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Konferenz AutoDigital Autonomes Fahren: Vom Fahrer zum Gast

Der WESER-­KURIER hat zur Fachtagung AutoDigital in die Jacobs University eingeladen. Stargast ist ein Auto mit vier Rädern und ganz viel Technik im Kofferraum, doch kann man das Auto noch Auto nennen?
30.11.2017, 21:42 Uhr
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Autonomes Fahren: Vom Fahrer zum Gast
Von Jürgen Hinrichs

Der Wagen hat vier Räder, die hat er noch, aber sonst: kein Lenkrad, kein Gaspedal, keine Bremse, und eine Schaltung gibt es auch nicht. Man steigt ein, die Tür wie ein Flügel, der sich spreizt, und tut nichts weiter, als zu sitzen und zu gucken und zu staunen. Ein Auto, das wie eine Kapsel ist, wie eine Gondel, und das ist es, der richtige Vergleich, denn eine Gondel ist nichts, was sich steuern lässt, so wenig man diesen Smart steuern kann, den Mercedes ins Foyer gestellt hat. Ein Prototyp, der das erste Mal vor zwei Monaten bei der Internationalen Automobilausstellung in Frankfurt gezeigt wurde, danach in Tokio, und jetzt, an diesem Tag, im Hauptgebäude der Jacobs University in Bremen-Grohn. Der WESER-­KURIER hat zur Fachtagung AutoDigital eingeladen. Die Gäste: ein erlesenes Publikum aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Der Star: ein Wagen mit vier Rädern und ganz viel Technik im Kofferraum.

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Doch kann man den Wagen noch Wagen nennen, das Auto noch Auto? Ist es nicht eher ein Roboter, der den Menschen zu Diensten ist und ihm das Fahren abnimmt? Er tut das wie ein Taxi, nur ohne Chauffeur. Mit Charme zwar, aber so, dass die Maschine spricht, nicht der Mensch. „Hey David“, begrüßt der Roboter seinen Fahrgast, wenn er bei David eingetroffen ist. „Hey June“, wird auf dem großen Display an der Front des Taxis stehen, wenn es June abholt.

Eine fahrende Litfaßsäule

Spielerei? Vielleicht. Aber mit einem Gedanken dahinter. Ich bin für dich da, soll das heißen, nur für dich. Ein Fahrzeug, das sich immer wieder neu konfigurieren lässt, und das nicht nur bei der Begrüßung. Im Taxi können mit dem Smartphone Filme, Musik und was immer auf die Armatur gespielt werden, die tatsächlich keine Armatur mehr ist, wozu auch, sondern wieder ein großes Display. Links und rechts davon Boxen. Lautsprecher, denkt man. Aber nein, es sind Beamer. Sie werfen Botschaften, Bilder oder Werbung auf die transparenten Türen, je nachdem – eine fahrende Litfaßsäule, wenn man das möchte. Abgefahren.

Der Smart Vision EQ fortwo, so sein Name, wird vom Hersteller als autonom fahrendes Konzeptfahrzeug beschrieben, das seine Passagiere direkt am gewünschten Ort abholt. „Eine neue Vision der urbanen Mobilität und eines individualisierten, hochflexiblen und maximal effizienten öffentlichen Nahverkehrs“, preist Mercedes den Prototypen an.

Und genau damit beschäftigt sich die Tagung: das Auto der Zukunft. Eine 130 Jahre alte Technologie im radikalen Umbruch. Elektromobilität, Hybrid-Lösungen, die Brennstoffzelle – wo geht es hin? Und dann eben auch die Frage, die der Smart bereits beantwortet hat, zunächst allerdings nur im Versuchsstadium: Wie realistisch ist es für die nächsten Jahre, dass das Auto keinen Fahrer mehr braucht, nur einen Gast, der sicher und mit Komfort an sein Ziel gebracht wird.

Der Stern: Ein kniffeliger Knotenpunkt

Sicher? Kann der berühmt-berüchtigte Stern in Bremen, ein bereits mehrmals umgebauter Verkehrskreisel, jemals sicher sein? Der Stern, weil er der Einstieg ist, die Leute lachen. Ein kurzer Film, der zeigt, wie kniffelig dieser Knotenpunkt ist. Da hindurch, ohne steuern zu können? Wahnsinn! So beginnt die erste Diskussionsrunde – mit einem anschaulichen Beispiel.

„Die ursprünglichen Pfeiler der Automobilindustrie zerbröseln“, stellt Stefan Bratzel fest. Der Professor an der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch-Gladbach betont, wie groß die Herausforderung für die Branche ist. „Wer macht das Geschäft künftig?“, fragt er in die Runde. Ein Punkt, der gerade in Bremen von existenzieller Bedeutung ist. Hier ist das größte Mercedes-Werk der Welt zu Hause, mit mehr als 12.000 festen Mitarbeitern und Tausenden von Beschäftigen, die bei den Zulieferern angestellt sind. Sie alle folgen noch dem, was Bratzel die „Formel der Vergangenheit“ nennt: Hardware und Produktionskompetenz. „Künftig wird es die Software sein, multipliziert mit Dienstleistung im Quadrat.“ Dort liege die Wertschöpfung der nächsten Jahrzehnte. „Ein Spagat“, sagt der Professor. Die alte Welt erst kaputt machen, wenn die neue sich gebildet hat und anders geartete Beschäftigung trägt.

