Die EU-Kommission hat ohne Zweifel ein Faible dafür, ihren Projekten eingängige Titel zu verleihen. Da machte die Brüsseler Behörde auch am Dienstag bei der Vorstellung des jüngsten Plans keine Ausnahme: „RePowerEU“ heißt die Strategie, mit der die Europäische Union so schnell wie möglich unabhängig von ihrem größten Energielieferanten werden will. Als Reaktion auf den Angriffskrieg Russlands will die Staatengemeinschaft die Gasimporte aus dem Land bis zum Ende dieses Jahres um zwei Drittel reduzieren, wie EU-Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans bei einer Pressekonferenz in Brüssel bekannt gab. Zudem will die Union „deutlich vor 2030“ ohne russisches Gas auskommen. Dies sei „hart, verdammt hart“, so der Niederländer. „Aber es ist möglich, wenn wir bereit sind, weiter und schneller voranzugehen als bisher.“ Es gehe nun auch um „unsere Sicherheit“. Um das Ziel zu erreichen, fordert die EU, den Ausbau erneuerbarer Energien zu anzukurbeln, indem etwa Genehmigungsverfahren für Ökostromprojekte beschleunigt und neue Investoren angelockt werden.
Regierungen sind angehalten, besondere Gebiete auf Land und See für den Ausbau zu identifizieren. Daneben sieht der Plan vor, den Energieverbrauch zu senken und neue Quellen für Gaslieferungen zu erschließen, insbesondere für Flüssiggas (LNG), das mit Tankern übers Meer transportiert werden kann. So sei man in Gesprächen mit Ägypten, Katar, Australien und den USA. Zudem sollen die Gasspeicher, die laut Behörde im Moment zu weniger als 30 Prozent voll sind, bis Oktober im Schnitt zu mindestens 90 Prozent gefüllt werden. Zu den Vorschlägen, wie dies umgesetzt werden könnte, gehört, dass die Mitgliedstaaten gemeinsam Gas einkaufen.
Derzeit deckt die EU knapp ein Viertel ihres Energiebedarfs mit Gas ab, wovon laut Behörde wiederum 90 Prozent importiert würden. Mehr als 40 Prozent des in die EU importierten Gases stammt aus Russland. Insbesondere Deutschland ist abhängig. Die EU wie auch Regierungsvertreter der 27 Hauptstädte betonen seit Wochen, die Versorgung sei für den Rest der kalten Monate gesichert – selbst für den Fall, dass Russland die Gas-Lieferungen stoppt. Im kommenden Winter sieht die Lage anders aus. Dafür müsse man sich wappnen, sagte EU-Energiekommissarin Kadri Simson. Gleichwohl warnte die Behörde, dass die Energiepreise voraussichtlich weiterhin hoch bleiben werden – oder sogar noch steigen. Deshalb diskutiere die Kommission mit den Ländern, wie sie Verbraucher und Unternehmen in dieser Krise durch Sondermaßnahmen unterstützen könnten, etwa in Form von einer Regulierung der Preise für Haushalte und kleinere Firmen.
Dass die EU im Zuge ihres Green Deals von Erdöl, Erdgas und Kohle aus Russland loskommen will, ist nicht neu. Damit verfolgt die Gemeinschaft das ehrgeizige Ziel, bis 2050 klimaneutral zu sein. Aufgrund der zunehmenden Gewalt in der Ukraine könnte der Ausstieg aus den fossilen Energien nun deutlich schneller gehen als geplant. Die Maßnahmen würden Präsident Wladimir Putin „wehtun“, wie Timmermanns sage, „auch wenn sie vielleicht auch uns weh tun werden“.
Jens Geier, industriepolitischer Sprecher der Europa-SPD, forderte, weitere Preissprünge zu verhindern. Es sei „die Stunde der Klimadiplomatie“, wozu gehöre, dass der Aufbau von Wasserstoffpartnerschaften mit Drittstaaten „nicht verschlafen“ werden dürfe. Der CDU-Europaabgeordnete Markus Pieper (CDU), Mitglied im Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie, begrüßte den Vorstoß der Kommission, sieht aber noch Luft nach oben. So müsse die Kommission etwa Kompromisse beim Artenschutz zulassen, also „den Mitgliedsstaaten rechtlich die Möglichkeit einräumen, bei gefährdeten Tierarten nicht mehr die einzelne Fledermaus als Ausschlusskriterium für neue Anlagen zu sehen, sondern nur die Gefährdung der Art insgesamt“.