Türkei und Syrien Mehr als 7200 Tote nach Erdbeben - Baerbock fordert Grenzöffnungen

Nach den schweren Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet ist die Situation trotz anlaufender Hilfe dramatisch. Menschen frieren, die Zerstörungen werden sichtbarer, immer mehr Tote werden gezählt.
07.02.2023, 14:39 Uhr
Lesedauer: 4 Min
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Von dpa

Während die Zahl der Toten im Erdbebengebiet an der türkisch-syrischen Grenze nach wie vor steigt, fordert Außenministerin Annalena Baerbock die Öffnung aller Grenzübergänge, um auch in Syrien schnellere Hilfe zu ermöglichen. Derzeit gebe es nur einen offenen Grenzübergang, der bei dem Erdbeben aber beschädigt worden sei, sagte die Grünen-Politikerin am Dienstag in Berlin. „Deswegen ist die Öffnung der Grenzübergänge so zentral.“ Es sei „das absolute Gebot jetzt, dass die humanitäre Hilfe dort ankommt, wo sie gebraucht wird“.

Insgesamt liegt die Zahl der Toten nach Angaben vom Dienstagabend inzwischen bei mehr als 7200. Der türkische Gesundheitsminister Fahrettin Koca nannte die Zahl von 5434 Toten allein in der Türkei. Das meldete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu. In Syrien starben laut den Behörden sowie der Rettungsorganisation Weißhelme fast 1800 Menschen. In der Türkei sind darüber hinaus mehr als 31.000 Menschen bei den Beben am Montag verletzt worden, wie der Minister weiter sagte. 

Im Nordwesten Syriens sei die Versorgung der Menschen ohnehin schwierig, betonte die deutsche Außenministerin. „Deswegen sollten alle internationalen Akteure - Russland eingeschlossen - ihren Einfluss auf das syrische Regime nutzen, dass die humanitäre Hilfe für die Opfer dort auch ankommen kann.“ Es dürften keine zusätzlichen Hürden aufgebaut werden, weil es hier auf jede Minute ankomme.

Ein Erdbeben der Stärke 7,7 bis 7,8 hatte am frühen Montagmorgen das Gebiet an der Grenze zwischen der Türkei und Syrien erschüttert. Mittags folgte ein weiteres Beben der Stärke 7,5 in derselben Region. Viele Menschen werden noch unter den Trümmern vermutet. Tausende Gebäude stürzten ein.

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Viele Länder sagten Unterstützung zu, auch aus Deutschland machten sich Hilfsteams auf den Weg, darunter ein Team der Organisation I.S.A.R., die auf die Rettung Verschütteter spezialisiert ist.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte in Genf, wo er unter anderem das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) besuchte: „Wie groß die Verzweiflung der Menschen in der Region ist, das können wir kaum ermessen.“ Er wünsche auch allen Helfern sehr viel Kraft.

Im Katastrophengebiet herrschen Temperaturen um den Gefrierpunkt. Der türkische Wetterdienst sagte teils Schneefall und Regen voraus.

Viele können nicht in ihre Häuser zurück, weil sie eingestürzt sind oder eine Rückkehr wegen der Nachbeben zu gefährlich wäre. „Dieses Erdbeben hat 13,5 Millionen unserer Bürger direkt betroffen“, sagte der türkische Städteminister Murat Kurum. Manche Straßen und Wege seien nicht zugänglich, man arbeite daran, sie passierbar zu machen. „Der Schmerz ist unbeschreiblich“, sagte der Minister. Jede Stunde sei wertvoll. Er betonte, dass bei vergangenen Beben Menschen auch noch nach 100 Stunden aus Trümmern geholt worden seien. Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu berichtete, in der Stadt Antakya seien zwei Frauen nach rund 30 Stunden gerettet worden.

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Über das Zentrum für Katastrophenhilfe der EU sind bereits 27 Such- und Rettungsteams mobilisiert worden. Wie EU-Kommissar Janez Lenarcic mitteilte, entspricht das insgesamt mehr als 1150 Rettungskräften und 70 Hunden. Die EU-Staaten stimmen sich untereinander ab. Hilfszusagen kamen etwa auch aus Großbritannien, Israel, Indien, Russland, der von Russland angegriffenen Ukraine sowie den USA. Die Türkei bat ihre Nato-Partner unter anderem um drei für extreme Wetterbedingungen geeignete Feldkrankenhäuser und Personal dafür.

Retter in Syrien vermuten, dass noch immer Hunderte Familien unter den Trümmern begraben sind. Die Suche über Nacht sei wegen Sturms und fehlender Ausrüstung „sehr langsam“ verlaufen, hieß es von den Weißhelmen, die in den von Rebellen gehaltenen Gebieten Syriens aktiv sind. Eines der am schwersten betroffenen Gebiete ist die Region Idlib unter Rebellen. Dies erschwert dort die staatliche Nothilfe. Nach mehr als elf Jahren Bürgerkrieg kontrollieren Regierungstruppen des Machthabers Baschar al-Assad wieder rund zwei Drittel Syriens.

In den Wirren der schweren Erdbeben brachen Aktivisten zufolge rund 20 Anhänger der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) aus einem Gefängnis aus. Sie nutzten demnach das Chaos aus und bestachen Gefängniswärter mit Geld, wie der Leiter der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, Rami Abdel Rahman, sagte.

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Nach UN-Angaben trafen die Beben in dem Bürgerkriegsland vor allem Menschen, die ohnehin schon in großer Not lebten. Viele der Binnenflüchtlinge, die vor der Katastrophe in baufälligen Unterkünften wohnten, mussten die Nacht bei eisigen Temperaturen im Freien verbringen, wie eine Sprecherin des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR der Deutschen Presse-Agentur sagte.

Auch in der südosttürkischen Metropole Diyarbakir verbrachten viele Menschen die Nacht draußen, in Schulen oder Moscheen, wie ein dpa-Mitarbeiter berichtete. „Die Menschen haben Angst, in ihre Häuser zurückzukehren.“ Die Zelte der Katastrophenschutzbehörde Afad seien eiskalt und reichten nicht aus.

Deutsche Hilfsorganisationen machten sich auf den Weg ins Krisengebiet. „Die große Herausforderung, vor der wir jetzt stehen, ist, dahin zu kommen, wo wir hin müssen“, sagte der Leiter der Nothilfeabteilung der Malteser International, Oliver Hochedez, im ZDF-„Morgenmagazin“.

Experten gehen davon aus, dass es in nächster Zeit noch ähnlich große Beben in nahen Regionen geben könnte. Ursache dafür seien Spannungsumlagerungen, sagte Marco Bohnhoff vom Deutschen Geoforschungszentrum (GFZ) Potsdam der Deutschen Presse-Agentur. Weitere Beben könnten folgen, insbesondere in Richtung Nordosten weiter ins Landesinnere.

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++ Dieser Artikel wurde am 7. Februar um 20.20 Uhr aktualisiert. ++

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