Die meisten Plätze im Saal sind besetzt, die Veranstaltung hat längst begonnen. Da hört man das leise Klappern von Absätzen auf Parkett und schon taucht Daniela Schadt auf, die versucht, so unbemerkt wie möglich auf den Platz neben ihrem Lebensgefährten Joachim Gauck zu gelangen. Doch der Moderator Johannes B. Kerner, der auf der Bühne mit dem Protokollexperten und Buchautor Enrico Brissa plaudert, hat sie entdeckt und begrüßt sie nun lauthals unter dem Lachen vieler Gäste.
Ein klarer Fall für Brissa, der hier sein „Kleines Handbuch des weltläufigen Benehmens“ vorstellt. Pünktlichkeit, so heißt es darin, sei ein Fundament guter Manieren und eine wichtige soziale Norm der Verlässlichkeit. Gegen die hat Daniela Schadt nun, gewiss aus gutem Grund, verstoßen. Sie deshalb aber bloßzustellen, das wäre nach den Regeln des Protokolls ein klarer Fauxpas Kerners, eine schwere Entgleisung – wenn er sie hier nicht als amüsante Einlage zur Illustration des Themas genutzt hätte.
Enrico Brissa ist ein Meister seines Fachs, gereift in fünf Jahren als Protokollchef des Bundespräsidenten und nun schon seit einiger Zeit im Dienste des Bundestagspräsidenten. Dass er auch ein unterhaltsamer Autor ist, zeigt sein neues Werk, das er nicht als klassisches Benimmbuch verstanden wissen will. Ihm gehe es nicht um gute Manieren der Manieren wegen, schreibt er in seinem dank vieler Beispiele und Anekdoten sehr kurzweiligen Buch. Es solle vielmehr ein „Plädoyer für die schönen Künste der Höflichkeit“ sein. Die gute Form sei kein Selbstzweck – „es geht vor allem um eine Haltung, die auf Rücksicht, Respekt und Aufmerksamkeit“ gründet. Das erscheint ihm nötig angesichts weitverbreiteter Unsicherheit über richtiges Benehmen und des Verlustes vieler Selbstverständlichkeiten im Umgang miteinander. Der Alltag sei schließlich „voller Egos und Rempler“, ob in der Bahn, im Flugzeug oder beim Einkauf.
Brissa verweist darauf, dass gute Umgangsformen im Berufs- und Privatleben durchaus ein hartes Auswahlkriterium seien, auch wenn dies meist unbemerkt von dem Betroffenen geschehe. „Anders als vor einem Berliner Club bekommt der Abgewiesene hier oftmals gar nicht mit, welche Tür ihm verschlossen bleibt.“ Er wolle dazu beitragen, dass es in unserem Leben möglichst wenige geschlossene Türen gibt. Dabei sollen 150 Begriffe aus der Welt des menschlichen Zusammenlebens helfen, von Abendland bis Zurückhaltung, mit denen Brissa in die schönen Künste der Höflichkeit einführt.
Und er beschäftigt sich auch noch einmal mit dem Thema Türen: Wer wann wem die Tür aufhält, zum Beispiel. „Bei Drehtüren geht grundsätzlich der Herr vor, um dieselbe für die Dame in eine angemessene Bewegung zu versetzen.“ Nicht jedem sei auch klar, dass Türen Sphärenwechsel markieren können. Er hat dies einst vor den Augen vieler Zuschauer demonstriert. Als Bundespräsident Christian Wulff am 17. Februar 2012 seinen Rücktritt erklärt hatte, schloss der Protokollchef Enrico Brissa hinter ihm und seiner Gattin Bettina nach ihrem Abgang die Flügeltür im Schloss Bellevue.
Zum Buch:
Enrico Brissa: Auf dem Parkett. Kleines Handbuch des weltläufigen Benehmens, Siedler Verlag, 272 Seiten, 18 Euro