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Israel und Palästina "Es gibt immer eine Alternative"

Wie kann es im Nahen Osten Frieden geben? Über die aktuelle Lage haben wir mit dem israelischen Historiker und Antisemitismusforscher Moshe Zimmermann gesprochen.
07.05.2024, 19:45 Uhr
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Von Markus Peters

Ihr Vortrag in Bremen trägt den Titel „Niemals Frieden?“ Das wäre eine sehr bedrückende These. Wird es im Nahen Osten wirklich niemals Frieden geben?

Moshe Zimmermann: Noch bedrückender ist die Antwort auf diese Frage. Es sieht im Moment so aus, dass man im Nahen Osten es nicht schaffen kann, den Weg zum Frieden zu öffnen. Beide Seiten verharren auf ihren Glaubensbekenntnissen, gehen davon aus, dass die andere Seite nie Partner zum Frieden sein könnte. Deshalb ist es eine sehr deprimierende Perspektive.

Aber bezieht sich diese Perspektive nicht nur auf die Extremisten auf beiden Seiten? Israel ist mehr als seine rechtsreligiöse Regierung, Palästina mehr als die Hamas. Könnten die gemäßigten Kräfte auf beiden Seiten nicht eher zueinander finden?

Es gibt immer eine Alternative, und die Stimmung kann sich irgendwann ändern. Aber wenn wir über extreme Strömungen sprechen, haben wir in der Regel eine Vorstellung von einer kleinen Minderheit auf der einen oder auf der anderen Seite. Die Extremisten auf beiden Seiten sind aber in unserem Fall deswegen erfolgreich, weil sie einen sehr breiten Rückhalt haben. In Israel wie in Palästina sind sehr viele Leute der Meinung, dass die Extremisten eigentlich im Recht sind.

Aber während der vergangenen Jahre kam es in Israel zu großen Protesten gegen die Justizreform. Es gibt jetzt auch den Widerstand gegen eine Fortsetzung dieses Krieges und für eine Freilassung der Geiseln. Zeigt sich da nicht, dass die Unterstützung für die Regierung Netanjahu bröckelt?

Dass die Unterstützung für diese Regierung seit dem 7. Oktober zurückgeht, ist nachweisbar. Das zeigen die Meinungsumfragen. Aber wenn 100.000 Menschen demonstrieren, bedeutet das nicht, dass die anderen neun Millionen Israelis derselben Meinung sind. Deshalb muss man eher auf die Meinungsumfragen schauen. Da sieht man, dass Netanjahu an Unterstützung verliert. Das bedeutet aber nicht, dass die Menschen, die gegen Netanjahu sind, keine Nationalisten und gegen eine Versöhnung mit den Palästinensern sind. Für die meisten geht es nur um die Frage, ob Netanjahu einen Fehler begangen und das Volk in die Irre geführt hat. Das ist eigentlich ein Beweis dafür, dass für die allermeisten Israelis die Alternative nur zwischen eher extrem rechts oder moderat rechts besteht. Das bedeutet, dass man darauf eingestellt ist, dass der Krieg gegen die Palästinenser weitergeht. Und ähnlich ist es auch auf der anderen Seite, auf der Seite der Palästinenser.

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Es wird nur noch eine Frage der Zeit sein, bis die Hamas die vollständige Kontrolle über den Gazastreifen verliert. Könnte es passieren, dass die Hamas diesen Krieg psychologisch gesehen doch gewinnt, weil sie dadurch eine breitere Unterstützung in der islamischen Welt bekommt, die sie vorher nicht hatte?

Es ist nicht wie im Fußball, wo man Bescheid weiß, wann ein Spiel gewonnen oder verloren wurde. Welche Kriterien hat man, um das einzuschätzen? Die Tatsache, dass Israel sich im Gazastreifen befindet, bedeutet nicht, dass die Hamas verloren hat. Sie schießt auch weiter Raketen Richtung Israel ab, ist noch militärisch präsent. Auch wenn die Kämpfer getötet sind, bedeutet das nicht das Ende der Hamas als Organisation. Vielleicht wird sie am Ende sogar mehr Unterstützung erhalten in der palästinensischen Bevölkerung. Dann könnte der Krieg am Ende sogar zu einem Pyrrhussieg für Israel werden.

Stellt der Anschlag vom 7. Oktober 2023 aus israelischer Sicht nicht eine Art gebrochenes Sicherheitsversprechen dar, das der Staat Israel seinen Bürgern gegeben hat?

Ich habe das noch radikaler formuliert. Was hier passierte, war ein Versagen der zionistischen Ideologie, ein Versagen des Staates Israels. Das Grundversprechen der Zionisten ist, einen sicheren Ort für Juden zu schaffen, damit nicht wieder passieren kann, was Juden in der Diaspora in den vergangenen 2000 Jahren immer wieder passierte – Pogrom und Massenmord. Dieses Versprechen hat man nicht eingehalten. Mehr als 1000 Leute wurden massakriert. Das waren Zivilisten im Kernland Israel, nicht etwa radikale Siedler aus der Westbank.

