Wer wird als Nächstes ankündigen, dass er oder sie mitten im Präsidentschaftswahlkampf den rechtsnationalen Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen verlässt, um sich dem rechtsextremen Kandidaten Éric Zemmour anzuschließen? In der Führungsriege des RN, so heißt es, stellen alle sich diese bange Frage. Am Mittwoch verkündete die EU-Abgeordnete Maxette Pirbakas in der Zeitung „Le Figaro“ ihre Entscheidung, sich jenem Journalisten anzuschließen, der Le Pen von rechts Konkurrenz macht. „Er ist nicht wie ein Politiker. Ich finde mich in ihm wieder, er hört zu“, sagte die 46-Jährige aus Guadeloupe, die beim RN bislang die Überseegebiete vertrat.
Sie folgte mit ihrem Entschluss auf Schwergewichte der Partei wie die EU-Abgeordneten Gilbert Collard und Jérôme Rivière, dem bekannten TV-Kommentator Jean Messiha und Damien Rieu, dem Mitbegründer der inzwischen verbotenen rechtsextremen Bewegung „Identitäre Generation“. Sie alle haben zwar die Seite gewechselt, aber nicht das ultrarechte Lager. In ihren einander ähnelnden Programmen fordern Le Pen wie Zemmour in erster Linie einen Einwanderungs-Stopp und klare Nachteile für Migranten in Frankreich. Zemmour, der schon mehrmals wegen Volksverhetzung verurteilt wurde, ist in seiner Wortwahl der Gröbere und verbreitet die rechtsextreme Verschwörungstheorie vom „Großen Bevölkerungsaustausch“ der „weißen Rasse“.
In Umfragen liegt der 63-Jährige mit 13 bis 14 Prozent rund zwei Punkte hinter Le Pen. Nach jetzigem Stand dürfte sie bei den Wahlen im April mit der Konservativen Valérie Pécresse um den Einzug in die Stichwahl gegen Amtsinhaber Emmanuel Macron kämpfen. Zemmours Kandidatur erschwert dieses Ziel. Parallel zu ihrer ersten großen Wahlkampfveranstaltung am kommenden Sonnabend in Reims organisiert er eine Kundgebung in Lille. Er nimmt ihr wichtige Stimmen und wirbt ihre Leute ab. „Diejenigen, die gehen wollen, sollen gehen – aber sie sollen es jetzt tun“, sagte Le Pen am Wochenende am Rande eines Gipfeltreffens rechter Parteien in Spanien. Ihr Ton klang gereizt.
Es gilt als offensichtlich, dass die Überläufer sich bereits auf die Zeit nach der Wahl vorbereiten und an der Seite Zemmours mehr Aufstiegspotenzial erkennen. Nach drei gescheiterten Kandidaturen von Le Pen könnten sich viele in der Partei von ihr abwenden. Zemmour behauptet, trotz seines radikalen Auftretens als Einziger eine „Union der Rechten“ durch eine Vereinigung mit dem rechten Flügel der Republikaner anführen zu können. Deren frühere Nummer zwei, Guillaume Peltier, hat er abgeworben und zum Wahlkampfsprecher gemacht.
Die Idee eines Zusammenschlusses verfolgt auch Le Pens Nichte, die 32-jährige Marion Maréchal, die sich 2017 vorläufig aus der Politik zurückgezogen und ein politisches Institut gegründet hatte. Doch Maréchal behielt großen Einfluss und sagte nun, sie werde nicht ihre Tante unterstützen, vielleicht aber „Éric“, mit dem sie im Herbst bei einer vom ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán organisierten Konferenz auftrat. Das sei „brutal“ für sie, reagierte Le Pen. Zumindest erhielt sie Unterstützung von ihrem Vater, dem Parteigründer Jean-Marie Le Pen. Er wolle eine Versöhnung zwischen seiner Tochter und seiner Enkelin organisieren, versprach der 93-Jährige. Der Erfolg erscheint mehr als ungewiss.