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Misstrauensvotum Frankreich: Regierung auf der Kippe

Ob Premierminister Michel Barnier und seine Regierung im Amt bleiben können, hängt entscheidend von der Rechtsextremen Marine Le Pen ab – die ihre Machtposition für sich zu nutzen weiß.
03.12.2024, 05:00 Uhr
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Von Birgit Holzer

Wird Michel Barnier, der vor gerade einmal drei Monaten zum französischen Premierminister ernannt wurde, Ende der Woche noch im Amt sein? Und wenn ja, kann er weiter bis Weihnachten durchhalten und es schaffen, ein Haushaltsgesetz für 2025 durchzubringen, mit dem er das hoch verschuldete Land auf einen Sparkurs bringt? Oder beschert Marine Le Pen, die mächtige Fraktionsvorsitzende des rechtsextremen Rassemblement National (RN), ihm und der gesamten Regierung noch vorher das politische Aus?

Bis zuletzt feilschten sie und Barnier miteinander, bevor dieser der Nationalversammlung am Montagnachmittag den Entwurf für den Sozialhaushalt vorlegte – aber ohne darüber abstimmen zu lassen. Aufgrund des Risikos einer Ablehnung setzte er den Sonderartikel 49.3 ein, mit dem er das Gesetz am Parlament vorbei durchsetzen kann. „Die Französinnen und Franzosen erwarten Stabilität“, rechtfertigte der 73-Jährige seine Entscheidung.

„Die Französinnen und Franzosen erwarten Stabilität.“ (Michel Barnier)

Die linken Oppositionsparteien kündigten sofort einen Misstrauensantrag an, über den an diesem Mittwoch abgestimmt werden soll. Seit Tagen erhöhten Le Pen und ihre Mitstreiter den Druck auf den Premierminister, indem sie durchscheinen ließen, dass sie sich dem anschließen wollen, um die Regierung zu stürzen. Angesichts von Barniers Unbeweglichkeit sei das quasi unvermeidbar geworden, sagte RN-Chef Jordan Bardella am Montag. „Wir wurden seit Monaten bewusst ignoriert und missachtet.“

In einem Fernseh-Interview hatte der Regierungschef eindrücklich vor einem „Gewittersturm“ und „schweren Turbulenzen auf den Finanzmärkten“ gewarnt, sollte der Sparhaushalt nicht beschlossen werden. Mit diesem soll die Neuverschuldung 2025 von gut sechs auf fünf Prozent der Wirtschaftsleistung gedrückt werden. Frankreich hat 3,2 Billionen Euro Schulden.

Trotzdem kam der ehemalige EU-Kommissar und Brexit-Unterhändler dem RN als der zahlenmäßig stärksten Einzelpartei in der Nationalversammlung in mehreren Punkten entgegen. Unter anderem verzichtete er auf die Erhöhung der Stromsteuern sowie der Eigenbeteiligung an verschreibungspflichtigen Medikamenten.

Von Anfang an galt er als Premierminister „von Le Pens Gnaden“, weil sie versprochen hatte, Barnier im Gegensatz zu anderen Kandidaten zumindest eine Chance zu geben. Seine Mitte-Rechts-Regierung hat keine eigene Mehrheit und das Bündnis aus linken und grünen Parteien will ihn stürzen, da es die Parlamentswahlen im Sommer gewonnen, aber keinen Regierungsauftrag von Präsident Emmanuel Macron erhalten hatte. Dafür braucht es die Stimmen des RN, dem somit die Rolle als Zünglein an der Waage zukommt.

Le Pen tritt mit neuer Härte auf, seit die Staatsanwaltschaft im Prozess wegen Veruntreuung von EU-Geldern gegen sie und weitere Parteifreunde den Entzug des passiven Wahlrechts mit sofortiger Wirkung gefordert hat; in dem Fall dürfte sie bei den nächsten Wahlen nicht kandidieren. Das Urteil fällt am 31. März. Beobachtern zufolge könnte sie versuchen, die Regierung sowie Präsident Emmanuel Macron schnell zu Fall zu bringen und vorgezogene Präsidentschaftswahlen zu provozieren.

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Die Rechtsextreme wisse Macrons aktuelle Schwächung für sich zu nutzen, sagt Luis Sattelmayer, Doktorand und Forscher am Zentrum für Europäische Studien CEE an der Elitehochschule Sciences Po Paris, im Gespräch mit dieser Zeitung. „Le Pen ist es gelungen, ihre Machtstellung im Parlament zu konsolidieren und vom Abseits ins Zentrum der französischen Politik zu gelangen.“ Einerseits könne sie sich rühmen, der Regierung Zugeständnisse abverlangt zu haben, andererseits werde sie zum Dreh- und Angelpunkt der politischen Entscheidungen des Landes. „Die Situation für den RN ist nahezu ideal, denn die Zeit drängt, noch vor Weihnachten muss über den Haushalt abgestimmt werden“, erklärt der Experte.

Le Pen habe wenig zu verlieren, denn das Risiko, für politisches und wirtschaftliches Chaos verantwortlich gemacht zu werden, bleibe überschaubar. Die Schuld für die schwierige Lage sehen die Menschen vor allem bei der Regierung und dem Präsidenten selbst. Einer Umfrage zufolge wünschen sich 53 Prozent der Franzosen den Sturz von Barnier und sogar 62 Prozent jenen von Macron.

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