niedersächsischen Gasreserven ohnehin erschöpft, so ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums.
LNG-Importterminals in Norddeutschland könnten Abhilfe schaffen
Der BVEG sieht zwar in Deutschland ein Potenzial von 2,3 Billionen Kubikmetern Schiefergas. Dieses ließe sich jedoch nur mithilfe der Fracking-Methode erschließen, bei der das Gestein unter Hochdruck aufgebrochen wird. "Die Landesregierung lehnt den Einsatz dieser Technologie in unkonventionellen Kohlenwasserstofflagerstätten jedoch ausnahmslos ab", versicherte der Ministeriumssprecher.
Der Gesundheits- und Trinkwasserschutz sei höher zu bewerten wird als die Gewinnung von Erdgas oder Erdöl mittels Fracking. Auch ein niederländisches Offshore-Projekt an der Grenze zum deutschen Wattenmeer-Nationalpark stößt in Hannover parteiübergreifend auf Ablehnung.
Als Alternative zu russischen Erdgasimporten bringen sich die norddeutschen Seehäfen ins Spiel: Stade, Brunsbüttel und Wilhelmshaven verfolgen Pläne zum Bau von Importterminals für Flüssigerdgas (LNG). Am weitesten fortgeschritten sind die Planungen in Stade: Dort sollen die Antragsunterlagen im Sommer abgegeben werden. Bis zu zwölf Milliarden Kubikmeter Erdgas könnten von hier jährlich ins Netz strömen und so rund zehn Prozent des bundesdeutschen Bedarfs decken. Früheste Inbetriebnahme: 2026 – wenn alles klappt.
In Wilhelmshaven war ein ähnliches Projekt vor einem Jahr mangels Nachfrage zu den Akten gelegt worden. Der niedersächsische Umweltminister Olaf Lies (SPD) sieht jedoch angesichts der angespannten Lage neue Chancen für ein Erdgasterminal an der Jade.