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Corona-Politik Ein riskanter Kurswechsel in Spanien

Spanien hatte einst den härtesten Lockdown in Europa, dann gelang dem Land eine vorbildliche Impfquote. Doch nun will die spanische Regierung die Pandemie gelassener angehen. Ralph Schulze sieht das kritisch.
18.01.2022, 05:00 Uhr
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Ein riskanter Kurswechsel in Spanien
Von Ralph Schulze

Wer in die spanische Hauptstadt Madrid reist, reibt sich verwundert die Augen: Das Leben pulsiert in den Ausgeh- und Einkaufsvierteln, als ob es kein Corona und keine Omikron-Welle geben würde. Niemand verlangt einen Gesundheitsnachweis, um in Cafés, Kneipen, Restaurants oder ins Theater gehen zu können. Hunderttausende Kinder drücken nach den Winterferien wieder die Schulbank – ohne Testpflichten für Schüler und Lehrer. Und Real Madrid spielt weiter vor Zehntausenden Fans.

Gelassenheit statt Restriktionen heißt es nun in Madrid und in den meisten anderen Regionen Spaniens. Dabei hatte das Land zu Beginn der Pandemie im Jahr 2020 noch den härtesten Lockdown Europas. Warum dieser Kurswechsel? Weil strenge Regeln, wie sie in Deutschland gelten, in Spanien wegen der wachsenden Corona-Müdigkeit  politisch nicht mehr durchsetzbar sind.

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Die Wende wurde schon vor einigen Monaten von der konservativen Ministerpräsidentin der Hauptstadtregion Madrid, Isabel Ayuso, eingeleitet. Sie fuhr mit ihrem populistischen Ruf nach Freiheit und einem Ende der Restriktionen einen triumphalen Wahlsieg ein. Nun gehört sie zu den beliebtesten Politkern. Seitdem traut sich kaum noch jemand, die Geduld der Spanier durch strenge Corona-Regeln zu strapazieren.

Regierungschef schwenkt um

Sogar Spaniens sozialistischer Regierungschef Pedro Sánchez, der 2020 noch eine eiserne Ausgehsperre anordnete, in der sogar Sport und Spaziergänge verboten waren, schwenkte mittlerweile auf den Kurs der Freiheit und Gelassenheit ein. Seine Minderheitsregierung kann sich keinen Sympathieverlust leisten, denn Madrids Landesfürstin Ayuso macht kein Geheimnis daraus, dass sie Sánchez als Premier ablösen möchte. 

Auch vor diesem Hintergrund ist Sánchez überraschende Ankündigung zu verstehen, dass man der Pandemie in Zukunft deutlich weniger Bedeutung beimessen und Corona wie andere wiederkehrende Krankheiten betrachten wolle. Etwa wie die jährlichen Grippe-Wellen. Das bedeute zum Beispiel, sagte Sánchez, dass man sich von der Erhebung und Verfolgung aller Corona-Infektionen und von den Massentests demnächst verabschieden werde. Schließlich sei die Pandemie in Spanien weitgehend unter Kontrolle und die Lage heute weitaus weniger schlimm als bei früheren Corona-Wellen. Das hört sich gut an. Aber stimmt das auch?

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In der Tat hat Spaniens hohe Impfquote, die im vergangenen Jahr erstaunlich schnell erreicht wurde, dem Land international viel Lob eingebracht und den Ruf, zu Europas Impf-Musterschülern zu gehören. Mit der ersten Kampagne hatte Spanien mit 80 Prozent die dritthöchste Impfquote Europas erzielt. Doch in der Booster-Kampagne läuft es nicht mehr so gut. Bisher holten sich nur 36 Prozent der Spanier den Auffrischungsstich. Damit liegt das Land lediglich im europäischen Mittelfeld.

Virologen warnen

Man wird sehen, ob Spanien sich wieder an die Impfspitze vorarbeiten kann. Denn es ist gut möglich, dass die wachsende staatliche Entspannung im Umgang mit Corona auch die früher so große Impfbereitschaft beeinträchtigen wird. Virologen warnen vermutlich nicht zu Unrecht davor, dass Spaniens unbeschwerte Corona-Politik einem Spiel mit dem Feuer gleichkomme. Man dürfe die Pandemie nicht banalisieren und mit einer harmlosen Erkältung vergleichen, mahnen sie. Schließlich sei ungewiss, wie sich das Virus weiterentwickelt.

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Die nackten Zahlen scheinen die Epidemiologen zu bestätigen: Die Infektionszahlen explodieren in Spanien, die Gesundheitsbehörden haben die Kontrolle verloren. Offiziell gab es in den vergangenen sieben Tagen rund eine Million Neuansteckungen, vielleicht waren es sogar zwei Millionen. Mangels ausreichender Testmöglichkeiten wurde schon länger aufgehört, korrekt zu zählen.

Belegte Intensivbetten

In Spaniens Krankenhäusern ist die Lage besorgniserregend: Routineoperationen müssen verschoben, Notfallpläne aktiviert werden. In kaum einem anderen EU-Land liegen so viele Covid-Patienten in Intensivbetten. Es sieht ganz danach aus, als ob Spaniens Strategie, die Pandemie kleinzureden, derzeit nicht aufgeht.

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