Was haben die reichen Länder des Westens nicht neidisch gen Osten geschaut: Nachdem sich vor einem guten Jahr durch eine Kirchengemeinde in Südkorea dort das Coronavirus wie ein Lauffeuer verbreitet hatte, galt das ostasiatische Land plötzlich als internationales Sorgenkind. Dann aber fuhr die Regierung schwere Geschütze auf – vom Desinfizieren öffentlicher Plätze über Tracking per App bis zu strengen Isolationsregeln – und hatte die Infektionslage wie im Handumdrehen unter Kontrolle. Mit ähnlicher Bewunderung wurde nach Japan geblickt: dort schaffte es die Regierung durch bloße Aufforderungen, die Bevölkerung zu relativer Disziplin zu bringen – und Infektionen geringzuhalten.
Infektionszahlen liegen niedrig
Die Ergebnisse im Vergleich zu westlichen Ländern sind bekannt und beeindrucken bis heute: In Japan, Südkorea und anderen Ländern Ostasiens liegen die Infektions- und Todeszahlen weiterhin beneidenswert niedrig. Südkorea zählt unter seinen 52 Millionen Einwohnern nur 100.000 Ansteckungen und 1700 Todesfälle. Das noch wesentlich stärker getroffene Japan hat bei einer Bevölkerung von 126,5 Millionen 464.000 Ansteckungen und 9000 Tote registriert. Pro Kopf erreichen die Werte in Südkorea und Japan nur rund ein Zwanzigstel und ein Zehntel von jenen in Deutschland. Die Lage scheint unter Kontrolle.
Doch sie sieht ganz anders aus, wenn es ums Impfen geht. Ein Ländervergleich zeigt: Pro Kopf wurde in den Industriestaaten der Welt nirgends auch nur annähernd so wenig geimpft wie in Japan. Auch Südkorea steht in dieser Tabelle ganz unten, nur leicht über Australien und Neuseeland. Selbst mit Blick auf im EU-Kontext eher langsame Länder hält der Vergleich. Während in Deutschland und Österreich Mitte März rund 12,5 und 13,8 Prozent der Bevölkerung geimpft waren, hatten Südkorea bloß 1,32 und Japan sogar nur 0,46 Prozent ihrer Einwohner eine Spritze gegeben. Wie können Staaten, die so schnell auf die Ausbrüche der Infektionen reagierten, nun so langsam bei der Immunisierung sein?
Vor allem im demografisch schnell alternden Japan liegt es jedenfalls nicht daran, dass man sich keine Sorgen um eine Überlastung des Gesundheitssystems machen müsste. Auch die relativ geringe Zahl an Infektionsfällen bringt für die Krankenhäuser, die viele betagte Patienten haben, aber relativ wenige Intensivbetten, große Herausforderungen. Der nationale Ärzteverband sprach schon Anfang des Jahres von einem Systemkollaps. Auch in Südkorea begannen Ende letzten Jahres Warnungen vor einem Kollaps.
Südkoreas Regierung hat sich beim Impfstoffeinkauf verpokert
Dabei scheinen die niedrigen Infektionszahlen die koreanische Regierung zu einer Taktik veranlasst zu haben, mit der sie sich nach jetzigem Stand verpokert hat. Erst Ende Januar – und damit später als andere reiche Länder – begannen Südkoreas Behörden mit der Bestellung von Impfstoffen. Bis dahin hatte man auf zwei andere Chancen gehofft: Erstens, dass die aufstrebende südkoreanische Pharmabranche ebenfalls einen Impfstoff auf den Markt bringt. Und zweitens, dass mit ausländischen Unternehmen Lizenzdeals für die Produktion im Inland abgeschlossen würden.
Allerdings wurde der öffentliche Druck auf einen zügigen Beginn der Impfkampagne stärker, als im Winter auch in Südkorea die Fallzahlen deutlich anstiegen. Präsident Moon Jae In bat öffentlich um Verzeihung, änderte den Kurs. Vor allem von Pfizer und Moderna wurden genügend Dosen bestellt, um die gesamte Bevölkerung zu impfen. Seit Ende Februar läuft das Programm, bis November soll Herdenimmunität erreicht sein, wobei hierfür weiterhin auf Inlandsproduktion gehofft wird.
Im noch langsameren Japan gibt es ganz andere Probleme: eine tiefsitzende Skepsis gegenüber Impfungen. 1993 verbot Japans Bürokratie die Kombi-Impfung MMR gegen Mumps, Masern und Röteln, nachdem an Patienten Autismuserkrankungen festgestellt worden waren. Der Zusammenhang konnte zwar nicht bewiesen werden, das Verbot blieb aber bestehen. Danach ließ man eine ganze Generation ungeimpft, die Erkrankungen galten als sozial eher hinnehmbar als die Impfungen.
Mehr als die Hälfte der Japaner misstrauen Impfungen
Vor diesem Hintergrund ergab eine Umfrage von Wellcome Global Monitor noch vor Beginn der Pandemie, dass mehr als die Hälfte der Menschen in Japan nicht der Meinung sind, Impfungen seien sicher. Und Anfang Februar zeigte eine internationale Befragung des Instituts Yougov, dass von allen Ländern der Anteil jener Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen, in Japan am höchsten ist.
Auch um die Gesellschaft nicht zu drängen, hat sich die Regierung daher in Zögerlichkeit geübt. Als der Impfstoffhersteller Pfizer/Biontech nach monatelangen Tests in mehreren Ländern Ende November eine Wirksamkeit von 95 Prozent feststellte, begannen japanische Behörden mit eigenen Tests. Diese waren deutlich weniger umfangreich und kosteten mehrere Wochen zusätzliche Zeit, sollten aber für öffentliches Vertrauen sorgen. So begann Japan erst im Februar mit seinem Impfprogramm. Derzeit hofft die nationale Politik, dass ein höheres Tempo in anderen Ländern auch in Japan bald zu einer steigenden Impfbereitschaft führt.