Für die Premiere seines Lebenstraums verkaufte John Hinckley mehr als 500 Tickets. Ausverkauftes Haus im „Market Hotel“ im New Yorker Stadtteil Brooklyn. Wenige Tage vor seinem ersten Live-Auftritt sagte der Veranstalter das Konzert ab. Angesichts der eingegangenen Drohungen sei es „nicht wert“ in dem „gefährlich radikalisierten, reaktionären Klima“ mit der Sicherheit des Publikums zu spielen.
Gemeint war nicht der Sänger, der, begleitet von seiner Gitarre, einem Drummer und einem Bassisten, 17 Songs aufführen wollte, die er selber geschrieben hat, sondern gewaltbereite Personen, die einen Auftritt um jeden Preis verhindern wollten. Die verübeln ihm bis heute den nicht tödlichen Anschlag auf Reagan, dessen Sprecher James Brady sowie zwei Sicherheitsbeamten.
Zivilisierte Kritik kam aus der Familie und Stiftung des republikanischen Präsidenten. Hinckley verdiene es nicht, mit seiner Berühmtheit als Attentäter, der vor 41 Jahren den Präsidenten in einem Hilton-Hotel von Washington niedergeschossen hatte, eine neue Karriere zu machen, beanstandete die „Reagan Foundation“.
Hinckley will Vergangenheit hinter sich lassen
Hinckley liegt nach eigener Darstellung nichts ferner als das. Einem Reporter der „Washington Post“, sagte der wegen „mentaler Unzurechnungsfähigkeit“ für „nicht schuldig“ befundene Schütze, er wolle die Vergangenheit hinter sich lassen. Oder, wie er in einem Song schreibt, „Du weißt, wer ich war, Du kennst nicht die andere Seite von mir“.
Das Gericht wies ihn nach seinem strafrechtlichen Freispruch in die Psychiatrie ein. Dort verbrachte Hinckley drei Jahrzehnte seines Lebens. Mehr als jeder andere mental Kranke unter vergleichbaren Umständen, weil sein Opfer der Präsident der Vereinigten Staaten war. Und nach Auskunft von Experten weit länger als die vier Jahre, die im Schnitt für die Behandlung seiner Kondition nötig gewesen wären.
2003 durfte Hinckley erstmals seine Familie besuchen. Sukzessiv bekam er mehr Freiheiten. Dreizehn Jahre später dann zog er in sein Elternhaus in Williamsburg im US-Bundesstaat Virginia. Seit dem Tod seiner Mutter im vergangenen Sommer lebt er mit seiner Katze „Theo“ in einer bescheidenen Einzimmerwohnung.
Der Traum eines Teenagers
Zu den wenigen Besitztümern gehört seine Plattensammlung, die er in jungen Jahren aufgebaut hatte. Darunter Scheiben von den Beatles, Bob Dylan und „The Who“. Musik, von der Hinckley bis heute angezogen ist. Und hier steht auch seine akustische Gitarre, auf der er seine eigenen Lieder übt. Er träumte bereits als Teenager davon, selber einmal auf der Bühne zu stehen.
Mit 67 Jahren stand er mit dem Auftritt in Brooklyn kurz vor seinem ersten Auftritt. Dass der Veranstalter ausgerechnet an dem Tag absagte, an dem er offiziell alle Freiheiten vom Gericht zurückerhielt, nimmt Hinckley mit stoischer Gelassenheit. Er werde weiter warten, und versuchen, seine Liebe für die Musik und positive Einstellung aufrechtzuerhalten. Das dürfte nicht einfach sein, nachdem fünf weitere Veranstalter Konzerte wegen Drohungen abgesagt hatten.
Seinen Lebensunterhalt bestreitet er ohnehin aus anderen Quellen. Ein wenig staatliche Rente und Einkünfte aus dem Verkauf von Bildern, die er über das Internet vertreibt. Die gehen weg, wie warme Semmeln, wohl auch, weil sie seinen Namenszug tragen. Mit dem Malen hatte Hinckley im Krankenhaus als Zeitvertreib begonnen. Er sei kein großartiger Künstler, sagt er, aber die Bilder helfen ihm, die Rente aufzubessern.
Parallel dazu hofft Hinckley darauf, eine Bühne zu finden, auf der er seine wirkliche Leidenschaft zeigen darf. Eine kleine gute Nachricht erhielt er von „Asbestos Records“. Später des Jahres will das unabhängige „Ska-“ und „Punkrock“-Label die Songs des Reagan-Attentäters veröffentlichen. Mindestens kann er dann eine Platte mit dem eigenen Namen seiner Sammlung hinzufügen.