Antisemitismus hat viele Gesichter, und sein schrecklichstes hat er jetzt in Halle gezeigt: Offensichtlich sollten Leben ausgelöscht werden – allein, weil es jüdische Leben waren. Wenn jemand am höchsten jüdischen Feiertag eine gut besuchte Synagoge mit Schüssen und Brandsätzen attackiert, ist ein anderes Motiv nahezu ausgeschlossen – selbst wenn sich die Generalbundesanwaltschaft noch in professioneller Zurückhaltung übt.
Entsetzlich sicher ist, dass zwei Menschen durch diesen maximal aggressiven Akt ihr Leben geraubt wurde. Ob sie ein Einzeltäter auf den Gewissen hat, bleibt vorerst unklar. Schließlich fielen auch an einem nahen zweiten Ort Schüsse. Ungewiss ist zudem, ob es sich um rechten, islamistischen oder sonstigen Extremismus handelt. Moralisch wie juristisch ist das aber völlig unerheblich: Mord und Mordversuch sind absolut verwerflich, immer und überall.
Solidarität mit den jüdischen Gemeinden
Entscheidend ist jetzt nicht der verschärfte Schutz jüdischer Einrichtungen. Der ist leider eine Notwendigkeit, seit Jahrzehnten und nicht nur in Deutschland. Entscheidend ist eine tätige Solidarität mit den jüdischen Gemeinden, die über rasche Betroffenheitsbekundungen hinaus geht. Offenem Antisemitismus muss ebenso offen und entschieden widersprochen werden, lange bevor es zum Äußersten kommt wie jetzt in Halle. Das ist die Art von Courage, die eine Gesellschaft einfordern muss, wenn sie eine zivile Gesellschaft bleiben will.
Das Gegenteil davon ist die paranoide Angstgemeinschaft, die sich kollektiv in ihre Panik hineinsteigert und schnellstmöglich Schuldige benennen und Urteile fällen will. So, wie es jüngst vor allem in den sogenannten sozialen Medien zu besichtigen war, nach der Lkw-Attacke von Limburg. Ja, der mutmaßliche Täter ist Syrer, Asylbewerber, polizeibekannt. Wir wissen aber nicht einmal, ob er Moslem ist, und schon gar nicht, was ihn zur Tat trieb. Terrorist? Mehr als ein „vielleicht“ verbietet sich bislang.