Als sich mehr als 2000 syrische Soldaten samt Panzern und Militärwagen in den Irak absetzen, ist klar, Bashar al-Assads letzte Stunde hat geschlagen. Dann geht es Schlag auf Schlag: Homs ist eingenommen, Damaskus umstellt. Von drei Seiten greifen die Rebellen die Hauptstadt an. Im Layla Café im Bagdader Stadtteil Karrada bricht Jubel aus. Die syrischen Angestellten fallen sich um den Hals. Einer kommt aus Damaskus, der andere aus Aleppo, die Köchin aus Homs, wo der Aufstand gegen den verhassten Diktator 2011 begann. „Wir sind einfach nur glücklich“, sagen sie den Tränen nahe. Sie wollen auch nicht daran denken, wie viele von ihnen durch den Schlächter von Damaskus, wie die Aufständischen Assad nennen, nicht mehr am Leben sind, was er ihnen angetan hat: die Giftgasangriffe, Folter und Gefängnis, die Streubomben, Vertreibungen. „Jetzt sind wir einfach nur froh, an die Zukunft denken wir morgen.“
Die Bilder, auf denen Rebellen die Statue von Hafez Al Assad, dem Vater Bashars, vom Sockel reißen und seinen abgetrennten Kopf durch die Straßen ziehen, ähneln dem Szenario in Bagdad von 2003, als der irakische Diktator gestürzt wurde. Dieser allerdings durch den Einmarsch der Amerikaner und Briten. In Syrien sind es die eigenen Leute, die die Diktatur zu Boden reißen und den Gewaltherrscher absetzen. Nach einem halben Jahrhundert Assad – zuerst Vater, dann Sohn – jetzt also die Befreiung. Das letzte Flugzeug, das den internationalen Flughafen von Damaskus verlässt, bevor die Rebellen ankommen, ist eine Maschine mit Kurs auf Russland. Einem Bericht der russischen Staatsagentur Tass vom Sonntagabend zufolge sind Assad und seine Familie in Moskau eingetroffen. "Russland hat ihnen aus humanitären Gründen Asyl gewährt", zitierte die Agentur einen Kremlvertreter.
Nähe zu Terrororganisationen
„Keine Ahnung wie die weitermachen“, sagt Jens Petzold in Irak-Kurdistan, „vielleicht bauen sie die Guillotine auf“. Der Schweizer Pater kommt gerade zurück aus Syrien, wo er in regelmäßigen Abständen im Kloster Dair Mar Musa nach dem Rechten schaut. Der Ausbruch des Bürgerkriegs und das Verschwinden von Pater Paolo Dall’Oglio 2013 in Rakka im Norden Syriens, wo er sich für die Freilassung entführter Aktivisten eingesetzt hatte, veranlassten Petzold dazu, eine Dependance des syrischen Klosters im kurdischen Suleimanija aufzubauen. 2015 wurde es vom Islamischen Staat (IS) beschossen, nachdem die Dschihadisten zwei Jahre lang die nahe gelegene Region Homs kontrolliert hatten. Der IS entführte 2015 den Nachfolger von Dall‘Oglio, Pater Jacques Mourad, für mehrere Monate. Mar Musa wurde geschlossen, die anderen Bewohner zogen in den Irak um. 2022 wurde es wiedereröffnet. Als Christ hoffe er ja sehr auf Versöhnung, fügt der Pater noch an, als es um die Zukunft Syriens geht, wohl wissend, dass die Anführer der Rebellen ihren Ursprung in den Terrororganisationen al Qaida und dem IS haben.
Dass keiner mehr für den Verbleib Assads kämpfen wollte, sei schon länger klar gewesen. „Es war der Hunger, der die Leute, die noch da waren, von ihm abgewandt haben.“ Die Preise seien ins Unermessliche gestiegen. Ein Staatsangestellter habe lediglich umgerechnet 30 Dollar im Monat erhalten, brauche aber 200 Dollar um zu leben. Bashar habe nichts für seine Leute getan.
Aufforderungen der arabischen Gemeinschaft liefen ins Leere
Das sagte auch Katars Premierminister, Mohammed bin Abdulrahman Al Thani, auf einem Forum in Doha, wo sich alle Akteure Syriens am Wochenende trafen. Assad habe keine Anstalten gemacht, sich mit seinen Landsleuten zu versöhnen. Alle Aufforderungen seitens der arabischen Gemeinschaft liefen ins Leere. Dabei hatte die arabische Liga den Syrer vor gut einem Jahr wieder in ihre Reihen aufgenommen. Den Bedingungen, eine geordnete Rückkehr der Flüchtlinge zu gewährleisten und den Drogenhandel in die Nachbarländer zu unterbinden, kam Assad nicht nach. Die Araber distanzierten sich von ihrem „Bruder“. Auch Russland und Iran, Assads Verbündete seit Jahren, waren nicht mehr bereit, ihn weiter zu stützen. Russland führt Krieg in der Ukraine, der alle Ressourcen beansprucht, Iran ist geschwächt durch den Niedergang der Hisbollah im Libanon. Und die Türkei ist ohnehin seit Jahren Unterstützer der Rebellen, die jetzt das Land erobern.
Jens Petzold hat beobachtet, dass die Fahrzeuge, mit denen Hayat Tahrir al Shams (HTS) vor zehn Tagen ihre Eroberungszüge durch Syrien antrat, türkische Kennzeichen trugen. Der türkische Außenminister, Hakan Fidan, trat denn auch als erster vor die internationale Presse im katarischen Doha und verkündete das Ende des Regimes Assad. Die Türkei werde darauf achten, dass aus Syrien kein Terrorstaat werde, sagte er selbstbewusst, so als ob die Türkei alle Fäden in der Hand hielte. „Weder für die PKK noch für den IS.“ Als erste Amtshandlung öffnete die HTS die Gefängnistüren, wo unter anderem Tausende für ihren Widerstand gegen dass Regime eingesperrt waren.