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Ehemaliger US-Außenminister Tod von Henry Kissinger: Umstrittener Politiker mit deutschen Wurzeln

Für seine Kritiker ist Henry A. Kissinger ein skrupelloser Machtpolitiker. Seine Bewunderer sehen in ihm einen genialen Strategen, der Krisen entschärfte. Die Debatte lebt mit seinem Tod noch einmal auf.
30.11.2023, 10:23 Uhr
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Tod von Henry Kissinger: Umstrittener Politiker mit deutschen Wurzeln
Von Thomas Spang

Der britische "Independent" nannte Kissinger einmal treffend "das größte Ego in der Geschichte der Diplomatie". Er lieferte damit eine plausible Erklärung für das unermüdliche Streben des deutschen Juden mit dem amerikanischen Pass, der für sich einen Platz in den Geschichtsbüchern beanspruchte.

Ins Zentrum der internationalen Aufmerksamkeit rückte Kissinger Anfang der 1970er-Jahre als einer, der Mitverantwortung am Krieg der USA in Vietnam trug. Nicht für dessen Beginn, aber für die Ausweitung des Vernichtungsfeldzuges gegen Zivilisten mit Flächenbombardements und Napalm-Einsatz.

Kissinger polarisierte im Vietnam-Krieg

Nixon, der im Wahlkampf das Ende des Krieges versprochen hatte, gab im März 1969 den Befehl zum Angriff der Vietcong-Stellungen im benachbarten neutralen Kambodscha, ohne den Kongress zu informieren. Er tat das auf Empfehlung seines neuen Sicherheitsberaters Kissinger. Seine Kritiker machen ihn deshalb für Zehntausende getötete Kambodschaner und Tausende US-Soldaten verantwortlich.

Ob Kissinger ein Kriegsverbrecher ist oder nicht, hat Heerscharen von Juristen und Journalisten beschäftigt. Das Buch "Die Akte Kissinger" von Christopher Hitchens lieferte die Grundlage des Films "Angeklagt: Henry Kissinger", der das Vorgehen des Sicherheitsberaters dokumentiert.

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Ein früherer Untergebener Kissingers, Roger Morris, behauptete, wenn die gleichen Maßstäbe gültig wären wie gegen deutsche und japanische Angeklagte nach 1945, müsste Kissinger irgendwann einmal vor Gericht gestellt werden. Tatsächlich erhielt er Vorladungen in mehreren Ländern, die er allesamt ignorierte. Ob bei der Unterstützung von Militär-Putschen in Südamerika und erst recht im Falle von Vietnam, Kambodscha und Laos – Kissinger galt stets als Strippenzieher der "schmutzigen Kriege".

Die Entspannungspolitik des deutschen Bundeskanzlers Willy Brandt missfiel dem Falken Kissinger gründlich. Menschenrechtskategorien und Demokratiefragen stellte er hinten an. Ihm ging es ausschließlich um Interessenpolitik, die er als Realpolitik verkaufte.

Ob Kissingers in Vietnam die Rolle eines Falken oder einer Friedenstaube spielte, werden wohl erst zukünftige Aktenstudien zeigen. Unbestritten bleibt sein Verdienst, dass er Richard Nixon überzeugte, als erster US-Präsident Moskau und Peking zu besuchen. Kissinger verstand sich wie kein zweiter auf Geheimdiplomatie. Dass er zum Außenminister der USA aufstieg, ohne in dem Land geboren zu sein, überraschte niemanden mehr als ihn selber.

Kissinger wurde in Fürth geboren

Kissinger kam am 27. Mai 1923 in der fränkischen Provinzstadt Fürth zur Welt. Sein Vater Louis Kissinger unterrichtete Geschichte und Geografie an einem Fürther Gymnasium. Seine Mutter Paula kam aus wohlhabenden Verhältnissen. 1938 vorließen die Kissingers Deutschland Richtung USA.

Henry erhielt am 19. Juni 1943 die US-Staatsbürgerschaft. Danach diente er in der Army, wo er seine alte Heimat während der Ardennen-Offensive wiedersah. Er blieb bis 1947 als Geheimdienstler in Deutschland und half als Special Agent mehrere Gestapo-Beamte aufzuspüren.

Zurück in den USA konzentrierte er sich auf seine akademische Laufbahn. Erst viele Jahre später, 1957, steigt Kissinger als Berater des New Yorker Gouverneurs Nelson Rockefeller in die Politik ein. 1968 ernennt ihn Richard Nixon zum Außen- und Sicherheitsberater.

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Kissinger ist gefordert. Der Stern der USA sinkt zu jener Zeit, nicht zuletzt wegen der Vietnam-Politik. Die Sowjetunion gilt als Aufsteiger. Weltweit verliert Amerika an Ansehen. 1973/74 macht er sich einen Namen als Pendeldiplomat in Nahost. Ihm wird eine maßgebliche Rolle bei den Friedensbemühungen zwischen Israel und den arabischen Staaten zugeschrieben. Seine permanenten Reisen zwischen den Konfliktparteien sind seitdem als Shuttle-Diplomatie ein Begriff.

Mit dem Amtsantritt des Demokraten Jimmy Carter 1977 verabschiedet sich der damals 54-Jährige aus der aktiven Politik. Als geschäftstüchtiger Politikberater, Vortrags-Reisender und Buchautor bleibt er aber bis ins hohe Alter aktiv.

Nirgendwo auf der Welt ist sein Ansehen höher als in Deutschland. Mit Altkanzler Helmut Schmidt verband ihn eine enge Freundschaft. Doch ausgerechnet in seiner Heimat bescherte ihm sein 90. Geburtstag noch einmal ungeliebte Schlagzeilen. Zu den weniger bekannten Seiten des umstrittenen Politikers mit deutschen Wurzeln gehört seine Süffisanz. Die gab er im kleinen Kreis gelegentlich zu erkennen. Unvergessen bleibt seine Reaktion auf den Bericht des Kardiologen, der ihm mehr Bypässe einsetzen musste als vor der Operation beabsichtigt. "Wenigstens wissen wir jetzt, dass ich ein Herz habe", reagierte Kissinger vieldeutig.

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