Es tut sich was am rechten Rand des politischen Spektrums im EU-Parlament. Seitdem Anfang Juli eine neue Allianz für Europa ein Papier unter dem Titel „Erklärung zur Zukunft Europas“ veröffentlichte, werden Spekulationen um einen gemeinsamen Aufbruch rechter und nationalistischer Parteien immer lauter. Ungarns Premier Viktor Orbán gehört mit seiner Fidesz-Regierungspartei ebenso dazu wie die Französin Marine Le Pen und ihr Rassemblement National (RN), Italiens Matteo Salvini mit seiner Lega und der polnische PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski. Die österreichische FPÖ hat das Dokument ebenso unterschrieben wie die spanische Vox oder die italienischen Fratelli d’Italia.
Gemeinsam kämen sie auf 134 Sitze
Bisher gehören die 16 Unterzeichner zwei Fraktionen im europäischen Abgeordnetenhaus an, die schon jetzt rechts von der christdemokratischen Europäischen Volkspartei (EVP) stehen, in deren Reihen auch CDU und CSU zu Hause sind: den „Europäischen Konservativen und Reformern“ (EKR) sowie der Fraktion „Identität und Demokratie“ (ID). Einzeln spielen sie keine tragende Rolle, gemeinsam kämen sich jedoch auf 134 Sitze und würden zur drittstärksten Kraft im Straßburger Plenum.
Der Text handelt von der Familie „als Keimzelle der Nation“, dem Selbstbestimmungsrecht der Völker und einem vermeintlich „moralischen Absolutismus“ Brüssels, der freie Völker unterwerfe. Deshalb solle, so hat es Orbán erst vor wenigen Tagen betont, das Europäische Parlament entmachtet und wesentliche Kompetenzen wieder in die Mitgliedstaaten zurückgegeben werden. Die Charta wird von den Unterzeichnern als Grundstein für eine große Reform der EU verstanden.
Eine Partei allerdings fehlt: die deutsche AfD. „Wir würden das alles eins zu eins unterschreiben“, sagte AfD-Chef Jörg Meuthen. Aber die AfD wurde nicht gefragt. Ungarn, aber auch Polen, hat „gewisse Vorbehalte“ gegen die deutsche Rechte. Hauptgrund: Im April hatte der AfD-Bundesparteitag die Forderung nach einem Austritt Deutschlands aus der EU in das Bundestagswahlprogramm geschrieben. Und das war den anderen EU-Kritikern und -Gegnern dann doch zu viel.
Denn auch wenn es bis 2017 Phasen gab, in denen Le Pen von einem „Frexit“, also dem Ausstieg Frankreichs aus der EU, schwärmte und es ihr andere Parteichefs für ihre Länder gleichtaten, haben sich die Zeiten geändert. Selbst Orbán und Salvini wissen, dass sie mit Anti-EU-Sprüchen keinen Wahlkampf gewinnen können. Das hat Gründe: Es gibt zum Binnenmarkt und damit zur EU keine Alternative. Und außerdem werden gerade Milliardensummen aus dem Corona-Aufbaufonds „Next Generation EU“ an die Mitgliedstaaten ausgeschüttet. Also änderte man die Strategie, wurde hoffähig und machte daraus den solide klingenden Appell „Lasst uns gemeinsam die Union für die Zukunft Europas reformieren“ – es sind die Schlussworte der Erklärung.
Mehrere gescheiterte Anläufe
Der (Alp-)Traum einer starken und vereinten Rechten im EU-Parlament ist allerdings nicht neu. Er machte bisher nur durch mehrfach gescheiterte Anläufe von sich reden. Und auch für die jetzige Erklärung mussten die 16 Unterzeichner lange nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner suchen. „Da geht nichts zusammen“, sagte Manfred Weber (CSU), der Vorsitzende der christdemokratischen Fraktion bereits, nachdem seine EVP zwei italienische Politikerinnen aufgenommen hatte, denen Salvinis Lega zu extrem geworden war. Es sind die Ersten, die desertierten und damit Zweifel hinterlassen, ob am Ende alle 16 Unterzeichnerparteien auch wirklich in voller Stärke ihrer EU-Abgeordneten eine neue Fraktion bilden könnten. Oder ob sie auf dem Weg dahin moderatere Politiker verlieren.
Denn die Gemeinsamkeiten der mutmaßlichen Partner sind gering. Beispiel Migranten: Ungarn und Polen möchten überhaupt keine Hilfesuchenden aufnehmen und lehnen deshalb eine Verteilquote ab, Italien dagegen fordert genau diese. Beispiel Russland: Die Rechten in Rom und Paris lassen immer wieder Bewunderung für Kremlchef Wladimir Putin erkennen, teilweise auch Ungarns Premier Orbán. Die polnische PiS schließt jede Sympathie für den russischen Präsidenten aus. Der Dresdner Politikwissenschaftler Hans Vorländer erinnerte daran, dass Vereinigungsversuche bereits nach der Europawahl 2019 gescheitert sind: „Es gibt unter den Rechtspopulisten mehr Trennendes als Einigendes.“