Die Zusammenstellung von Frankreichs neuer Regierung beerdigt endgültig das, was seit 2017 als „Macronismus“ bezeichnet wurde, benannt nach der neuen, als revolutionär angepriesenen Linie des Präsidenten. Emmanuel Macrons Idee bestand damals darin, bisherige ideologische Spaltungen zu überwinden, das verkrustete politische System zu modernisieren, eine Regierung der „nationalen Union“ als Form einer Großen Koalition anzubieten. Was als das Versprechen eines wagemutigen politischen Abenteuers begann, mündet in der Rückkehr zu althergebrachten Strukturen und einer großen Desillusionierung.
Heute ist Macron ein Getriebener, der mit seiner Machtfülle so schlecht umzugehen wusste, dass er sie ein großes Stück weit verliert. Schon die Entscheidung für seinen neuen Premierminister Michel Barnier zwang sich ihm regelrecht auf, weil der Konservative als der Einzige erschien, der konsensfähig genug ist, um nicht sofort gestürzt zu werden – das zumindest versicherte die Fraktionschefin des rechtsextremen Rassemblement National, Marine Le Pen.
Ihr kommt damit eine Schlüsselposition zu. Barniers Regierung ist eine von Le Pens Gnaden, wird erpressbar und steht permanent am Abgrund. Eine erneute Auflösung der Nationalversammlung erlaubt die Verfassung erst nach einem Jahr, also frühestens im Sommer 2025. Schon jetzt wird über einen vorzeitigen Abtritt Macrons spekuliert, sollte die Lage zu aussichtslos werden.
Bereits als er am Abend der EU-Wahlen Anfang Juni als Folge aus dem schlechten Abschneiden seiner Partei überraschend die Nationalversammlung auflöste und kurzfristig Neuwahlen ansetzte, drängte sich die Frage auf: wozu? Das tut sie nun mehr denn je. Macron rechtfertigte die Entscheidung damals mit dem Wunsch nach klaren Verhältnissen und dem Respekt vor der Demokratie.
Doch genau diesen Respekt ließ er in der Folge fehlen, indem er keinerlei Lektion aus dem Wahlergebnis zog, das nicht seinen Vorstellungen entsprach. Die Kandidatin des siegreichen Linksbündnisses für das Amt der Premierministerin schob er zur Seite. Zu groß war seine Furcht, diese könnte gemeinsam mit dem RN seine so mühselig durchgesetzte Rentenreform rückgängig machen – Macrons einziges nennenswertes Vorhaben seit seiner Wiederwahl 2022.
Auch zu einer Klärung führten die Wahlen nicht, die nebenbei bemerkt 28 Millionen Euro gekostet haben: Heute sind Verhältnisse konfuser denn je. Die Nationalversammlung ist in drei große, unversöhnliche Blöcke geteilt. Eine politische Blockade droht ausgerechnet in Zeiten, in denen die hohe Staatsverschuldung endlich als echtes Problem wahrgenommen wird.
Sieben Minister aus dem Macron-Lager erhielten erneut einen Platz in der neuen Mitte-Rechts-Regierung. Indem dort Vertreter der bisherigen Regierungsparteien und besonders wertkonservative Republikaner dominieren, bleiben genau die Parteien an der Macht, die bei den Parlamentswahlen besonders abgestraft wurden. Zu Recht empört dies alle Anhänger der Links-Allianz ebenso wie jene, die gegen ihre Überzeugung nur für einen Kandidaten stimmten, um die Rechtsextremen an der Macht zu verhindern. Die Republikaner hatten sich nicht an der Brandmauer gegen rechts beteiligt. Ausgerechnet sie werden nun belohnt.
Macrons hoher Verschleiß von Regierungschefs und Ministern offenbart, dass er am Ende seines Lateins ist. Sein selbstherrlicher Regierungsstil von oben herab und seine Sprunghaftigkeit führten zu einem rapiden Vertrauensverlust. Die Wiederwahl gelang ihm vor allem in der Rolle des kleineren Übels gegenüber Le Pen. Er versprach damals, auch auf politische Gegner zuzugehen, um ein gemeinsames Projekt zu gestalten. Es waren einmal mehr leere Worte.
Nun folgt also schon wieder ein Neuanfang. Was die jetzige Regierung eigentlich vorhat, wohin sie steuert, muss Michel Barnier in seiner Regierungserklärung am 1. Oktober erklären. Fraglich bleibt, ob er dies dann auch umsetzen kann und wie lange er überhaupt im Amt bleibt. Frankreich ist längst nicht aus den Turbulenzen geraten.