Das Geschäft der Automobilindustrie

Bratzel nennt vier Aspekte, die aus seiner Sicht das Geschäft der Automobilindustrie im aufkeimenden Zeitalter des autonomen Fahrens ausmachen werden: Wer produziert die Software? Wer stellt die Behälter her? Wer ist Betreiber? Und wer der Anbieter, der das gesamte Paket schnürt? Alles neue Felder, meint der Experte, auf denen Geld verdienen kann.

Das Auto und seine Industrie, eine ökonomische Größe. Das Auto und die Mobilität aber auch eine Art Gen, erklärt Thomas Vašek. Der Philosoph spricht von Mythos und Identität, eine Überhöhung aus seiner Warte – das Fahrzeug als Fetisch, vor allem in Deutschland, dem so ziemlich einzigen Land, auf dessen Autobahnen ohne Limit Gas gegeben werden kann. Dieses Gen, festgemacht am Auto, aber auch am Fahrer, muss geknackt werden, meint Vašek. Der Industrie traut er das nicht so recht zu. „Sie ist immer noch viel zu sehr auf den Fahrer fixiert.“ Ein Ergebnis sei, dass viele Autos immer schwerer würden und mehr PS hätten. „Das ist von gestern, antimodern. Eine Porsche Cayenne in der Innenstadt, sorry, das kann es nicht sein.“ Besser, meint der Philosoph, sich auf das einzulassen, was er als die „neue Leichtigkeit des Fahrens“ bezeichnet. Ein Beispiel dafür stehe vor der Tür: der Smart.

Welche Autonomie behalten wir?

Bremens Wirtschaftssenator Martin Günthner (SPD) findet diese Haltung wohlfeil, zumindest solchen Menschen gegenüber, die noch lange Zeit auf herkömmliche Autos angewiesen sind: „Jemand aus Verden zum Beispiel, der in Bremen bei Mercedes arbeitet und pendeln muss, oder der Arbeiter aus Dorum, der in Bremerhaven im Hafen beschäftigt ist.“ Vašek kann er damit nicht erweichen: „Sie stellen es so dar, als wäre das Auto eine Naturnotwendigkeit“, wendet er sich an den Senator. Nachdenkliche Töne kommen aber auch von Günth­ner. Ihm fehlt in der Diskussion der Faktor Mensch, wie er es ausdrückt: „Welche Autonomie behalten wir alle, beim Fahren und auch sonst? Das ist die große gesellschaftliche Frage.“

Ethik, Verantwortung, das Menschenbild – Themen, die von Udo Di Fabio angeschnitten werden. Der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht ist Vorsitzender der Ethik-Kommission zum automatisierten Fahren, die vom Bundesverkehrsminister ins Leben gerufen wurde. „Wenn wir mit den neuen Systemen entscheidend die Sicherheit im Straßenverkehr steigern, und das steht außer Frage, ist es ethisch geradezu geboten, sie einzuführen“, erklärt Di Fabio. Doch wer haftet, wenn ein Unfall passiert? Der Mensch im Auto oder der Hersteller der Software, die den Wagen steuert?

Was darf der Programmierer festlegen?

„Das lässt sich regeln“, ist der Jurist optimistisch. Weit schwieriger die Lösung, wenn bei einem Unfall, der unausweichlich ist, abgewogen werden muss: „Trifft es den 90-Jährigen mit Rollator oder das Kind daneben?“ Man könnte das programmieren. „Darf man nicht“, sagt Di Fabio, „das entspricht nicht unserem Menschenbild.“ Etwas anderes sei es, wenn die Abwägung auf Quantität ziele. Fährt das Auto in die kleine oder die große Menschenmenge? „Da geht es nicht um konkrete Opfer, sondern um eine abstrakte Größe. Das darf der Programmierer festlegen.“

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Solche ethischen Fragen beim automatisierten oder autonomen Fahren sind für Di Fabio ein Lackmustest: „Dahinter steht, wie wir generell mit der künstlichen Intelligenz umgehen.“ Nimmt die Maschine dem Menschen immer mehr ab, kann das eine Hilfe sein, aber genauso auch die Preisgabe von Autonomie bedeuten, wie Senator Günthner es gesagt hat. Angefangen mit der Preisgabe von persönlichen Daten. Di Fabio geht darauf ein: „Wenn die Autos miteinander vernetzt werden, tritt der Insasse beiseite, er wird nicht mehr erfahrbar.“ Die Ethik-Kommission habe diesen Punkt sehr ernst genommen. „Es ist aber nun mal von Vorteil, wenn das Auto weiß, dass gleich ein anderer Wagen um die Kurve kommt.“ Der Jurist ist sich sicher: „Das wird uns sehr bald davon überzeugen, dass Vernetzung eine gute Sache ist.“

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