Die Jordanier gelten als gelassen und bedächtig. Ganz das Gegenteil zu ihren arabischen Nachbarn. Doch jetzt sind sie wütend. Auf Israel, die USA und diejenigen europäischen Länder, die Israel uneingeschränkt unterstützen und das Schicksal der Palästinenser als zweitrangig einstufen. In Amman herrscht derzeit ein Boykott amerikanischer Geschäfte: McDonalds, Starbucks und KFC sind leer. Überall sieht man palästinensische Fahnen, Tücher und Flyer, die Solidarität mit den Palästinensern ausdrücken.
Wer nicht für Palästina ist, hat derzeit keinen Platz in Jordanien. Die Regierung in Amman hat jeglichen Kontakt zu Israel abgebrochen, hat den Botschafter aus Tel Aviv zurückgeholt und den israelischen Geschäftsträger ausgewiesen. Dabei war Jordanien nach Ägypten das zweite Land, das 1994 Frieden mit dem Nachbarn Israel schloss. „Doch was die jetzt machen, geht zu weit“, heißt es überall.
Das sagt auch Samir Habashneh, ehemaliger Innen- und Landwirtschaftsminister Jordaniens. Der 72-Jährige war Mitglied in fünf verschiedenen Regierungen und hat Erfahrung im Umgang mit Israel. Es sei ein kalter Frieden, was sich zwischen den beiden Ländern entwickelt hätte, kaum Kontakte auf Regierungsebene. Auch menschlich laufe nichts. „Israel will keine Freundschaften, will nur die Kontrolle über alles.“ Die Besatzung im Westjordanland und die Abriegelung des Gazastreifens seien ein Riesengeschäft für Israel. „Sie erlauben keinen freien Handel“.
Amman ist nur einen Steinwurf vom Westjordanland entfernt. Alles, was dort passiert, hat auch Auswirkungen auf Jordanien. Seit die Extremisten in Israel mit am Kabinettstisch säßen, sei die Lage noch viel schlimmer geworden, so Habashneh. Kürzlich habe der israelische Minister für Nationale Sicherheit, Itmar Ben-Gvir, damit gedroht, Jordanien die Verwaltung der Al Aksa Moschee zu entziehen, die sie seit 1924 ausübt. Die Moschee in Jerusalem ist das drittwichtigste Heiligtum der Muslime. Zwar sei Premierminister Benjamin Netanjahu nach dem Vorfall nach Amman gekommen und habe sich für seinen extremistischen Minister bei König Abdullah entschuldigt, aber das Problem habe er damit nicht gelöst, beton Habashneh. Es gäbe nur eine Möglichkeit, eine Lösung nach dem Krieg zwischen der Hamas und Israel zu finden: „Netanjahu muss weg, Palästinenserpräsident Abbas muss weg, die Hamas muss weg.“
Druck auf die Grenzen steigt
Jordanien gilt als Frontstaat im Krieg zwischen Israel und der Hamas. Während der Fokus der Berichterstattung derzeit eher auf Gaza liegt, kocht die Situation im Westjordanland weiter hoch, nehmen die Angriffe radikaler Siedlermilizen auf palästinensische Bauern zu. Jordanien ist deshalb sehr besorgt über eine Eskalation vor seiner Haustür. Der Druck auf seine Grenzen wächst, je mehr sich die Situation im Westjordanland zuspitzt. Ohnehin hat das zehn Millionen Einwohner zählende Land in letzter Zeit nochmals über eine Million Palästinenser aufgenommen, nachdem während der ersten Vertreibung 1948 bereits hunderttausende nach Jordanien geflohen sind. Sie alle haben inzwischen die jordanische Staatsangehörigkeit. Auch die, die im Sechs-Tage-Krieg 1967 fliehen mussten, sind eingebürgert worden. Doch dann war Schluss. Mehr konnte und wollte Jordanien nicht verkraften. Die Palästinenser, die danach kamen, haben befristete Aufenthaltspapiere.
Ahmed Hasnawi ist gerade aus Tulkarem über die Allenby-Brücke in Amman angekommen. 44 Stunden lang habe die israelische Armee seine Stadt belagert, sei von Haus zu Haus gegangen, habe Razzien durchgeführt. Auch in Bethlehem, Jenin, Nablus und Jericho rückten Soldaten ein. Sieben Tote habe seine Stadt zu verzeichnen, berichtet Ahmed, Verletzte habe keiner gezählt. Um Amman zu erreichen, musste er unzählige Checkpoints der israelischen Sicherheitskräfte überwinden, obwohl er eigentlich nur durch palästinensisches Gebiet gefahren ist. „Sie quälen uns, verhaften uns willkürlich, schlagen uns, erniedrigen uns, wie es ihnen gefällt.“ Was Ahmed berichtet, deckt sich mit Informationen der Vereinten Nationen. Schon vor dem Hamas-Massaker war 2023 das blutigste Jahr für das Westjordanland seit der Zweiten Intifada (2000 bis 2005).