Irak ist ein Land der Fackeln. Fliegt man über das Zweistromland bei Nacht, brennt es überall. Leuchtend gelb steigen die Stichflammen in den Himmel. Vor allem im Süden gewinnt man den Eindruck, dass die Landschaft ein Flammenmeer sei. Denn südlich von Bagdad liegen die meisten und größten Ölfelder des Landes. Über zwei Millionen Fass Öl werden allein in und um Basra, der zweitgrößten Stadt Iraks, täglich gepumpt. Im ganzen Land sind es im Durchschnitt 4,5 Millionen am Tag. Und immer steigt Gas in den Himmel, das bei der Ölförderung anfällt. Nur im Ölfeld Rumaila, das rund 30 Kilometer nördlich von Basra beginnt und sich bis nach Kuwait erstreckt, wird das anfallende Gas aufgefangen und verarbeitet. Rumaila ist das größte Ölfeld der Welt. Trotzdem hat Erdgas für den Irak noch nicht die Bedeutung wie das Erdöl. Immerhin schätzen Experten die Erdgasreserven auf 3,5 Billionen Kubikmeter. Davon entfallen etwa 70 Prozent auf mit der Ölförderung assoziiertes Gas.
Da die Erdgasnutzung vor allem in westlichen Ländern immer mehr an Bedeutung gewinnt, will der Irak jetzt auf den schon fahrenden Zug aufspringen. Der neue Premierminister Mohamed Shia al-Sudani trifft an diesem Freitag Bundeskanzler Olaf Scholz in Berlin und will mit der deutschen Regierung Gasgeschäfte verabreden. Dass er als erstes westliches Land die Bundesrepublik besucht, ist indes nicht nur wirtschaftlichen Interessen geschuldet. Es ist auch ein politisches Signal. Bisher haben alle irakischen Regierungschefs zuallererst die USA als ehemalige Besatzungsmacht Iraks und weiterhin einflussreichen Partner besucht. Al-Sudani aber kommt zuerst nach Deutschland und zeigt damit neue Prioritäten auf.
Noch weitere erhebliche Reserven
Während die Amerikaner irakisches Öl kaufen und an Gas nicht interessiert sind, war die deutsche Regierung schon überall am Golf unterwegs und hat wie ein Bittsteller um Gasverträge geworben. In den Irak allerdings kam niemand in dieser Sache aus Berlin. Nun kommen die Iraker also nach Deutschland und bieten ihr Gas an. Nach Angaben des Ölministeriums strebt das Land an, bis 2027 die Gasproduktion auf insgesamt 170 Millionen Kubikmeter am Tag auszuweiten, davon sollen 43 Millionen Kubikmeter auf nicht assoziiertes Gas entfallen. Zu den großen Projekten gehören hier die Entwicklung der Akkas- und der Mansouriya-Gasfelder. Mit diesem Schritt will die irakische Regierung nicht nur die Kapazität der Stromerzeugung erhöhen, sondern auch die industrielle Entwicklung im Land unterstützen und das abgefackelte Begleitgas für die Flüssiggasproduktion und als petrochemischen Rohstoff verwenden. Experten gehen davon aus, dass noch weitere erhebliche, noch unerschlossene Reserven in der westlichen Wüste zur Grenze nach Jordanien und Syrien liegen, wie die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in einem Strategiepapier schreibt.
Al-Sudani und seine Regierung wollen die Deutschen dafür gewinnen, sich im Irak für die Gasförderung zu engagieren und nicht nur Gas zu kaufen. Zwar hat die deutsche Wintershall einige kleinere Arbeiten im Nordirak durchgeführt, aber das Engagement hielt sich bislang in Grenzen. Das hängt vor allem mit der Sicherheitslage zusammen, die im Irak über Jahre hinweg problematisch war. Doch diese verbessert sich gerade zusehends, wie der Leiter des neu eröffneten Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Bagdad feststellt.
Die KAS ist die erste deutsche Stiftung, die sich in der irakischen Hauptstadt niederlässt. Zwar gebe es noch vereinzelt Anschläge von sogenannten IS-Schläferzellen im Nordirak, so Lucas Lamberty, doch insgesamt sei die Sicherheitslage gut. „Auch vor diesem Hintergrund sollte die Bundesregierung den Reformkurs des Irak weiter unterstützen.“ Deutschland ist der zweitgrößte Geber an Entwicklungshilfe des Landes. Nicht zuletzt durch den Wiederaufbau zerstörter Infrastruktur sei auch mit deutscher Hilfe die Rückführung von Millionen Binnenvertriebenen gelungen, so der Leiter der KAS im Irak.
Premier muss Ergebnisse liefern
Premier Al-Sudani ist Ende Oktober 2022 zum neuen Ministerpräsidenten des Irak ernannt worden, nachdem ein Jahr lang keine Koalitionsbildung gelang. Der schiitische Kleriker Moktada al-Sadr hatte zwar die Parlamentswahl gewonnen, konnte aber keine Regierung bilden. Al-Sudani führt nun ein Bündnis iran-treuer Parteien an und steht unter Druck, Ergebnisse zu liefern. Vor allem die junge Bevölkerung, die 2019/2020 in Massen auf die Straßen ging, erwartet wirtschaftliche Perspektiven. Gut die Hälfte der jetzt 40 Millionen Iraker sind unter 25 Jahre alt. Während bei den Demonstrationen der Iran, die USA und die Türkei aufgefordert wurden, sich aus dem Irak zurückzuziehen, sind die Deutschen allseits gern gesehen. Deutschland und Frankreich waren keine Mitglieder der Kriegskoalition, die vor 20 Jahren in den Irak einmarschierte.