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Präsidentschaftswahl in Frankreich Der ungeliebte Favorit

Bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahl am Sonntag in Frankreich führt Amtsinhaber Macron klar. Doch Rechtspopulistin Marine Le Pen holte zuletzt auf. Eine große Rolle könnten Nichtwähler spielen.
06.04.2022, 15:48 Uhr
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Von Birgit Holzer

Das alte Feuer, es ist noch spürbar. Emmanuel Macron springt am Sonnabend auf eine flache Bühne, deren Stufen in den französischen Nationalfarben angestrichen sind, blau-weiß-rot. Mehrere Pulte stehen hier, zwischen denen er locker wie ein Entertainer hin- und hergeht, um sich abwechselnd in jede Richtung des Saals zu wenden. Solche Auftritte hat Macron bereits 2017 absolviert, als er als 39-jähriger Newcomer den Wahlkampf und mit dem Sieg seiner eigenen Bewegung die bisherige Parteienlandschaft durcheinanderwirbelte.

Eine optimistische, proeuropäische Kampagne führte Macron damals und bei seinen Kundgebungen überschlug sich schon mal seine Stimme vor Euphorie. Als er einmal völlig entfesselt beide Arme in die Luft riss, wurde er in den sozialen Netzwerken als „Jesus Christus“ verspottet.
So etwas passiert ihm heute nicht mehr: Er hat sich besser im Griff.

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Gut zwei Stunden lang spricht er völlig frei. Selbstsicher verteidigt er seine Bilanz. „Trotz der Krisen haben wir nie aufgegeben und haben unsere Versprechen gehalten“, ruft der 44-Jährige, und die Menge jubelt. Die Arbeitslosigkeit sei auf dem niedrigsten Stand seit 15 Jahren, er habe die Sozialabgaben gesenkt und den gesetzlichen Vaterschaftsurlaub von 14 auf 28 Tage verdoppelt.

Natürlich kann Marine Le Pen gewinnen
Édouard Philippe, ehemaliger Premierminister

Für seine einzige Wahlkampf-Kundgebung sind 30.000 Menschen in die „La Défense Arena“ bei dem Geschäftsviertel im Pariser Westen gekommen. Es ist der größte Saal Europas, wie Macron betont.
Kurz vor der ersten Runde der französischen Präsidentschaftswahl am nächsten Sonntag führt er immer noch klar in den Umfragen. Diese sehen ihn bei 27,5 Prozent, das wären 3,5 Punkte mehr als 2017 im ersten Wahlgang. Infolge des Ukraine-Kriegs konnte sich der Staatschef kaum dem Wahlkampf widmen, was auch nicht unbedingt notwendig erschien, gilt er doch als klarer Favorit. Schließlich, so sagen es Meinungsforscher, neigen die Wählerinnen und Wähler in Kriegs- und Krisenzeiten stärker dem Amtsinhaber zu. 58 Prozent sind zufrieden mit seinem Krisenmanagement und unermüdlichen Verhandlungsversuchen.

Und doch kamen in den vergangenen Tagen Zweifel auf. Denn auch Macrons bestplatzierte Konkurrentin, die Rechtspopulistin Marine Le Pen, hat zuletzt um mehrere Punkte auf 20,7 Prozent zugelegt. Dahinter folgt der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon mit knapp 15 Prozent. Aber in der Stichwahl gegen Macron könnte die rechte Kandidatin bis zu 47,5 Prozent erreichen – gegenüber 34 Prozent vor fünf Jahren.

„Natürlich kann Marine Le Pen gewinnen“, sagte Macrons ehemaliger Premierminister Édouard Philippe, der inzwischen seine eigene Partei „Horizonte“ gegründet hat, aber den Präsidenten unterstützt. Sie werde durch die Kandidatur des ultrarechten Kandidaten Éric Zemmour gestärkt, der lange eine harte Konkurrenz für sie darstellte, inzwischen aber auf etwa zehn Prozent abfiel, sagt Philippe: Der „oft skandalöse Charakter“ von Zemmours Aussagen verleihe ihr ein weicheres Image.

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So will der mehrfach wegen Volksverhetzung verurteilte Journalist Europas Außengrenzen mit Mauern absichern und setzt den Islam mit Islamismus gleich. Le Pen hingegen sagt, sie habe kein Problem mit den Muslimen im Land und sprach sich anders als Zemmour sofort für die Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge aus. Vor allem aber setzt sie auf das Thema Kaufkraft, das für viele die Hauptsorge Nummer eins geworden ist. Dass die beiden Rechtsextremen bis zu Beginn des russischen Einmarsches in die Ukraine große Verehrer von Präsident Wladimir Putin waren, konnte vor allem Le Pen geschickt vergessen machen.

Eine wichtige Rolle für das Endergebnis dürfte die Stimmenthaltung spielen. Umfragen zufolge könnten bis zu 30 Prozent der Wählerinnen und Wähler den Urnen fernbleiben – das wäre ein Rekord bei Präsidentschaftswahlen. Es herrschen Desinteresse und Verdruss – das Gefühl, der Urnengang bewirke ohnehin nichts. Bei der Altersgruppe von 25 bis 34 rechnet man mit einer Enthaltungsquote von bis zu 43 Prozent. Macron selbst hat gegenüber Vertrauten zugegeben, es sei eine Gefahr, mit verhältnismäßig wenigen Stimmen und nur als „kleineres Übel“ gewählt zu werden. Es solle eine Wahl „aus Verlangen“ sein.

Doch viele Menschen in Frankreich lehnen ihn heftig ab, kritisieren ihn als arrogant und werfen ihm vor, mehrere Reformen kompromisslos mit Dekreten durchgesetzt haben. Nun kündigte er an, das Rentenalter von 62 auf 65 setzen zu wollen. Konnte Macron 2017 zahlreiche Linkswähler abwerben, so haben sich viele von ihnen mittlerweile von ihm abgewendet und könnten bei einem Duell Macron – Le Pen der Stichwahl ganz fernbleiben.

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Auf einen trifft das sicher zu: Jérôme Rodrigues. Seit er bei einer Demonstration der „Gelbwesten“ im Januar 2019 durch ein Hartgummi-Geschoss der Polizei ein Auge verlor, gilt der 42-Jährige als eine Ikone der gleichnamigen Bewegung. Für Macron hat er kein gutes Wort übrig. „Ihm sind die Franzosen egal, genauso wie er sich nicht um die Gewalt bei den Demos scherte“, sagt Rodrigues. Er selbst habe immer links gewählt, aber Macron habe nichts von einem Linken.

Dass dieser die Schulklassen verkleinern ließ und in sozialen Brennpunkten sogar auf höchstens zwölf Jugendliche beschränkte oder dass der Staat während der Coronavirus-Pandemie etliche Branchen, aber auch Familien, Studenten, Selbstständige und Künstler großzügig unterstützte – all das verdeckt für Rodrigues nicht die negative Bilanz Macrons: „Er ist der schlechteste Präsident seit 30 Jahren.“ Ob Macron oder Le Pen, für ihn sei das einerlei. Und auch wenn das für die Programme der beiden keineswegs gilt, so denken viele Menschen in Frankreich so. Der Ausgang könnte knapper werden als gedacht.

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