Ein Jahr lang haben sie heftig miteinander gerungen. Nun hat der Irak eine neue Regierung. Das Parlament in Bagdad stimmte dem Kabinett des neuen Ministerpräsidenten Mohammed Schia al-Sudani zu. Zwei Ministerposten – Umwelt und Wohnungsbau – sind noch unbesetzt. Das Land war nach der Parlamentswahl im Oktober letzten Jahres von schweren Protesten erschüttert worden.
Muktada al-Sadr hat es nicht geschafft, obwohl seine Bewegung bei den Wahlen klar stärkste Kraft wurde und er zuallererst den Auftrag zur Regierungsbildung erhielt. Doch der Schiitenführer konnte keine Koalition bilden. Nun sitzt sein größter Widersacher, Nuri al-Maliki, wieder fest im Sattel. Der neue Ministerpräsident gilt als Al-Malikis Marionette. Al-Maliki selbst war schon einmal Premier und beförderte die Spaltung zwischen Sunniten und Schiiten. Ihm wird vorgeworfen, durch seine sektiererische Politik den Aufstieg der Terrormiliz IS im Irak begünstigt zu haben. Auch Al-Sudani ist ein alter Bekannter. Als Al-Malikis Menschenrechtsminister plädierte er 2014 für die Beibehaltung der Todesstrafe und gilt als schiitischer Hardliner.
Doch es war nicht nur der Machtkampf zwischen den beiden Alphatieren der irakischen Nach-Saddam-Ära, Al-Maliki und Al-Sadr, der das Chaos in der Politik verursachte. Es ging um mehr. Nach den Massenprotesten von 2019/2020 setzte sich Al-Sadr an die Spitze der Bewegung, die mehr Demokratie, weniger Korruption, mehr Chancen für junge Leute und eine Mehrheitsregierung mit einer parlamentarischen Opposition forderte. Denn seit dem Einmarsch der Amerikaner und Briten 2003 saßen alle Gruppen Iraks am Kabinettstisch. Jeder bekam ein Stück des Machtkuchens ab: Sunniten, Schiiten, Kurden. Eine Opposition gab es nicht.
Damit sollte nun Schluss sein. Doch der Widerstand gegen die Reformer war gewaltig. Und es waren nicht nur die pro-iranischen und die national orientierten Schiiten, die sich erbitterte Kämpfe lieferten. Auch die Kurden zerstritten sich bis zum Rande eines Bürgerkrieges. Letztendlich siegte das Althergebrachte. Muktada al-Sadr zog aus Frust darüber seine Abgeordneten aus dem Parlament ab und zog sich selbst aus der Politik zurück. Der Weg wurde frei für die Gestrigen.
Muayad Juper Hamdiee gibt Muktada al-Sadr im Gespräch mit dieser Zeitung die Schuld dafür, dass nun die pro-iranischen Kräfte die Regierung bilden. Die Gräben zwischen Reformer und Bewahrer seien immer tiefer geworden. Als unabhängiger Nachrücker müsste der 48-jährige Parlamentarier Al-Sadr eigentlich dankbar sein, dass der seine Leute aus dem Parlament abgezogen hat und einer der Plätze nun von ihm besetzt wird. Doch der Frust über den unzuverlässigen, wankelmütigen Politrebellen ist groß. Er habe seine Leute missbraucht, um Unfrieden zu stiften. Nach dem Rückzug aus dem Parlament habe Al-Sadr die Erstürmung der Volksvertretung angeordnet. Al-Sadrs Anhänger feierten Partys in der Lobby, setzten sich ans Rednerpult, hinterließen Müll und Zerstörung. „Das muss jetzt aufhören, es reicht jetzt“, sagt Muayad Juper Hamdiee stellvertretend für viele: „Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende.“
In der Folge stimmte die Mehrheit der Abgeordneten schließlich für das Ende mit Schrecken, das eine Rückkehr der alten Garde bedeutet, einen Rückschritt auf dem Weg zur Demokratie, eine Absage an die Amerikaner und die Zustimmung zum Einfluss Irans. Denn die gegensätzlichen Positionen Al-Sadrs und Al-Malikis spiegeln auch die Kontroverse zwischen Washington und Teheran wider. Die Niederlage Muktada al-Sadrs mindert einmal mehr den Einfluss der USA und stärkt den Irans.