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Wie kann und sollte der Westen nun reagieren?

Was man braucht, ist eine diplomatische Anstrengung um eine Annäherung zwischen Israel und Palästina. Das kann nur die internationale Gemeinschaft sein. Es braucht Vermittler, ehrliche Makler, die aber auch politischen und wirtschaftlichen Druck ausüben können. Die Europäer sollten da eine andere Rolle übernehmen, sich stärker einzumischen. Die Tatsache, dass es zum 7. Oktober gekommen ist, hat auch etwas damit zu tun, dass sich die USA und Europa zurückgezogen haben. Wenn man konstruktiv sein will, dann muss man intervenieren.

Aber selbst der Einfluss der engsten Verbündeten, der Amerikaner, auf die israelische Regierung scheint doch ziemlich beschränkt zu sein?

Es ist richtig, dass sich die israelische Regierung selbst isoliert hat. Je isolierter man ist, desto eindeutiger wird die Gegenüberstellung – "Wir gegen die Gojim" (Nichtjuden). Das macht für die Regierung Sinn, für die Bevölkerung nicht. Deswegen muss man den Druck so ausüben, dass am Ende auch die Israelis begreifen, dass diese Regierung untragbar ist.

Sie wollen also sagen, wenn man aufseiten Israels ist, dann muss man diese Regierung kritisieren?

Ja, das ist eine klare Sache. Die Leute im Ausland, in der Politik, in den Medien, verstehen, dass man Israel auf einer anderen Weise unterstützen kann, indem man auf der Grundlage der Wertegemeinschaft die oppositionellen Kräfte unterstützt und damit die eigentlichen Interessen der Israelis. Diese Regierung vertritt die Interessen der Israelis nicht mehr, obwohl die demokratische Mehrheit noch immer auf der Seite dieser Regierung ist.

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Und von von Europa, speziell von Deutschland, erwarten Sie stärkere Vermittlungsbemühungen?

Deutschland hat Kontakte zu beiden Seiten. Das ist ein Riesenvorteil, den sollte man politisch auch ausnutzen. Damit kann man viel mehr tun. Frau Baerbock bemüht sich, fliegt hin und her. Aber das, was man Leviten lesen nennt, das macht man eben nicht. Dafür ist die deutsche Politik zu schüchtern. Aus historischen Gründen.

Aber offenbar hat Frau Baerbock bei ihrem jüngsten Besuch in Israel Ministerpräsident Netanjahu die Leviten gelesen, was auch in israelischen Medien thematisiert wurde?

Das Problem mit Israelis ist, dass sie Andeutungen nicht verstehen oder nicht verstehen wollen. In diesem Fall ist Frau Baerbock offenbar einen Schritt weiter gegangen. Die Tatsache, dass Netanjahu zu dieser Waffe gegriffen hat, zeigt, dass er endlich kapiert hat, dass auf der anderen Seite die Kritik stärker wird. Aber man muss weitermachen, um die israelische Regierung ein wenig von diesem Punkt, an dem sie sich befindet, wegzubewegen.

Das ist ein schmaler Grat. Wie kann Kritik an Israel aussehen, ohne dass sie als antisemitisch motiviert gilt?

Das hängt alles mit der Begründung für die Kritik zusammen. Wenn man sich für die Belange Israels interessiert, ist das kein Antisemitismus. Wenn man aus dieser Perspektive kritisiert, ist das hundertprozentig großartig. Das ist auch ein Versuch, konstruktiv zu sein. Das muss man aber immer klarstellen. Auch nicht jede Art von Sanktionen ist automatisch antisemitisch oder antiisraelisch. Wenn sie sich gegen die Siedler im besetzten Westjordanland richtet, ist das legitim.

Ich möchte noch mal auf die Perspektive nach diesem Krieg zu sprechen kommen. Der Angriff auf den Süden des Gazastreifen scheint endgültig zu beginnen. Wie kann es weitergehen, wenn die große Militäraktion beendet ist?

Die Philosophie dieser Regierung ist, wir schlagen Hamas kurz und klein und schalten jede Art von Widerstand gegen Israel aus. Das ist eine Illusion. Von Beginn an hätte man eine Situation anstreben sollen, in der beide Seiten einen Gewinn haben, indem sie den Krieg nicht weiterführen.

Haben sie noch Hoffnung für die Geiseln?

Es gibt etwa 133 Geiseln, die noch in der Hand der Hamas sein sollen. Nach Informationen von Experten sind davon maximal noch ein Drittel am Leben. Diese könnten im Gegenzug für einen zeitlich befristeten Waffenstillstand ausgetauscht werden. Die Befreiung der Geiseln ist ja durch die Militäraktion nicht gelungen. Bisher hat das israelische Militär erst drei Geiseln aus der Hand der Hamas befreien können. Die Fortsetzung des Krieges ist also keine Garantie für die Befreiung der Geiseln.

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